Critical Whiteness in Prosa

In ihrem Debütroman „I’m a fan“ diskutiert Sheena Patel das Verhältnis zwischen Weißsein und Nicht-weiß-Sein und hält der weißen Mainstream-Gesellschaft den Spiegel vor

Von Lisa Pychlau-EzliRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa Pychlau-Ezli

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ich oute mich an dieser Stelle als weiß. Wenn man Literatur rezipiert, dann spielt es durchaus eine Rolle, aus welcher Perspektive man dies tut. Die eigene soziale Position hat insbesondere dann einen Einfluss auf das Textverständnis, wenn zwischen der Lebenswirklichkeit der fiktionalen Figuren des Textes, der Lebenswirklichkeit des/der Autor:in und der Lebenswirklichkeit des/der Rezipierenden ein Gefälle in Bezug auf soziale Ungleichheitsverhältnisse wie race, class und gender besteht. Neutrale Rezeptionspositionen gibt es nicht. In einem Text, den eine woman of color über eine woman of color geschrieben hat, werden mir als weißer Frau also andere Dinge auffallen als einer rezensierenden Person, die ebenfalls eine woman of color oder ein weißer Mann ist.

Die Literaturkritik hat Sheena Patels Erstling bisher hauptsächlich als Beleg für den „Wahnsinn unserer fortschreitenden Gewichtsverlagerung ins Digitale“ verstanden (Welt). Selbstverständlich spielt dieses Thema eine (bedeutende) Rolle. Ich erkenne als thematischen Schwerpunkt jedoch ganz klar die Auseinandersetzung nicht-weißer Menschen mit dem Weißsein. Nicht zufällig gehört Sheena Patel dem Kollektiv 4 BROWN GIRLS WHO WRITE an, deren erklärtes Ziel es ist, aus einer authentischen Perspektive gegen stereotype Darstellungen von People of color anzuschreiben.

Patels Roman wird aus der Ich-Perspektive der Protagonistin erzählt, einer unzufriedenen jungen Frau britisch-indischer Herkunft. Auf der Handlungsebene geht es um den Konflikt der Hauptfigur, den reichen, gebildeten und sogar prominenten weißen Mann, „mit dem ich zusammen sein will“, nicht dauerhaft an sich binden zu können, obwohl sie mit ihm eine Art Affäre unterhält. Sowohl eifersüchtig als auch voller Bewunderung stalkt die Hauptfigur daher online jene Frau, „von der ich besessen bin“, mit der dieser besagte Mann (der nebenbei auch noch verheiratet ist) ebenfalls eine Beziehung hat; wobei er die diese Frau, die weiß ist, offenbar bevorzugt. Alle Protagonist:innen bleiben namenlos. Sie sollen wohl keine Individuen darstellen, sondern vielmehr als Stellvertreter:innen für Denkrichtungen und gesellschaftliche Positionen fungieren und auf verfestigte Denk- und Handlungsmuster aufmerksam machen.

Die Kategorie „race“ spielt dabei eine zentrale Rolle; ebenso bedeutend sind die Kategorien „class“ (Reichtum, Bildung) und „gender“. Es ist die intersektionale Überschneidung dieser sozialen Ungleichheitskategorien, die Personen wie die namenlose Hauptprotagonistin und Ich-Erzählerin in die Rolle der Beobachterin und Bewunderin, also eines „Fans“ drängen. Diese Rolle zu erfüllen, gelingt im digitalen Zeitalter umso einfacher; die Verlagerung eines Teils der Handlung ins Digitale ist also nicht das eigentliche Thema des Textes, sondern vielmehr (Stil)Mittel zum Zweck.

Dank der digitalen Medien ist die Protagonistin problemlos in der Lage, sowohl den „Mann, mit dem ich zusammen sein will“ als auch die „Frau, von der ich besessen bin“ zu stalken. Ihre Haltung schwankt dabei zwischen Bewunderung, Identifikation, Selbstverlust und ohnmächtiger Wut. Diese toxische Mischung ist es ihrer Ansicht nach, was einen Fan ausmacht. Denn Fans bewundern nicht nur, „Fans machen ihre Heldinnen und Helden zu einem Teil ihrer Identität […] und müssen nicht mehr die entsprechende Verantwortung tragen“. Fans sind somit auch selbst schuld an sozialer Ungerechtigkeit; sie tragen ihren Teil zu ausgrenzenden Strukturen bei. Gleichzeitig reflektiert die Hauptfigur, dass ihre eigene Identität in einer fremden Identität verloren geht: „Ich weiß das, da ich ihn ebenfalls stalke, für den Fall, dass er Fotos von ihr postet, weil ich gern weiß, was sie jeden Tag trägt, weshalb ich mich scheiße fühle, aber auch so, als hätte ich was erreicht, obwohl ich mich in Wahrheit jedes Mal ein bisschen mehr selbst verliere.“

Für die Hauptfigur ist ihr Fansein untrennbar mit dem Nicht-weiß-Sein verknüpft. In ihrer Position als Fan kann sie die Privilegien der Weißen nur bewundern, aber niemals selbst erreichen. Der Reiz des Mannes besteht für sie nicht darin, dass sie sein Äußeres besonders attraktiv findet, seinen Intellekt oder seinen Charakter, sondern vor allem in seiner sozialen Position und der damit verbundenen Macht: „Er ist der lebendige Zugang zu der Art sozialer Mobilität, die ich gern hätte.“ Um an den weißen Privilegien partizipieren zu können, ist sie bereit, auf eine eigene Identität zu verzichten: „Ich füge mich in bestehende Räume ein, verbiege mich, um der Form zu entsprechen, die andere für mich vorgesehen haben. Ich besitze nichts.“

Deutlich entstehen dabei Dichotomien zwischen der Bereitschaft nicht-weißer Figuren zu Assimilation, Selbstaufgabe und Bescheidenheit und der rücksichtslosen Selbstinszenierung weißer Figuren. So ist die Hauptfigur von ihrer Herkunftskultur entwurzelt, während die „Frau, von der ich besessen bin“ ihre Wurzeln feiert und inszeniert. Während es für den Vater der einen peinlich war, aus finanzieller Not einen zweiten Job bei KFC annehmen zu müssen, behauptet die andere, fünf Jobs zu haben, obwohl sie in Wirklichkeit keinen hat. Während die eine das als bildungsfern eingeschätzte kolonialfranzösische Kreol der Eltern absichtlich nicht erlernen sollte und daher monolingual ist, ist die andere gleich mehrerer Sprachen mächtig. Sind die einen stolz auf ihre nagelneuen Billigmöbel, so ist für die andere das Beste an Antiquitäten gerade gut genug. Essen die einen ausschließlich Industrienahrung, so kreiert die andere liebevoll Menüs aus selbstgezogenem Biogemüse. Race (und class) und die damit verbundenen Privilegien und Möglichkeiten werden zum Schlüssel für Selbstverwirklichung: „Meine Hautfarbe überdeckt fein säuberlich meine Individualität. Die Frau, von der ich besessen bin, wird nie etwas anderes sein als individuell.“

Doch die Problematik erschöpft sich nicht darin, dass die einen auf Privilegien wie Individualität, Reichtum oder Freizeit verzichten müssen, während die anderen Zugang zu diesen haben. Was die ohnmächtige Wut der Hauptfigur verursacht, ist die Tatsache, dass weiße Menschen noch einen Schritt weitergehen und sich zur Selbstdarstellung ihrer Identität in den Kulturen nicht-weißer Menschen bedienen. Auch ihr Stalkingopfer kritisiert die Hauptfigur für kulturelle Aneignung zwecks der Selbstinszenierung mit „Dinge[n], die ihrem kulturellen Kontext entrissen wurden, um kunstvoll dein Heim zu schmücken und dich interessanter zu machen“.

Außerdem erkennt die Hauptfigur, dass weiße Menschen es nicht dabei belassen, sich mit Dingen zu inszenieren; sie inszenieren sich zudem mit Menschen: „Ich brauche ziemlich lange, bis ich raffe, dass der Mann, mit dem ich zusammen sein will, wenn er sagt, er zeige sich gern mit mir in der Öffentlichkeit, eigentlich meint, dass er genießt, was meine Hautfarbe anderen Menschen über ihn sagt.“ Die Hauptfigur lebt fortan in dauerhaftem Zustand von racial stress. Auf diese Empfindung läuft letzten Endes auch ihre Beziehung zum „Mann, mit dem ich zusammen sein will“ hinaus: „[Es fühlt sich an], als kämpfe ich unmittelbar gegen die alten kolonialen Strukturen, in denen er alles hat, behält und nimmt und ich gebe und biete und nie etwas dafür verlange.“

Den weißen Figuren in Machtpositionen, die das Potenzial haben, den Mainstream zu beeinflussen, scheint diese Problematik allerdings nicht im Mindesten bewusst zu sein; weder dem besagten Mann, noch der „Frau, von der ich besessen bin“:

[W]arum muss ich die historische Last tragen? Sie kann entspannt glauben, das läge alles hinter uns und wird nie hinterfragt, weil die anderen genauso denken wie sie. […] Sie versteht nicht, was Rassismus wirklich ist. Sie postet nur die außergewöhnlichen Dinge, die Schwarze Menschen tun.

Rassismus äußert sich also bei Sheena Patel vor allem in der Blindheit weißer Menschen für die postkolonialen Ausbeutungsstrukturen und damit verbunden auch dadurch, „wie krass Weiße einfach für alles Empathie aufbringen können außer für dunkelhäutige Menschen.“

Eine Möglichkeit für nicht-weiße Menschen, ihre persönliche gesellschaftliche Position zu verbessern, besteht der Hauptfigur zufolge darin, dem weißen Mainstream „pornografische Traumaballaden“ zu liefern, also öffentlich über persönliche Rassismuserfahrungen zu sprechen. Dies reiche aber nicht aus, um die gesellschaftliche Situation nicht-weißer Menschen auf struktureller Ebene grundsätzlich positiv zu beeinflussen, sondern nur, um „Zutritt zu den heiligen Hallen [zu] erhalten, in denen uns weiße linke Kunstmenschen als Symbol ihres ideologischen Fortschritts zum Token machen“. Daher muss geklärt werden: „An wen genau richten wir uns mit unserer Kreativität? Was wollen wir damit erreichen? Was macht das mit unserer Stimme?“

Die Frage, wie man als nicht-weißer Mensch auf struktureller Ebene Einfluss nehmen kann, löst die Autorin für sich, indem sie aufzeigt, wie ihre namenlose Ich-Erzählerin bis zum Ende ein „Fan“ bleibt und zwischen Träumerei, Hoffnung, Bewunderung, Wut und den Banalitäten des Alltags verharrt. Die Hauptfigur bleibt unfähig, Individualität und Handlungsmacht zu erlangen, weil diese Dinge die Privilegien reicher weißer Menschen sind. Auf diese Weise hält die Autorin sowohl weißen als auch nicht-weißen Rezipierenden den Spiegel vor. Als weiße Rezipierende ist es sowohl lehrreich als auch heilsam, die Bedeutung des privilegierten Weißseins für nicht-weiße Menschen inklusive vieler damit verbundener Implikationen so deutlich vor Augen geführt zu bekommen.

Titelbild

Sheena Patel: I’m a Fan.
Aus dem Englischen von Anabelle Assaf.
hanserblau, Berlin 2023.
240 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783446276802

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