Als Schupo an der Elbe

„In Zeiten des Verbrechens“ erzählt ein Stück der Vorgeschichte der siebenbändigen Reihe um Frank Goldammers Dresdener Kommissar Max Heller

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen 2016 und 2021 veröffentlichte der in Dresden lebende Autor Frank Goldammer (Jahrgang 1975) sieben Romane, in deren Zentrum sein in der Elbmetropole ermittelnder Kommissar Max Heller stand. Die Bände spielen zwischen den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs und dem Jahr des Mauerbaus. Indem sie neben den Kriminalfällen, mit denen Heller und sein Team sich in jedem Band konfrontiert sehen, auch die Privatgeschichte des Kommissars und seiner Familie erzählen, leisten sie im Gewand von Spannungsromanen auch einen Beitrag dazu, jüngeren Lesern Alltagsaspekte des Lebens in der DDR während der ersten anderthalb Jahrzehnte der deutschen Teilung nahezubringen. Historische Wegmarken, an denen Goldammers Romane sich zeitgeschichtlich orientieren, sind u. a. die Bombardierung Dresdens am 12. und 13. Februar 1945 (Der Angstmann, 2016), der Arbeiteraufstand in der DDR (Juni 53, 2019), der Ungarnaufstand 1956 (Verlorene Engel, 2021) und der Mauerbau im Jahr 1961 (Feind des Volkes, 2021).

Nun hat Frank Goldammer mit In Zeiten des Verbrechens historisch einen Schritt zurück getan und lässt seinen achten Max-Heller-Roman in den Jahren zwischen 1917 und 1924 spielen. Verwundet und nach einer Verschüttung an der Westfront schwer traumatisiert, kommt sein 21-jähriger Held aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause und sucht nach einem Neuanfang in seinem Leben. Das ist nicht so leicht, denn von allen Seiten schlägt ihm Misstrauen entgegen. Selbst sein Vater hätte wohl lieber einen toten Kriegshelden als einen undekorierten jungen Mann, bei dem sich jeder fragt, warum er nicht so schnell wie möglich zu Seinesgleichen an die Front zurückkehrt.

Weil Arbeit auch in Dresden knapp ist und seine Fußverletzung ihn für viele Tätigkeiten unbrauchbar macht, sieht es zunächst sogar so aus, als würde Heller ins kriminelle Milieu abrutschen. Daran, dass er letztendlich aber auf der anderen Seite des Gesetzes landet, nämlich bei jenen Menschen, die Ehrlichkeit und Recht auch in Zeiten des Chaos für verteidigenswert halten, besitzt nicht zuletzt auch sein Großvater eine Aktie.  

Von Gustav Heller, dem es in Dresden vor dem Krieg gelang, einige spektakuläre Kriminalfälle aufzuklären, bekommt sein Enkel schließlich den Rat, bei der Schutzpolizei anzufangen. Der erfahrene Kriminalrat a. D., der sich in den vergangenen Jahren zunehmend von der Familie entfremdete und nun wieder vermehrt den Kontakt zu Max sucht, weiß genau, dass dessen Eigensinn, Intelligenz und Gerechtigkeitsgefühl ihn geradezu dafür prädestinieren, bei der Polizei einmal in seine Fußstapfen zu treten. Und er irrt sich nicht. Denn bereits vor seiner Entscheidung, eine Polizeikarriere anzustreben, gelingt es Max, eine unter der falschen Flagge der kommunistischen Revolution segelnde Bande von Mördern und Dieben auffliegen zu lassen. Eine Undercovermission, die es dem Großvater letzten Endes leicht macht, seinen Enkel bei den entsprechenden Stellen zu empfehlen.

Frank Goldammer schafft es auch mit In Zeiten des Verbrechens, nicht nur die spannende Geschichte eines komplett desillusionierten Kriegsheimkehrers, der in schwierigen Zeiten nach einer neuen Perspektive für sich sucht, zu erzählen, sondern zugleich die schweren Jahre nach dem Ersten Weltkrieg für seine Leserschaft lebendig werden zu lassen. Wie schon in all seinen vorausgegangenen Romanen geht er dabei sehr behutsam mit der Historie um. Sie ist immer präsent, nimmt aber nie den erzählerischen Vordergrund ein. Den besetzen Goldammers Figuren mit ihren sich aus dem Leben in einem Land, das nach einer vernichtenden Niederlage im Krieg wieder auf die Beine zu kommen sucht, resultierenden Konflikten.

Dass harte Zeiten auch immer Zeiten des Verbrechens sind, merkt Max spätestens, als er nach dem Abschluss seiner Ausbildung an der Polizeischule in Meißen wieder in seine Heimatstadt zurückkehrt und zunächst als Schupo auf der Wache im Zentrum Dresdens stationiert wird. Nun, Anfang der 1920er Jahre, hat er es täglich auf seinen Streifengängen mit unzähligen kleineren Delikten – vom Taschendiebstahl bis zu handgreiflichen Auseinandersetzungen im privaten Bereich und in der Öffentlichkeit – zu tun. Gelegentlich muss er dabei sein, wenn politische Versammlungen unterschiedlichster Parteien von der Polizei zu schützen sind. Und bei seinen Kollegen macht er sich nicht unbedingt beliebt, wenn er darauf verzichtet, sein schmales Salär genauso wie sie damit aufbessern, dass man gegen entsprechende Bezahlung ein Auge zudrückt.

Dass das dritte Viertel des Romans – bei einem Volksfest in Bad Schandau begegnet Heller 1921 seiner zukünftigen Frau Karin, der Tochter eines reichen Dresdener Fabrikanten, wirbt ausdauernd um sie, die ihn zunächst abweist, später aber, wie Goldammer-Leserinnen und -Leser bereits wissen, zu einem Ankerpunkt in seinem Leben wird – von seiner Thematik her eigentlich nicht mehr unter das Label „Kriminalroman“ fällt, soll nicht verschwiegen werden. Auch überzeugt die in Teilen arg klischeehafte Geschichte von der vom Leben verwöhnten jungen Frau, die mit zahlreichem Dienstpersonal in einer herrschaftlichen Villa aufwächst, sich aber auf den ersten Blick in einen Mann verliebt, der ihr so gar nicht bieten kann, woran sie gewöhnt zu sein scheint, nicht wirklich. Hier bleibt Frank Goldammer – auch literarisch mit zum Teil hölzernen Dialogen und auf die Tränendrüsen drückendem Sozialkitsch – doch ein ganzes Stück unter seinem sonstigen Niveau. Und auch die Volte, mit der der Roman Karin Kolbert schließlich aus ihrem Milieu herausreißt – sie soll hier nicht verraten werden –, wirkt mehr als aufgesetzt.

Zum Glück kehrt das Buch nach dieser langen kriminalliterarischen Durststrecke mit dem Inflationsjahr 1923 wieder zu seinem eigentlichen Thema zurück. „Menschen begingen Straftaten, um eingesperrt zu werden, weil sie so wenigstens regelmäßige Mahlzeiten bekamen“, erkennt Max Heller, inzwischen verheiratet und seiner ersten Vaterschaft entgegensehend, ohne zu wissen, wie die kleine Familie durch die schweren Zeiten gebracht werden kann. Doch zumindest seine Polizeikarriere nimmt eine neue Wendung, als er den Fall eines Grundstücksspekulanten löst, der um des Profites willen auch nicht davor zurückschreckt, Menschen, die seine Pläne stören, durch gekaufte Mörder aus dem Weg räumen zu lassen.

Danach sieht es ganz so aus, als wäre der Weg vom Schupo zum Kriminalpolizisten nicht mehr ganz so weit. Und sollte sich Frank Goldammer entschließen, diesem ersten Roman über das frühere Leben seines erfolgreichen Dresdener Kommissars weitere folgen zu lassen – immerhin liegen zwischen dem Jahr 1924, mit dem In Zeiten des Verbrechens endet, und 1944, in dem mit Der Angstmann Goldammers Bestsellerserie beginnt, zwanzig Jahre, die auch als geschichtlichen Hintergrund einiges zu bieten haben –, dürfte dann auch die Gefahr gering sein, sich in allzu seichten Erzählgewässern zu verlieren.          

Titelbild

Frank Goldammer: In Zeiten des Verbrechens. Kriminalroman.
dtv Verlag, München 2023.
445 Seiten , 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783423263641

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