Dämonenhatz und Schwarzmalerei

In Monika Geiers achtem Bettina-Boll-Roman geschehen unheimliche Dinge in einem kleinen Ort in der Pfalz

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nein, leicht hat es die seit dem Krebstod ihrer Schwester nur noch halbtags arbeitende Kriminalkommissarin Bettina Boll nicht. Denn die Fälle, mit deren Lösung sie sich beschäftigt, verlangen eigentlich ihre volle Konzentration. Aber da sind die zwei elternlosen Teenager Enno und Sammy, die versorgt werden wollen und gelegentlich auch einmal über die Stränge schlagen. Und auch das von ihrer ungeliebten Tante ererbte Haus mitsamt Garten, das irgendwann verkauft werden soll und in dessen Keller man im vorausgegangenen Roman Alles so hell da vorn (2017) sogar ein Skelett entdeckt hat, erhält sich wahrlich nicht von allein.

Antoniusfeuer ist bereits der achte Fall, in dem die Ludwigshafener Kommissarin ermittelt. Und wieder ist es für Monika Geiers taffe und alles andere als auf den Mund gefallene Heldin gar nicht so einfach, sich neben all den sie umtreibenden familiären Problemen auch noch mit dem Suizid eines in der Öffentlichkeit nur zu bekannten afghanischen Straftäters zu beschäftigen, der sich ausgerechnet in der JVA Schifferstadt das Leben genommen hat. Doch ihr neuer Dienststellenleiter Willenbacher möchte unbedingt, dass sie sich der Sache annimmt, weil er den Kollegen Tavanaianfar aufgrund von dessen Abstammung und Religion für zu befangen hält. Einfach nicht noch einmal Staub aufwirbeln in Sachen Muhammad Al-Afghani, lautet die Anweisung. Denn der afghanische Flüchtling hatte mit dem Eifersuchtsmord an seiner deutschen Freundin vor sechs Jahren die Öffentlichkeit schon genug aufgebracht.

Ihre Ermittlungen in Sachen Al-Afghani führen Bettina zunächst in das bei Speyer gelegene, beschauliche Örtchen Frohnwiller. Dort ist der dubiose Sozialarbeiter Moritz Johann Hansen, kurz „Mojo“ genannt, zu Hause. Dieser soll den Afghanen während seiner Haft in Schifferstadt eine Zeit lang besucht und ihn, obwohl er keinerlei Berechtigung dafür besaß, exorziert haben. Dass das wunderliche Mitglied der Selbsthilfegruppe „Die Wüste“ nach seinem Gespräch mit der Kommissarin plötzlich wie vom Erdboden verschwunden ist, macht Bettinas Mission nicht leichter. Zumal sie fast gleichzeitig erleben muss, dass jemand in der Frohnwiller Kirche „Unsere liebe Frau“ ein Altarbild, auf dem Maria mit dem Jesuskind zu sehen war, dergestalt übermalt hat, dass von Jesus nur noch eine schwarze Kontur übriggeblieben ist. Unversehens gerät Monika Geiers Heldin in ein immer undurchschaubareres Dickicht aus Glauben und Aberglauben, katholischen Aktivisten und rücksichtslosen Wutbürgern, Verdrängung und Vertrauensverlust, in dem auch der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald keine unwichtige Rolle spielt.    

Monika Geier hat mit ihrer Kommissarin Bettina Boll, die seit 1999 in den Romanen der geborenen Pfälzerin ermittelt, eine Figur erschaffen, die sich von niemandem auf der Nase herumtanzen lässt. Bodenständig und mitfühlend, cool und entschlossen, klug, aber auch ihrer Intuition vertrauend ist diese nicht unbedingt für die Arbeit im Team geschaffene Frau. Lieber geht sie allein los, setzt sich den Dingen und Menschen ungeschützt aus, um anschließend ihre Schlüsse zu ziehen. Da sie mit ihrem neuen Chef vor Jahren schon einschlägige Erfahrungen gemacht hat, wird auch der ihr wohl nicht die Butter vom Brot nehmen können. Doch immerhin macht er mächtig Betrieb, treibt sie an und zieht nach einem Drittel des Romans aufgrund eigener familiärer Sorgen sogar als Bettinas Untermieter ins Dachgeschoss ihres alten Hauses ein. Damit aber fangen die Probleme erst richtig an.

Antoniusfeuer ist ein Kriminalroman, den man nicht wie so manches andere Stück Spannungsliteratur einfach nebenbei lesen kann. Ohne Konzentration kommt man da schnell ins Schleudern. Denn das Buch spielt an etlichen Schauplätzen, bezieht unterschiedliche Zeiten ein – mit Matthias Grünewalds Isenheimer Altar, einer Art historischer Folie für die Gegenwart, geht es gar zurück bis an den Anfang des 15. Jahrhunderts – und präsentiert eine Fülle von Figuren, die, wie immer bei Monika Geier, alle das eine zu sein scheinen, aber etwas völlig anderes sind.

Dass dieses völlig andere beileibe nicht immer etwas Gutes sein muss, merkt Bettina ziemlich schnell. Denn einerseits bekommt sie es in Frohnwiller mit der schwer zu durchschauenden Ina Rotas, der Schwester des vor Jahren unter merkwürdigen Umständen verunglückten Pfarrers der kleinen Gemeinde, zu tun, die sich für ihren auf den Rollstuhl angewiesenen Sohn Manuel scheinbar aufopfert und zusätzlich noch dafür sorgt, dass ihre zweijährige Enkelin, das uneheliche Kind von Manuels großer Schwester Pia, ein ordentliches Zuhause hat. Und andererseits spielen sich auch in und um das geerbte Haus Bettinas in Grünstadt merkwürdige Dinge ab. Sollte ihr Ziehsohn Enno – wie schon einmal – wieder mit Drogen dealen? Und hat der gegenüber wohnende Julius, ein scheinbar harmloser, gutverdienender Normalo mit Bilderbuchfamilie, Pool und SUV, mehr im Sinn als gutnachbarliche Beziehungen, wenn er Bettina in schöner Regelmäßigkeit auf die Pelle rückt und gar ihrer Ziehtochter Sammy anbietet, sie mit in den Familienurlaub zu nehmen?        

Stress zu Hause und Ärger im Job sind nichts, was Bettina Boll fremd wäre. Bisher hat sie beides immer dank ihres starken Charakters und einer gehörigen Portion Unerschütterlichkeit – von anderen oft fälschlicherweise als Unverschämtheit wahrgenommen – verkraften können. Allein in welches Gewirr aus verrückter Mutterliebe, zeichenhaften Hilferufen, alten und neuen Gewalttaten, kirchlichen Missbrauchsfällen und eingebildeten Krankheiten, Mutterkorn (jener für die „Antoniusfeuer“ genannte Vergiftung verantwortliche, aus Getreideähren herauswachsende Pilzart, die im Roman für mehrere Todesfälle verantwortlich ist) und „Omas Bonbonladen“ (einer Internetseite, die darüber aufklärt, welche Genüsse sich aus den Hausapothekenrückständen der Altvorderen gewinnen lassen) sie diesmal gerät, verlangt ihr doch einiges an Kraft und Glauben an das Gute im Menschen ab.   

Antoniusfeuer ist ein Roman, der im Kleinen eines abgeschiedenen Pfälzer Dörfchens ein Abbild unserer heutigen Welt erschafft. Was die großen Gazetten und Zeitschriften in ihrem unstillbaren Hunger nach Informationen auch immer titeln – in Frohnwiller findet es einen zum Dorfklatsch herabgesunkenen Widerhall. Der ist manchmal näher an Fakenews, als es den Personen, die ihn verbreiten, bewusst sein mag. Da ist von Hexerei die Rede, von Besessenheit, bösen Mächten und Teufelsaustreibungen. Doch begegnet man all dem mit dem gesunden Menschenverstand, dem im Diesseits verankerten Denken und der Empathie einer Bettina Boll, landet man mir nichts, dir nichts in deren Fachgebiet, nämlich bei dem, wozu die Menschen keine Dämonen brauchen, sondern nur ihre niederen Instinkte, um es sich gegenseitig anzutun.     

So gekonnt wie raffiniert ist es, wie Monika Geier ihre Figuren Kontur gewinnen lässt, indem sie sie häufig aus der Perspektive anderer beschreibt. Und auch der Dialekt ihrer Pfälzer Heimat kommt nicht zu kurz und wird so locker-launig in die Gespräche der Frohnwiller Bevölkerung eingebunden, dass man sich ganze Dialoge gleich noch einmal laut vorlesen möchte. „Isch guck jo net, wie äner aussieht, awwer der, echt, der dut doch beschdimmt selwer als ebbes inwerfe!“, äußert sich beispielsweise einer der Bürger über den schrägen Exorzisten Mojo Hansen. Und apropos Exorzismus: Gegen Ende muss sogar die zwar in einem katholischen Internat erzogene, aber alles andere als gottgläubige Kriminaloberkommissarin – ja, Bettina Boll ist nach ihrem achten großen Fall tatsächlich befördert worden – einen Dämon austreiben. Aber was tut man nicht alles dafür, damit es jenen, denen eigentlich die Zukunft gehören soll, bereits im Hier und Heute besser geht?   

Titelbild

Monika Geier: Antoniusfeuer.
Argument Verlag, Hamburg 2023.
428 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783867542708

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch