Hoffnung ist das Gegenteil von Optimismus
Die französische Philosophin Corine Pelluchon versucht sich an der „Durchquerung des Unmöglichen“
Von Stephan Wolting
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUm es gleich vorwegzunehmen: Das hier besprochene Werk von Corine Pelluchon leistet einen unschätzbaren Beitrag zu einer „Philosophie der Hoffnung“ in politisch wie philosophisch schwierigen Zeiten. Die an der Université Gustave Eiffel in Paris lehrende französische Philosophin Corine Pelluchon bezieht sich darin in erster Linie auf die beiden unterschiedlichen Bedeutungen dieses Begriffs Hoffnung im Französischen Espérance und Espoir. In Bezug auf den Titel ihres Werks bezeichnet sie die erstere Bedeutung als die eigentliche, die ihrem Werk zugrunde liegt:
Hoffnung bedeutet, das Unmögliche zu durchqueren, Sie erscheint, wenn man sie nicht mehr erwartet, und entsteht nach der Erfahrung des Nichts. Keinesfalls darf man Hoffnung (espérance) mit einer persönlichen, positiven Erwartungshaltung (espoir) verwechseln, welche sich auf eine bestimmte Realität bezieht, und das Verlangen beinhaltet, dass individuelle Wünsche in absehbarer Zeit erfüllt werden. Im Fall der Hoffnung hingegen ist das Verhältnis zum Selbst, zur Welt und zur Zeit ein ganz anderes.
Nach Pelluchon darf man Hoffnung nicht auf ein psychologisches Moment reduzieren, sie ist deshalb nicht mit Optimismus gleichzusetzen. Hoffnung ist nicht ohne eine vorherige Erfahrung eines kompletten seelisch-geistigen Horizontverlusts im Sinne existentieller Grenzsituationen zu haben. Überhaupt benutzt die Autorin den Begriff des Horizonts im Werk in vielfältiger Weise. Für sie besteht Hoffnung immer nur in Auseinandersetzung mit Mitleid und Verzweiflung, was quasi vorausgesetzt wird, etwa im Bild von Rilkes Panther, ein Gedicht, das für die Autorin sehr wichtig ist, weil es zunächst das Bild einer Gefangenschaft im übertragenen Sinne darstelle, aus der es sich aber zu befreien gelte:
Hoffnung erfordert das Aushalten des Negativen. Und das Erkennen der extremen Ungewissheit, in der wir uns befinden. Gerade ausgehend von dieser extremsten Ungewissheit und der größten Fragilität können wir Mögliches erkunden, uns Unterstützung holen, Bündnisse aufbauen und Ressourcen finden.
Die Übersetzerin Grit Fröhlich weist darauf hin, dass die Autorin sich eines nur im Französischen funktionierenden Wortspiel von „enfermement” (Gefangensein) in „enfer-me-ment” (die Hölle täuscht mich) bedient. Durch die sie selbst auch in Form einer Depression gegangen ist, wie sie am Anfang bekennt. Davor ist man als Mensch im Grunde nie gefeit. Die Autorin nennt die Hoffnung so etwas wie eine zweite Morgenröte, „in der Lebensmitte oder am Abend“. Und weist darauf hin, dass die Gefahr, depressiv zu werden, immer wieder von neuem entstehen kann.
Sie versucht auf diese Weise zugleich, Wege aus der Hoffnungslosigkeit zu weisen, die zugleich die notwendige Bedingung eines Wandels darstellt. Umgekehrt könnte man auch sagen: Nur wer Verzweiflung, ja Depression tief genug erfahren hat, ist in der Lage, sich zum einen individuell zu verändern, zum anderen aber auch politisch zu versuchen, etwas an den gesellschaftlichen Umständen zu verändern. Wer an dieser Welt mit ihren Pandemien, Kriegen oder der Umweltzerstörung nicht verzweifelt, ist eigentlich der Kranke, eine Auffassung, wie sie ja auch in bedeutenden Werken des Poststrukturalismus wie dem „Anti-Ödipus“ von Guattari/Deleuze etc. vertreten wurde, und die Pelluchon auf die aktuelle globale Situation überträgt:
Der Wunsch, auf gesündere Weise mit der Erde zu leben, ruft die Klimadepressionen hervor. Damit Menschen, die von Öko, Angst oder Klimadepressionen geplagt werden, wieder Vertrauen in die Zukunft fassen. Und ihr Selbstwertgefühl zurückgewinnen können. Muss dieser edle Beweggrund unbedingt herausgestellt werden? Dass der Gedanke, dass die durch den drohenden Kollaps ausgelöst ist, der Depression liegt, das an dem Mangel an Liebe zu sich selbst und zum Leben entsteht, sondern im Unterschied zu anderen Formen der Depression gerade aus Liebe zur Welt. Beseitigt noch nicht die Traurigkeit. Es gibt einem jedoch die Kraft zu handeln und dabei diese Liebe zur Welt zu beweisen. So kann man der dialektischen Dynamik entgehen, wenn sich Leid leicht entschuldbar in Depressionen, Verbitterung sowie Wut in Hass auf andere und das System verwandelt.
Dabei nimmt sie Bezug auf literarische, aber auch auf religiöse Texte wie das Buch Hiob oder die Klagelieder von Jeremia, die oft am Anfang der Kapitel zitiert werden. Für die Autorin weisen die biblischen Texte darauf hin, dass die Hoffnung nicht von der Konfrontation mit Schmerz und Leid zu trennen ist, und dass sie sich auf eine Zukunft richtet, die nicht vollständig vorhersehbar ist.
Gerade in unserer heutigen Zeit, die von Kriegen, Pandemien, Klimakrise usw. gekennzeichnet ist, scheint es leicht, die Hoffnung zu verlieren. Pelluchon bezeichnet Verzweiflung als eine große Versuchung und weist darauf hin, dass nur eine Energie, die stärker als die Verzweiflung ist, diese auslöschen kann. Und diese Art von Hoffnung hat mit dem Wandel der Subjektivität, einer Entäußerung des Gemüts zu tun. Die Hoffnung entsteht weder durch erbauliche Rede noch durch einen Willensakt, sondern sie ist eine Art Sprung, nicht unbedingt in den Glauben, wie sie in Bezug auf Kierkegaard schreibt: “Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas bereits da ist, selbst wenn die Ereignisse Menschen Unrecht zu geben scheinen, die einen Fortschritt verkünden. Fortschritt im Sinne einer unvermeidlich unumkehrbar positiven Entwicklung.“
Dies stellt ihre Hauptthese dar, die in den folgenden Kapiteln in Form von einzelnen thematischen Essays durchgespielt wird, die Bezug auf Vorträge der Autorin nehmen. Besonders die Kapitel 4 „Der Klimawandel. Die Möglichkeit einer Unmöglichkeit“, Kapitel 5 „Hinter den Spiegeln mit den Tieren“ und Kapitel 6 „Das Weibliche. Oder die Kunst der Metamorphosen“ sind von entscheidender Bedeutung. Immer wieder macht sie auf den Zusammenhang von individuellem und kollektivem Leid aufmerksam, zudem auf Lebenskonzepte, die es zu überwinden gilt, weil sie der Verzweiflung und Depression Tür und Tor öffnen:
Hoffnung erfordert das Aushalten des Negativen. Und das Erkennen der extremen Ungewissheit, in der wir uns als Menschen gerade, aber von jeher befinden. Gerade ausgehend von dieser extremsten Ungewissheit und der größten Fragilität können wir mögliches Erkunden, uns Unterstützung holen, Bündnisse aufbauen und Ressourcen finden.
Nicht zuletzt sieht sie diese Art von Attitude im Umgang mit der Literatur und vor allem den Kindern besonders virulent, weshalb sie als Proto- oder Archetyp ein Märchen von Péguy für die Hoffnung nimmt, wonach die Hoffnung als ein kleines Mädchen dargestellt wird: „Die kleine Hoffnung sieht unscheinbar aus, aber sie ist diejenige, die ihre älteren Schwestern mit sich zieht und sie trägt. Denn die Liebe liebt, was ist, und der Glaube sieht, was ist. Doch die Hoffnung liebt, was sein wird und sieht, was sein wird.“ Mit dieser Beschreibung legt Pégui nahe, dass die Hoffnung mit einer gewissen Demut einhergeht, und dass ihr Kraft nicht Spektakuläres an sich hat, sodass man sie leicht übersieht.
Corine Pelluchon hat ein kleines, aber ungemein wichtiges Buch vorgelegt, das ihre Studien der letzten Jahre innerhalb der Moralphilosophie und der politischen Philosophie aufgreift, zudem Fragen der Angewandten Tier-, Umwelt- und Medienethik aufwirft. Insofern lässt sich ihre Arbeit ohne Zweifel zu jener Art von Zukunftsforschung rechnen, wovon es noch viel zu wenig gibt, und die in absehbarer Zeit immer stärker gebraucht zu werden scheint.
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