Ein Geniestreich der Vielschichtigkeit
Fitzeks „Elternabend. Kein-Thriller“ überrascht mit einer fesselnden Mischung aus Thriller und Komödie
Von Iman Azizi-Sarioglu
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSebastian Fitzek, anerkannter Thriller-Autor und erster deutscher Preisträger des Europäischen Kriminalliteratur-Preises, überrascht mit seiner zweiten Komödie. In seinem bereits 38. Werk thematisiert der Sohn eines Schulleiters und einer Wirtschaftslehrerin eine zunächst simpel erscheinende Veranstaltung: den allseits bekannten Elternabend. Doch wie kommt man dazu, an einem solchen Abend teilzunehmen, ohne selbst ein Kind zu haben?
Die Ausgangslage gestaltet sich folgendermaßen: Zunächst lernen die Leser*innen Sascha Nebel, den Protagonisten, kennen. Er befindet sich hinter dem Steuer eines SUVs, den er kurzerhand gestohlen hat. Sein Ziel ist der Geburtstag seiner Tochter. Doch auf dem Weg dorthin wird die Szenerie von einer vermeintlich Irren unterbrochen, die, bewaffnet mit einem Baseballschläger, auf den Luxuswagen losgeht. Plötzlich taucht aufgrund einer nahenden Fridays for Future-Demonstration die Polizei auf. Bei dem Versuch, der Polizei zu entkommen, finden sich die beiden Protagonisten in einer ungewöhnlichen Situation wieder: einem Elternabend der besonderen Art. Die Atmosphäre erinnert weniger an ein gewöhnliches Elterntreffen, sondern vielmehr an ein Wochenendcamp. Zu allem Überfluss sehen sich die zwei Hauptfiguren gezwungen, sich als die Eltern eines Kindes auszugeben, das sie überhaupt nicht kennen. Es ist nicht nur irgendein Kind, sondern ausgerechnet Hector, der berüchtigte Störenfried der Klasse. Diese ungewöhnliche Situation scheint den Auftakt zu einer amüsanten und turbulenten Geschichte zu bilden.
Die Leser*innen werden durch die direkte Ansprache durchgehend involviert, was nicht nur auflockernd wirkt, sondern auch dazu führt, dass die Leser*innen regelrecht in Saschas Gedankenwelt eintauchen. Gekonnt werden Informationen in kleinen Portionen preisgegeben, die die Handlung in einem anderen Licht erscheinen lassen und somit die Spannung aufrechterhalten. Der Erzähler nutzt detaillierte Beschreibungen, um die Szenen lebendig zu gestalten und die Leser*innen mitten ins Geschehen zu versetzen. Ein hervorragendes Beispiel dafür findet sich gleich auf den ersten Seiten:
Ich saß hinter dem Lenkrad eines Hundertzwanzigtausend-Euro-Geländewagens – von der albernen Sorte, die in echtem »Gelände« etwa so offroad-tauglich ist wie eine Liegefahrrad im Dschungel –, der von einem völlig bescheuerten Kleinkriminellen aufgebrochen worden war. [..] Auf meinem Schoß lag eine in Papier eingewickelte, langstielige blaue Hortensie, und um meinen Hals schlackerte ein lederner Hosengürtel. Die Frau, die sich mir [..] näherte, steckte in brombeerfarbenen Yogashorts, die so eng anlagen, dass sie sie wohl vor einen Tannenbaumtrichter gespannt hatte und hindurchgesprungen war, um in sie reinzukommen. An den eher zierlichen Füßen klebten Joggingschuhe in Neonquietschpink. Ein tailliertes, aus Schweiß absorbierendem Slimfit-Stoff gedrechseltes Oberteil mit dem Aufdruck „Save our Planet“ komplettierte ihr Sportoutfit.
Dieses Zusammenspiel aus detaillierter Beschreibung und überspitzten Vergleichen schafft die Kulisse.
Die Kapitel sind, wie von Fitzek zu erwarten, prägnant und kurz gehalten. Dieser Schreibstil unterstützt das zügige Voranschreiten der Geschichte und hält die Leser*innen stets fokussiert. Der Wechsel der Sichtweisen, der eine parallele polizeiliche Ermittlung abbildet, ermöglicht es den Leser*innen, das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln zu verfolgen und verleiht der Erzählung eine zusätzliche Dimension. Die Einführung kleiner Karikaturen vor jedem Kapitel vermittelt bereits im Voraus einen Eindruck von der bevorstehenden Szene. Allerdings stellt die Fülle an überzogenen Nebenhandlungen eine leichte Hemmschwelle dar, was dazu führen kann, dass die ernsten Aspekte nicht den ihnen gebührenden Stellenwert erhalten. Fitzeks Anfangshinweis, die in dieser Komödie vorkommenden Themen wie Suizid und Mobbing ernst zu nehmen, ist daher von besonderer Wichtigkeit. Wer den Roman lediglich aufgrund seiner humorvollen Prämisse betrachtet, sollte in Betracht ziehen, ihn zur Seite zu legen. Dennoch betont Fitzek, dass gerade in einer Komödie, in der solch tiefgründige Gedanken und Themen nicht vorgesehen sind, diese bedeutenden Elemente ihren Platz beanspruchen. Fitzek jongliert geschickt mit Stereotypen, enthüllt Vorurteile und eröffnet die Möglichkeit zur Identifikation. Sei es der Vater im Netzshirt, der Designerjogginghose und in den trendigen Schuhen, oder der laute, großspurige Vater, der stolz eine (gefälschte) Rolex präsentiert. Ebenso die Helikoptereltern, die noch von den Tigereltern übertroffen werden, und jene, die echte Wurst als fleischlose Alternative anbieten und für den ‚authentischen Geschmack‘ Lob erhalten. Auch wenn dieser Ansatz zwar zu einer Polarisierung führt, trifft Fitzek doch genau die richtige Mischung: Der Kontrast zwischen überzeichneten Hauptfiguren, humorvollen Szenen und der Einführung ernster Themen verleiht dem Werk die erforderliche Tiefe.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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