Immer noch Sturm
Maja Haderlap brilliert mit ihrem sprachmächtigen Familienroman „Nachtfrauen“
Von Klaus Hübner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass die 1961 im südlichen Kärnten geborene Maja Haderlap gute Literatur schreiben kann, weiß man spätestens seit ihrem 2011 mit dem Bachmann-Preis ausgezeichneten Romandebüt Engel des Vergessens. Gute Literatur – keine pseudoliterarischen Betextungen aktueller Medienthemen! Ihr sprachlich wie stilistisch herausragender Roman Nachtfrauen bestätigt das auf’s Schönste. Sein Thema: Wie umgehen mit der alten Mutter? Mit der Familie oder dem, was davon übrig ist? Was bleibt, was verschwindet? Was für Leben führten eigentlich Mutter Anni und Großmutter Agnes, und warum wurde ihnen Miras Tante Dragica, die sich für eine Zukunft im sozialistischen Slowenien entschieden hatte, nicht zum Vorbild? Und zugleich: Wie geht man mit sich selbst um, mit den weiterwirkenden Kränkungen der Kindheit, dem Trauma, an Vaters Tod schuld zu sein, der „bedrückenden Atmosphäre aus Scham und Schuld“? Wie stellt man sich der gnadenlos katholisch geprägten dörflichen Vergangenheit, zu der auch die lange Zeit unterdrückte slowenische Kindheitssprache gehört? „Alles löst sich auf, die Nähte im Gewebe sind beschädigt“.
Mira, nicht mehr jung und noch nicht alt, verabschiedet sich von ihrem Ehemann Martin und düst, nicht zum ersten Mal, auf der Südautobahn von Wien ins heimatliche Jaundorf. Diese Fahrten waren immer schon „Expeditionen im eigenen Land, Reisen ins Innere ihrer Kindheit“. Jetzt aber wird sie von ihrem Bruder zu einer unangenehmen, schmerzlichen Mission genötigt – kann sie ihrer körperlich hinfälligen, aber geistig überaus fitten Mutter klarmachen, dass sie demnächst in ein Seniorenheim umziehen muss? Leicht wird das nicht. „In ihrer Familie war man mit dem Äußern von Gefühlen nie zurechtgekommen“. Wie die Autorin Annis Mischung aus ausgeprägtem Eigensinn und schlichtem Pragmatismus, wie sie Miras widersprüchliche Gefühlslagen und vehemente Selbstzweifel in Worte fasst, ist beeindruckend. Auch in den Passagen mit Miras Jugendliebe Jurij – natürlich bleibt es nicht bei einem Treffen im Brauhaus: „Ihr Nachgeben war gleichzeitig ein Aufatmen, ein tiefes Aufatmen“.
Das Dorf der Kindheit existiert schon lange nicht mehr – Maja Haderlaps genaue Beobachtungen und präzise Schilderungen des heutigen Provinzlebens sind nicht nur ein sprachlicher Genuss, sie sind auch fulminante, oft bedrückende mikrosoziologische Studien über die Umbrüche im dörflichen Alltag der letzten Jahrzehnte sowie über skandalöse Schicksale von Frauen über Generationen hinweg – „…eine Frau arbeitet nicht, sie arbeitet zu, so haben sie dahergeredet…“. Enge, reduzierte Frauenleben – das ist das Zentralthema des zweiten Romanteils, in dem es um Anni und Agnes geht. „Nur Befehle, Belehrungen und Gebete, der Rest war Schweigen“ – warum diese „Ausweglosigkeit ihrer Existenz“?
Nachtfrauen ist ein literarisch anspruchsvoller, sprachmächtiger und doch leicht zu lesender Familienroman und zugleich ein aufwühlender historisch-politischer Text. Vor allem aber ist es ein außergewöhnlicher Roman über Frauenfiguren, und zwar keineswegs nur für Frauen. Großartig!
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