Celans Dichtung als Ausdruck des Schicksals – Ein Zeitgenosse erinnert sich

Der rumänische Dichter Petre Solomon über seine Begegnungen mit Paul Celan in Bukarest und Paris und zu Einflüssen auf dessen Werk

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paul Celan gilt als einer der bedeutendsten Lyriker deutscher Sprache des 20. Jahrhunderts. Sein Leben und Werk sind seit Jahrzehnten und bis heute Gegenstand unzähliger germanistischer Interpretationen. Seine jüdische Herkunft und das Trauma, das er durch das Schicksal seiner Eltern und den Verlust der Heimat, das multikulturelle Czernowitz/Cernăuți in der Bukowina, erlitten hat, sind allgemein bekannt. Die Jahre 1945–1947, die er als junger Mann in Bukarest verbrachte, dürften jedoch weniger im Bewusstsein der Forschung sein. Zur Schließung dieser Lücke trägt der vorliegende Band insofern bei, als er Einsichten und Wertungen des Zeitgenossen Petre Solomons enthält, die sich aus seinem direkten Kontakt und der Korrespondenz mit Paul Celan speisen sowie aus der Auseinandersetzung mit dessen Werk, vor allem mit den Mitte der 1940er Jahre in Bukarest entstandenen Texten in rumänischer Sprache.

Der rumänische Dichter Petre Solomon war ein Kollege Celans im Bukarester Verlag „Cartea rusă“ (Das russische Buch), in dem beide als Übersetzer tätig waren. Daraus entstand eine Freundschaft, die bis zum Tod Celans 1970 hielt. Gemeinsam verbrachten sie von 1946 bis 1947 eine anregende Zeit, die von Zusammentreffen der jungen Bukarester Schriftsteller geprägt war, von Vergnügungen, Ausflügen und Liebschaften. Celan durchlebte damals augenscheinlich eine relativ unbeschwerte Zeit. Voller Humor übte er sich im poetischen Gebrauch der rumänischen Sprache, die er seit seiner Kindheit in Czernowitz/Cernăuți sprach und die ihm andere Möglichkeiten als das Deutsche bot. Dazu gehörte als willkommene poetische Übung das Verfassen von Kalauern und Frage-/Antwortspielen, die Solomon und Celan miteinander austauschten. Die enge Beziehung der beiden Männer zeigt sich auch daran, dass Solomon Celans berühmtestes Gedicht Todesfuge ins Rumänische übertrug, das 1947 unter dem Titel Tangoul mortii (Todestango) in der Zeitschrift „Contemporanul“ (Der Zeitgenosse) erschien, wobei der Verfasser erstmals das Pseudonym Celan verwendete. Von langen Pausen unterbrochen bestand späterhin immer wieder Briefkontakt zwischen den beiden und in den Jahren 1966 und 1967 hatte Petre Solomon die Möglichkeit, Paul Celan in Paris zu besuchen.

1987 veröffentlichte Petre Solomon im Bukarester Kriterion-Verlag einen Band, in dem er seine Erfahrungen mit dem Freund festhielt. Anlass dafür war seine Teilnahme an einer Celan-Konferenz 1979 in Paris, auf der die vorgetragenen Werkinterpretationen und Übersetzungsdiskussionen seiner Ansicht nach nur sehr unbefriedigend die Person des Dichters, sein Wesen und Verhalten sowie die zeitgenössischen Rahmenbedingungen berücksichtigten. Daher beschreibt er in dem Band die Persönlichkeit Paul Celan, die damalige geistige Atmosphäre in Bukarest, den Kreis der „Dichterfreunde“ und skizziert das fruchtbare Verhältnis Celans zu den rumänischen Surrealisten. Solomon publizierte hier in seinem Besitz befindliche und bis dato unveröffentlichte Aufzeichnungen und Gedichte, die Celan auf Rumänisch verfasst hatte. Er weist nach, dass die Bukarester Zeit eine wichtige Etappe in Celans künstlerischer Entwicklung darstellte und formuliert Forschungsfragen, wie die nach der Auswirkung der rumänischen Sprachexperimente Celans auf sein Schaffen in deutscher Sprache. In den weiteren Kapiteln des Bandes widmet sich Solomon den nachfolgenden, von Isolation und psychischen Krisen geprägten Lebensetappen Celans in Wien und vor allem Paris, während der er unter den Schwierigkeiten des Exils, dem Gefühl, unverstanden zu sein, unter Anfeindungen und nicht zuletzt unter dem wiederaufflammenden Antisemitismus in Deutschland litt.

2008 gab unter Mitarbeit von Solomons Ehefrau ihr gemeinsamer Sohn Alexandru Solomon eine zweite Ausgabe des Bandes heraus, die der hier vorliegenden Übersetzung zugrunde liegt. Im Hauptteil enthält diese einige Änderungen von Petre Solomon selbst aus dem Jahre 1990, insbesondere kritische Anmerkungen, die zuvor aus politischen Gründen nicht möglich gewesen waren. Hinzugefügt wurden Fotos aus Celans Bukarester Zeit, Abbildung von Briefen, Notizzetteln usw. Grundlegend anders wurde allerdings der Anhang zusammengestellt: Anstelle von Celans auf Rumänisch verfassten Texten – Gedichte und lyrische Prosa sowie ein Beispiel für das „Frage- und Antwortspiel“ –, die dann aber teils in den Buchkapiteln im Rahmen von Analysen zitiert werden, Celans Übersetzung von vier Kafka-Texten ins Rumänische sowie Briefen, umfasst der Anhang der zweiten Ausgabe nun ausschließlich Texte von Petre Solomon: Ein Brief Solomons an Ury Benador und ein „Testament“ Solomons, der – wie Celan Jude – vorübergehend nach Palästina emigriert war, beleuchten das Thema Exil auch aus Perspektive des Verfassers. Aufsätze und Vorträge sowie zwei Gedichte Petre Solomons, die sich sämtlich auf Paul Celan und sein Werk beziehen, ein 2007 verfasstes Schlusswort der rumänischen Schriftstellerin Nina Cassian, die zum Kreis der beiden Freunde gehörte und das im Band entworfene Bild Celans bestätigen, erweitern und intensivieren die rumänische Perspektive auf Celan. Und dies betrifft nicht nur die Erinnerungen an die Person Celan, sondern auch Analysen seines Werkes, die sich kritisch mit ausschließlich textbezogenen Forschungen, wie dem Strukturalismus, auseinandersetzen. Petre Solomon unterstreicht in seiner Argumentation, dass zur adäquaten Deutung von Celans Werk unbedingt auch Leben und historischer Kontext dieses Dichters hinzugezogen werden müssen. Überzeugend widerlegt er Thesen, wie jene, Celan sei aus dem „Nichts“ gekommen oder jene vom „Verstummen“ des Dichters.

Übersetzt und herausgegeben wurde der Band von Maria Herlo, die in ihrem Vorwort auf die Schwierigkeit hinweist, die die Übertragung von Redewendungen, Sprichwörtern und Wortspielen bereitete. Ingrid Baltag besorgte die Übersetzungsrevision. Zahlreiche Fußnoten geben Erläuterungen zu konkreten Übersetzungsproblemen in den literarischen Texten wie auch zu historischen und kulturellen Spezifika und zu rumänischen Persönlichkeiten.

Da die Erstausgabe bereits vor 36 Jahren erschien, sind in der Zwischenzeit hier zitierte Briefe und Texte andernorts ins Deutsche übersetzt veröffentlicht und bestimmte Ereignisse, wie z. B. die Plagiatsvorwürfe von Claire Goll gegen Paul Celan, wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Selbstverständlich liegen nun auch viele neue Forschungsergebnisse zu Celans Werk vor. Jedoch sind allein schon die persönlichen Erinnerungen des Zeitzeugen Solomon, die hier erstmals auf Deutsch vorliegen, ein wichtiger, insbesondere auch atmosphärischer Beitrag zum Gesamtbild von Paul Celan.

Titelbild

Petre Solomon: Paul Celan – Die rumänische Dimension. Erinnerungen – Einflüsse – Prägungen.
Edition Noack & Block, Berlin 2023.
314 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783868131550

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