Etwas war schiefgelaufen

Eine kundige wie sorgfältig aufbereitete Sammlung bringt Licht in das verborgene Leben des legendären „Vater des tschechoslowakischen Underground“

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Bis heute bin ich eine naive Seele, damals war ich es noch viel mehr“ seufzt Egon Bondy gegen Ende seiner eigentümlichen Erinnerungen an die Jahre zwischen 1947 und 1957. Nach 22 Kapiteln atemberaubender Abenteuer und Abstürzen, Zusammenbrüchen und Zwischenfällen mutet diese Selbsteinschätzung seltsam an. Der in Prag mit dem Namen Zbyněk Fišer geborene Egon Bondy (1930-2007) galt zeitlebens als Enfant terrible der tschechischen Literatur, wobei seine Bücher – mit Ausnahme des Reformjahres 1968 – erst nach der Samtenen Revolution von 1989 in seiner Heimat veröffentlich werden durften. Sein mondäner Ruf hing ihm jedoch bereits in den 1970er und 1980er Jahre an, als Texte von ihm im Samizdat (also im handgetippten Selbstverlag) im Umlauf waren. Für Egon Bondy eröffnete sich damals ein besonderer Wirkungskreis, als halblegale Konzerte der legendären Rockgruppe „Plastic People of the Universe“ von sich reden machten, in welchen Gedichte von Bondy vertont worden waren. Bondy und die Plastics hatten sich in einer Prager Kneipe kennengelernt und Gefallen aneinander gefunden.

Mit den vorliegenden Erinnerungen, 1981 ohne jede Chance auf eine Veröffentlichung niedergeschrieben, werden erstmals biographische Einblicke in Bondys frühe Jahre ermöglicht. Seit seiner Jugend hatte er sich als revolutionärer Marxist und Trotzkist verstanden. Den kommunistischen Umsturz im Februar 1948 begleitete er mit einer roten Fahne. Glühend vor Begeisterung stand Bondy in der ersten Reihe, als der Genosse Klement Gottwald auf dem Balkon des Altstädter Rings seine legendäre Rede hielt. Und noch am selben Tag beobachtete er mit Ernüchterung, dass die sich zerstreuende revolutionäre Menge nachhause zum Mittagessen drängte: „Es war kalt, weiße Schneeflöckchen rieselten durch die Luft, und tief in meiner Seele machte sich das Gefühl breit, dass da etwas schiefgelaufen war“.

Ernüchterung hatte eingesetzt, als er sich bemühte, als Jugendfunktionär der jungen Revolution zu dienen. Und schnell begann er zu begreifen, dass es ihm nicht möglich war, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Ganz gegen die Parteilinie zog es ihn künstlerisch zum Surrealismus, was mit dem „sozialistischen Realismus“ unvereinbar war und setzte auf Sigmund Freuds Psychoanalyse ebenso unbeirrt, wie politisch auf den Marxismus.

Phasen alkoholischer Exzesse wechselten mit Versuchen, auf die Beine zu kommen. Es entwickelt sich ein Leben als asoziales Subjekt im Windschatten des unbarmherzigen Stalinismus. Prominente Opfer wie etwa Záviš Kalandra oder Karel Teige hatte er kennengelernt, da Bondy seine widersprüchliche und exzessive Existenz zugleich an der Literatur und philosophischen Fragen ausrichtete. Zeitlebens schrieb Egon Bondy Notizen nieder, Gedichte und sogar Romane. Er übersetzte Christian Morgenstern aus dem Deutschen. In aufrichtiger Unbescheidenheit hielt er sich für einen der bedeutendsten tschechischen Schriftsteller.

Vor allem seine erotische Beziehung zu Honza (Jana) Krejcarová, der Tochter und Kafka-Bekannten Milena Jesenskás, glich dem Verhältnis einer Motte zum offenen Licht. Honza Krejcarová, die ebenfalls Gedichte schrieb, schildert Bondy als hemmungslose Nymphomanin, der er freilich, trotz wiederholter theatralischer Trennungen, widerstandslos ergeben war. Wenn es nicht anders ging, mussten die beiden betteln und stehlen, während Jana auch vor Gelegenheitsprostitution nicht zurückschreckte. Zugleich drohten der Armeedienst und Zwangsarbeit. Vor dem Schlimmsten bewahrte ihn sein Vater, indem er Bondy wiederholt in die Psychiatrie einwiesen lies. Eine Zeitlang verdingte er sich als Schmuggler und überquerte illegal die Grenze zu Österreich, wo er dem französischen Geheimdienst ein unschlagbares Rezept vorschlug, um die Sowjetunion zu bändigen. Es sind diese Umstände, die exhibitionistische Anwandlungen in Egon Bondys dichte Prosa hineindrängen. Und doch liegen zugleich zeitgeschichtliche Einblicke aus einer Perspektive der Hinterhöfe jenseits des offiziellen Pathos eines Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft vor.

Ausdrücklich hervorgehoben werden muss der von der renommierten Übersetzerin Eva Profousová erstellte Anmerkungsapparat, der auf bedeutende Persönlichkeiten und Ereignisse verweist, die außerhalb Tschechiens wenig bekannt sind. Ein kundiges Nachwort von Jan Faktor dient der literarischen Einordnung Egon Bondys. Zudem trägt Faktor, der seit seiner Übersiedelung aus der ČSSR in die DDR seit 1978 in Berlin lebt, Erhellendes über das Bekanntwerden einer Zusammenarbeit Egon Bondys mit der tschechoslowakischen Staatssicherheit bei. In den 1990er Jahren waren entsprechende Belege veröffentlicht worden. Eine Auswahl von Gedichten und Auszügen aus Tagebüchern Egon Bondys sowie einige Fotos unterstreichen die hervorragend aufbereitete und ansprechende Ausgabe. Die Übersetzung der obszönen wie sperrigen Gedichte haben Jan Faktor und Annette Simon vorgenommen.

Bondys zahlreichen poetischen wie auch philosophischen Texte harren weitgehend noch der Übersetzung. Dass mittlerweile zwei Romane mit hervorragenden Übersetzungen von Mira Sonnenschein vorliegen, ist dem Berliner Elfenbein Verlag zu verdanken.

Titelbild

Egon Bondy: Die ersten zehn Jahre.
Aus dem Tschechischen von Eva Profousová.
Guggolz Verlag, Berlin 2023.
235 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783945370411

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