Maskulinistische Lügen und misogyne Gewalt
Asha Hedayatis Sachbuch „Die stille Gewalt“ zeigt, wie der Staat Frauen im Stich lässt
Von Rolf Löchel
Die Diskriminierungen und Benachteiligungen von Frauen sind zahllos, auch hierzulande. Einigen nicht zuletzt rechtlicher Art widmet sich Asha Hedayatis Buch Die stille Gewalt, in dem die Autorin laut Untertitel aufzeigt, „wie der Staat Frauen alleinlässt“, wenn sie von Männergewalt betroffen sind. Dabei geht es etwa um die Arbeit der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden, wobei gerade erstere „bei Gewalt gegen Frauen […] eine höchst widersprüchliche Rolle“ spiele.
Als auf Familien- und Scheidungsrecht spezialisierte Rechtsanwältin weiß sie, wovon sie spricht, wenn sie erklärt, „dass der Staat und seine Institutionen nicht nur oft untätig sind, sondern durch ihre Untätigkeit die Gewalt gegenüber Frauen sogar noch systematisch stützen“. Die „Ursachen“ sowohl für die Männergewalt gegen Frauen und den staatlichen Umgang mit ihr sieht die Autorin nicht nur in individuellen, sondern auch gesellschaftlichen „patriarchale[n] Prägungen, sexistische[n] und rassistische[n] Einstellungen oder unbewusste[n] misogyne[n] Grundannahmen“. Denn „die männliche Gewalt beginnt nicht mit einem Faustschlag, sondern mit einer Gesellschaft und einem Staat, die den Raum für die Gewalt schaffen: mit Sexismus, misogynen Mythen, Täter-Opfer-Umkehr, mit Strukturen, die Abhängigkeiten schaffen“. Daher, so betont sie, dürfe nicht nur der individuelle Gewalttäter in den Blick genommen werden, sondern etwa auch strukturelle Benachteiligungen in der Ehe, die besonders gravierend werden, wenn Kinder geboren werden. „Entscheidend“ dafür sei, dass Staat und Recht „die Institution Ehe [schützen], nicht die Menschen, die die Ehe eingehen“, und eben vor allem nicht die verheirateten Frauen. Allerdings sei es für Frauen rechtlich „noch nachteiliger […], wenn sie bei der Familiengründung unverheiratet bleib[en]“.
Hedayati zeigt nun, auf welch vielfältige Weise gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen Männern Möglichkeiten eröffnen, ihre (Ex-)Partnerin „zu kontrollieren“. Denn mit der Trennung endet deren Macht über das Leben der Frauen noch lange nicht. Und zwar auch hier wiederum insbesondere dann nicht, wenn gemeinsame Kinder vorhanden sind. Denn dann „greifen gleich mehrere strukturelle Risiken“ für deren Mütter.
Zwar zeigt die Autorin etliche „Formen der Gewalt“ auf, denen Frauen durch ihre Partner nur allzu oft auf vielfältige Weise ausgesetzt sind. Zu ihnen gehört etwa der beiläufige Hinweis des Ehegatten auf eine drohende Abschiebung, wenn der Aufenthaltsstatus der Frau davon abhängt, mit einem deutschen Mann verheiratet zu sein, ebenso wie das gemeinsame Wissen eines verheirateten Paares, dass dem Mann „konkrete körperliche Gewalt“ gegen seine von ihm schon öfter verprügelte Frau „als Instrument jederzeit zur Verfügung steht“.
Die beiden wichtigsten Abschnitte aber betreffen die „zementierte Ungleichheit“ durch wirtschaftliche Abhängigkeit. Es ist dies „die wirkmächtigste und zugleich unsichtbarste Form der Gewalt“, der Frauen in heterosexuellen Partnerschaften ausgesetzt sind. Dabei geht sie vielen anderen offensichtlicheren Gewaltformen voraus und ermöglicht diese häufig erst. Doch noch aus einem anderen Grund ist sie eine der gesellschaftlich folgenreichsten und vielleicht die auch am schwierigsten zu bekämpfende Form frauenfeindlicher Gewalt. Denn „sie durchdringt unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem“ in nahezu jedem Bereich. Hedayati geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn sie erklärt, beide, Gesellschaft und Wirtschaftssystem „fuß[en] im Grunde […] auf der wirtschaftlichen Unterwerfung der Frau“. Anders als „körperliche Gewalt“, die Frauen „punktuell und folgenschwer“ betreffe, wirke die ökonomische Gewalt „leise, aber durchgängig“. Das macht sie besonders perfide. Gerade, weil die wirtschaftliche Gewalt gegen Frauen so allgegenwärtig und zugleich unterbeleuchtet ist, ist es bedauerlich, dass die Autorin sie zwar thematisiert, ihr aber nur einige wenige Seiten widmet.
Weit ausführlicher geht sie auf die zweite zentrale Form männlicher Gewalt gegen Frauen in Partnerschaftsbeziehungen ein. Es ist diejenige, die sich in Scheidungssituationen gegen (Ex-)Partnerinnen richtet. Tatsächlich greifen die Problematiken der wirtschaftlichen Lage bzw. der Abhängigkeiten von Frauen in der Ehe bzw. in Scheidungs- und Kindschafts- oder Umgangsverfahren ineinander. Denn „Frauen, die sich trennen wollen, haben in Deutschland oft nur die Wahl zwischen Gewaltbeziehung und Armut – und das gilt vor allem dann, wenn sie Kinder haben“. Zudem sind zivilrechtliche Gerichtsverfahren für gewalttätige Väter während und nach der Scheidung oft die letzte verbliebene Möglichkeit mit ihrer Expartnerin gegen deren Willen in Kontakt zu bleiben oder diesen Kontakt wieder herzustellen; selbst dann, wenn sie an einen ihm unbekannten Ort, etwa in ein Frauenhaus geflüchtet ist. Entsprechend gern und häufig wird diese Möglichkeit von Männern genutzt und ausgekostet. Denn „der Staat lässt dem Vater fast immer eine Tür für den Umgang mit seinen Kindern offen“. Mag er auch etliche Jahre „untergetaucht“ sein und Unterhaltszahlungen verweigert haben, so hat er doch stets die Möglichkeit, plötzlich wieder aufzutauchen und auf Umgang mit dem gemeinsamen Kind zu pochen. Dies ist besonders fatal, weil der Staat im Falle von „Nachtrennungsgewalt des Vaters“ im Rechtsstreit allzu oft in der Rolle des „Komplizen“ auftritt. So berichtet die Autorin, dass sie als Anwältin in Kindschaftsverfahren „sehr häufig“ zu hören bekommt, dass „ein schlechter Partner […] trotz allem ein guter Vater sein“ könne. Denn, so wird argumentiert „die Gewalt auf der Partnerschaftsebene betrifft das Kind nicht“, sondern „finde ‚nur’ zwischen den Eltern statt“.
Zwar informiert Christina Mundlos in ihrem lesenswerten Buch Mütter klagen an noch um einiges ausführlicher über „institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder im Familiengericht“ als Hedayati, doch geht die Autorin des vorliegenden Bandes auf einen wichtigen Punkt ein, der bei Mundlos sträflich unterbelichtet bleibt: das „Narrativ der Väterrechtler“. Gewalttätige Väter, die ihm folgen, „[präsentieren] sich in familiengerichtlichen Verfahren als strukturell unterlegene Partei“. Mag dieses Narrativ die Tatsachen und Machtverhältnisse auch noch so sehr „verdrehen“, so ist es „dennoch kraftvoll“. Denn es gibt sich einen „progressiven Anschein“, der es „anknüpfungsfähig“ macht. Daher ist es „mittlerweile so verbreitet, dass es in familiengerichtlichen Verfahren teilweise unhinterfragt, übernommen wird“. Und nicht nur dort, so ließe sich anfügen. Denn sein vermeintlich progressiver Anstrich verfängt auch und gerade in sich als fortschrittlich und emanzipatorisch verstehenden Kreisen. Umso wichtiger ist, dass es von Hedayati zur Sprache gebracht und kritisiert wird.
Allerdings ist trotz allem Verdienst, den sich das Buch für die Sache vom Staat allein gelassener Frauen erworben hat, selbst nicht ganz vor Kritik gefeit. So greift Hedayati gelegentlich zu Wendungen und Formulierungen, die verschleiern, dass es um Männergewalt gegen Frauen geht. Spricht sie von „Partnerschaftsgewalt“ oder gar „häuslicher Gewalt“, wenn eigentlich dezidiert Männergewalt gegen ihre [Ex-]Partnerinnen gemeint ist, bringt das zudem die gewaltbetroffenen Frauen zum Verschwinden. Auch scheint sich die Autorin zwar insgesamt an (betroffene) Frauen aller Schichten und Bildungsniveaus zu wenden, doch schleicht sich wiederholt der links-akademische Jargon gebildeter Wokeness ein. Dann ist etwa die Rede von „migrantisch gelesene[n] und queere[n] Menschen“. Das hängt auch mit ihrem Bemühen zusammen, „überall dort zu gendern und geschlechtsoffen zu schreiben, wo es inhaltlich sinnvoll ist“, was gelegentlich ebenfalls zu Uneindeutigkeiten beiträgt.
![]() | ||
|
||
![]() |