Roman mit Werkstatt-Charakter
Pirkko Saiso erzählt in „Das rote Buch der Abschiede“ mit auto-biographischer Grundierung vom Coming Out ihrer Protagonistin in den frühen 1970er Jahren in Helsinki
Von Karsten Herrmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer im Original bereits 2003 veröffentlichte Roman bildet den Abschluss einer autofiktionalen Trilogie der Finnin und wurde mit dem „Finlandia Preis“ ausgezeichnet. In Deutschland wird die als Schriftstellerin, Regisseurin und Schauspielerin tätige und in der heimischen Kulturszene sehr präsente Pirkko Saiso erst jetzt (wieder) entdeckt.
Pirkko Saiso führt den Leser in „Das rote Buch der Abschiede“ in das Helsinki der 1960er und 1970er Jahre. Die Protagonistin wächst in einem kommunistischen Arbeiterhaushalt auf und kann mit Unterstützung ihrer Eltern ein Literatur- und Theater-Studium beginnen. Hier findet sie in einer Zeit, in der die gleichgeschlechtliche Liebe noch verboten ist, Zugang zur kulturellen und auch queeren Szene Helsinkis. Mit geheimen Codes treffen man und frau sich in versteckten Untergrundbars und kämpfen hier zugleich gegen die Diskriminierung und auch für die kommunistische (R)Evolution. Denn die Theaterhochschule, an der die Protagonistin studiert, ist eng mit den kommunistischen Kadern verflochten und hier wird die richtige Gesinnung verlangt und überprüft. Doch Homosexualität und kommunistische Utopie stehen nicht nur in dieser Zeit noch im Widerspruch und so muss sie sich fragen: „Warum sollen wir mitbauen an einem Haus, in das wir nur hineinpassen, wenn sie uns einen Kopf kleiner machen?“
Die Protagonistin zieht mit ihrer Freundin und großen Liebe Halwa zusammen und sie bekommt – von wem, wird dabei zunächst nicht so klar – ein Kind und ihr gemeinsames Leben ändert sich radikal. Nicht zuletzt daran zerbricht dann auch die Beziehung zu Halwa und sie verfällt in eine Trauer, die die Welt auflöst – bis hin zum Selbstmordversuch.
Pirkko Saisio erzählt ihren Roman über die Zeiten und Räume hinweg. Gegenwart und Vergangenheit verschränken sich und ihre Erzählperspektive wechselt zwischen „Ich“ und “sie“. Ihre Prosa ist poetisch und assoziativ, in luftigen Absätzen und auf Lücke geschrieben. So wird vieles auch nur vage angedeutet und einige Zusammenhänge erschließen sich erst mit der Zeit.
Das rote Buch der Abschiede ist getragen vom kulturellen und politischen Aufbruch der 1960er und 1970er Jahre, aber zugleich auch ein ungeheuerlich persönliches Buch, in dem die Protagonistin für ihre Selbstbestimmung von vielem – so auch von ihren Eltern – Abschied nehmen und mit dem Schmerz umgehen muss. Der Roman ist ein Roman auf der Suche nach Orientierung und Heimat – dabei spielt neben der Suche nach Liebe die Suche nach künstlerischem Ausdruck und Kreativität eine zentrale Rolle. So kann der Leser auch quasi dem Entstehen des Romans aus der Jetztperspektive der Schriftstellerin verfolgen. Die Stärken und zugleich Schwächen von Das rote Buch der Abschiede liegen dabei in diesem eher vorläufigen Werkstattcharakter.
|
||