Im Bann von „Rebecca“

Beinahe passend zum 85. Jubiläum des literarischen Klassikers von Daphne du Maurier kehrt der packende Musical-Thriller nach fünfzehn Jahren ins Raimund Theater zurück

Von Elena HochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elena Hoch

„Ich hab geträumt von Manderley“, hallt eine glockenklare Stimme durch das Rauschen der tosenden Brandung und mir treten Tränen in die Augen. Zehn Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet. Es ist der 19. März 2023 und ich blicke auf die Bühne des Raimund Theaters in Wien. „Rebecca. Das Musical“ steht in weißen Versalien auf dem Programmheft, das ich mit beiden Händen aufgeregt umklammert halte. Bereits beim ersten Ton erkenne ich, dass Nienke Latten in der heutigen Vorstellung „Ich“ porträtieren wird – Hauptbesetzung! Wenige Minuten zuvor bin ich noch der festen Überzeugung gewesen, dass es mir egal sein wird, wer die Figuren der Geschichte spielt, die ich schon so lange sehen möchte. Nun freue ich mich aber doch, die Menschen live zu erleben, deren Arbeit ich seit Monaten in Vlogs bei Youtube verfolge. Im Juli 2022 begannen die Proben für die Produktion und seit dem 22. September ist es soweit: Rebecca ist zurück!

Zurück auf der große Bühne und zurück im Wiener Raimund Theater. Im September 2006 feierte das aus der Feder von Michael Kunze und Sylvester Levay stammende Musical in jenem Operetten- und Musicalhaus seine Premiere. Bis 2008 wurde es dort – mit einer sechsmonatigen Unterbrechung wegen eines Zwischenspiels von We Will Rock you – insgesamt 339 Mal aufgeführt. Es folgte eine erfolgreiche Produktion im Schweizer St. Gallen mit zweijähriger Spielzeit, und fast zeitgleich wurde das Musical auch in Deutschland gespielt. Von Dezember 2011 bis Januar 2013 standen namenhafte Darsteller:innen wie Lucy Scherer („Ich“), Pia Douwes („Mrs. Denvers), Thomas Borchert („Maxime de Winter“, Spielzeit 1) und Jan Ammann („Maxime de Winter“, Spielzeit 2) auf der Bühne des Palladium Theaters in Stuttgart. 2017 und 2022 gab es zudem kleinere Produktionen in Tecklenburg und Magdeburg.

Auch außerhalb des deutschsprachigen Raums feierte das Stück Erfolge. Übersetzt in zwölf Sprachen wurde es bislang von mehr als zwei Millionen Besucher:innen in zehn Ländern gesehen, darunter, Schweden, Ungarn, Korea und Großbritannien. 2012 war sogar eine Inszenierung für den Broadway in New York in Planung, die jedoch aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt werden konnte.

Textuelle Grundlage für das Musical Rebecca ist der gleichnamige Roman von Daphne du Maurier: Eine schüchterne, junge Frau, die sich ein kleines Geld damit verdient, einer unfreundlichen Amerikanerin Gesellschaft zu leisten, lernt in einem Hotel in Monte Carlo den reichen Witwer Maxime de Winter kennen. Sie heiraten und er nimmt sie mit nach Cornwall auf sein Schloss Manderley. Dort muss die junge Frau, eine namenlose Ich-Erzählerin, feststellen, dass der Geist von Maximes erster Ehefrau Rebecca allgegenwärtig ist. Von allen Seiten hört sie von ihrer Schönheit, ihrem Witz und ihrem Charme. Besonders die Haushälterin von Manderley, Mrs. Danvers, hält das Andenken an ihre ehemalige Herrin hoch und sorgt dafür, dass die Protagonistin nie vergisst, wer – in ihren Augen – die wahre Mrs. de Winter ist. Auch Maxime scheint nur an ihre Vorgängerin zu denken, die vor einem Jahr bei einem mysteriösen Bootsunglück ums Leben kam. Geplagt von Eifersucht und Unsicherheit kämpft die Ich-Erzählerin um ihre Stellung in der Gesellschaft, ihre Rolle als Schlossherrin und Maximes Liebe. Da geschieht plötzlich etwas, das alles in ein anderes Licht rückt und dafür sorgt, dass der Fall Rebecca de Winter wieder neu aufgerollt wird. Was geschah wirklich in jener schicksalhaften Nacht vor einem Jahr in der Bucht von Manderley?

1938 erschienen wurde die Geschichte rund um die mysteriöse Rebecca de Winter vor 85 Jahren zum Überraschungserfolg. Die Autorin, Daphne du Maurier, hatte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits zwei Biographien und vier Romane geschrieben, darunter das ebenfalls bekannte Buch Jamaica Inn (1936). Für die Arbeit an Rebecca zahlte ihr der Verlag, Gollancz, daher einen Vorschuss von 1.000 £. Die Erstausgabe des Romans hatte eine Auflage von 20.000 Exemplaren und avancierte zu einem der drei meistverkauften Bücher des Jahres 1938. Seither wird das Buch kontinuierlich gedruckt und ist mittlerweile in 16 Sprachen erschienen. Der erste Satz des Romans „Last night I dreamt I went to Manderley again.”, der in ähnlicher Form auch das Musical einleitet, ist einer der bekanntesten der Literaturgeschichte.

In ein Genre lässt sich der Text nur schwerlich einordnen. Er erzählt eine Liebesgeschichte eingebettet in die Atmosphäre eines Thrillers, enthält aber auch Elemente eines Entwicklungsromans, eines Krimis und eines psychologischen Romans. Die düstere Stimmung, die das Buch durchzieht, erregte die Aufmerksamkeit von Alfred Hitchcock, der mit du Mauriers Vater persönlich bekannt war. Schon Anfang 1938 schlug Hitchcock dem Produzenten David O. Selznick Rebecca als ersten gemeinsamen Film vor. Selznick war begeistert und sicherte sich die Rechte. Im März 1940 wurde der Film in Los Angeles erstmals gezeigt. Rebecca, der Hitchcocks erster in Hollywood gedrehte Spielfilm war, stieß beim Publikum auf große Begeisterung. In elf Kategorien wurde er für einen Oscar nominiert und gewann schließlich die Preise für den besten Film und die beste Kamera in einem Schwarzweißfilm. Aufgrund der Rechte ging der Preis für den besten Film allerdings nicht an Hitchcock selbst, sondern an Selznick. Rebecca ist der einzige Film Hitchcocks, der je einen Oscar gewann.

Er ist aber nicht die einzige Verfilmung eines Werkes von Daphne du Maurier durch Alfred Hitchcock. Auch der berühmte Horrorfilm Die Vögel (Originaltitel: The Birds) beruht auf einem Text der englischen Autorin. Genauso verhält es sich mit dem eher erfolgsarmen Abenteuerfilm Riff-Piraten – manchmal auch Die Taverne von Jamaika –, der du Mauriers Roman Jamaica Inn nachempfunden ist.

Wenngleich Rebecca ihr sowohl erfolgreichster als auch berühmtester Text ist, schrieb die britische Autorin über den Lauf ihres Lebens, 1907–1989, mehr als ein Duzend Bücher sowie diverse Kurzgeschichten und Erzählungen. Geboren als Tochter des Schauspielers Gerard du Maurier wuchs sie ebenso wohlbehütet wie finanziell abgesichert in London und Paris auf und konnte sich bereits früh dem Schreiben widmen. Im Alter von 19 Jahren entschied sie nach einem Urlaub in Cornwall, sich dort dauerhaft niederzulassen. Die Kulisse der englischen Küste diente fortan häufig als Schauplatz ihrer Geschichten, so auch in Rebecca. Beim zeitgenössischen Lesepublikum fanden ihre Werke großen Anklang. Ihre Leser:innen schätzten besonders die Spannung und die psychologische Tiefe ihrer Texte sowie die häufige Mischung aus Abenteuer und Romantik. Von Seiten der Literaturkritik fand du Maurier jedoch nur wenig Beachtung. Noch heute fluktuieren ihre Werke in der literarischen Einschätzung zwischen ernster und unterhaltender Literatur.

In Anbetracht seines Doppel-Erfolges als Roman und Film ist es kaum verwunderlich, dass der Rebecca-Stoff auch anderweitig bearbeitet wurde und wird. So gibt es bislang sieben Verfilmungen – die letzte war eine mittelmäßige Netflix-Produktion von 2020 –, vier Hörspiele, diverse Hörbücher, mehrere Theaterstücke und natürlich Musical-Produktionen. Zusätzlich existieren drei Fortsetzungen in Buchform. Sie alle stammen nicht von Daphne du Maurier selbst, zwei sind jedoch durch ihre Erben autorisiert worden: Rebeccas Vermächtnis (1993) von Susan Hill und Rebecca’s Tale (2001) von Sally Beauman. In Letzterer erzählen vier Figuren, wie sie Rebecca aus ihrer Sicht erlebt haben. Mit The Other Rebecca hat Maureen Freely 1996 zudem eine modernisierte Fassung der Geschichte vorlegt; diese ist jedoch nicht autorisiert worden.  

Zusätzlich zu den Adaptionen und Fortsetzungen finden sich immer wieder Anspielungen auf Rebecca in Büchern und Filmen. So wird, beispielsweise, die Erzählerin in Stephen Kings Roman Sara (1998) im Traum in ein verlassenes und verwildertes Manderley zurückversetzt. Eine zweifache Anspielung auf Daphne du Mauriers Roman, denn auch die Erzählerin in Rebecca träumt zu Beginn von dem verlassenen Schloss.

Auch abseits medialer Verarbeitungen finden sich Referenzen auf den Thriller: Ausgelöst durch Alfred Hitchcocks Verfilmung werden im Spanischen Cardigans mit rundem Halsausschnitt gemeinhin als „Rebeca“ bezeichnet. (Und das obwohl das damals typisch britische Kleidungsstück im Film nicht von der Figur Rebecca de Winter getragen wird – die im Film persönlich gar nicht in Erscheinung tritt –, sondern von der Schauspielerin Joan Fonaine, die die Rolle der „Ich“ verkörperte.) In der Psychologie ist außerdem vom Rebecca-Syndrom die Rede. Gemeint ist damit die Überhöhung eines früheren Partners oder einer Partnerin, die für krankhafte Eifersucht und Unterlegenheitsgefühle sorgt – so wie es bei der Protagonistin in du Mauriers Geschichte der Fall ist.

„Ich wollt’ du könntest vergessen“, singt Nienke Latten als „Ich“ in der Musical-Inszenierung mit hörbarer Verzweiflung in der Stimme,

doch du lebst noch mit Rebecca. Denn du liebst sie, liebst sie noch immer. Ich hab’ es längst bemerkt: Wenn wir uns küssen, denkst du an Rebecca. Und kommt sie auch nie mehr wieder, du wirst ewig auf sie warten, was auch immer ich dir bedeute. Und wenn du mich ansiehst, vergleichst du mich mit Rebecca. […] Nie wirst du mir ganz gehören. Immer fällt auf mich ihr Schatten.

Dass die neue Mrs. de Winter das Gefühl hat, nicht zu genügen und überall den Geist ihrer verstorbenen Vorgängerin zu spüren, liegt nicht allein an Maxime und seinem teils sehr seltsamen Verhalten, sondern auch an der Haushälterin von Manderley, Mrs. Danvers, die ihrer ehemaligen Herrin auch über den Tod hinaus treu ist. „Hüte dich, fürchte dich“, warnt sie die junge Frau, während sie sie durch Rebecca de Winters Schlafzimmer führt. „Nichts was ihr sagt und tut, bleibt ihr verborgen. Sie lässt sich nicht bestehlen, und rächt den Verrat. Wer sie beleidigt, wird es eines Tages büßen. […] Tu nicht, was sie empört, nimm nicht, was ihr gehört, wer sie stört, wird zerstört.“ Begleitet von düsterer Musik, unheilvollem Flüstern und dem Rauschen der Wellen ruft sie nach der Toten: „Rebecca, wo immer du auch bist […], komm heim, Rebecca, aus dem Nebelreich zurück nach Manderley.“

Ein absoluter Gänsehaut-Moment. Das akustische Arrangement kombiniert mit dem beeindruckenden Bühnenbild (Mrs. Danvers und „Ich“ stehen auf der Brüstung eines Balkons und singen in Richtung des Meeres) und den Stimmgewalten von Willemijn Verkaik („Mrs. Danvers“) und Nienke Latten bilden einen der Höhepunkte des Musicals. 

Danach ist die Stimmung auf einmal eine andere. Die Eifersucht der Protagonistin auf ihre Vorgängerin und der Kampf um ihre Stellung in Haus und Gesellschaft, die den ersten Part dominiert haben, rücken in den Hintergrund. Stattdessen gilt es einen Kriminalfall aufzuklären. Eine Leiche ist an den Strand gespült worden, und Maxime steht unter Verdacht, dafür verantwortlich zu sein. Trotz des Handlungsumschwungs steht Rebecca weiterhin im Mittelpunkt. Alles dreht sich letztlich um sie – und das, obwohl sie nie die Bühne betritt. Ein faszinierender Umstand, den Daphne du Maurier sich spannend erdacht hat und Michael Kunze gemeinsam mit Sylvester Levay musikalisch wie dramaturgisch wirksam umgesetzt haben. Nicht vergessen sei an dieser Stelle die grandiose Arbeit von Francesca Zambello, die bisher bei allen großen Rebecca-Produktionen im deutschsprachigen Raum die Regie geführt hat – so auch dieses Mal.

Während die berühmte Balkonszene unangefochten das Highlight des ersten Aktes ist, trumpft der zweite mit dem Stück „Manderley in Flammen“ auf. Hohe Flammen arbeiten sich die Wendeltreppe in der Bibliothek hinauf – die Hitze ist im Zuschauerraum regelrecht spürbar. Visuell unterstützt wird das echte Feuer durch passende Videoeinblendungen, die die Illusion (die ja nur zum Teil eine ist) beinahe perfekt machen. Das Ergebnis kann nur als beeindruckend beschrieben werden. Es wundert daher kaum, dass es diese Szene nicht nur in den Trailern der aktuellen Inszenierung geschafft hat, sondern auch in Trailern früherer Produktionen sowie in fast allen Videobeiträgen verwendet wird. Ebenso verständlich wie schade, denn das Feuerspektakel ist nicht nur das Finale des Musicals, sondern wahrscheinlich auch der Höhepunkt des Stücks.

Rebecca brilliert durch spektakuläre Effekte, ein eindrucksvolles und technisch aufwendiges Bühnenbild sowie durch tolle Kostüme und großartige Musik. Die von Levay komponierten Stücke werden vom Orchester der Vereinigten Bühnen, unter der Leitung von Herbert Pichler, live gespielt. Hauptverantwortlich für den Erfolg des Musicals ist aber natürlich der hervorragende Cast: Nienke Latten begeistert mit ihrer glockenklaren Stimme und verleiht der Rolle „Ich“ durch ihr Spiel genau die Note an Unbedarftheit und Unschuld, die es vor allem zu Beginn der Geschichte braucht. Die Verkörperung des „Maxime de Winter“ durch Mark Seibert ist ebenfalls mehr als überzeugend. Er schafft es, den inneren Kampf der Figur glaubhaft nach außen zu tragen und genau die richtige Mischung aus unwiderstehlichem Charm und unberechenbarer Impulsivität herzustellen. Mit ihrem unheimlichen Spiel und dem Lied „Rebecca“, das ein wiederkehrendes Element im Musical darstellt, hat sich aber Willemijn Verkaik in der Rolle der Mrs. Danvers zum heimlichen Star des Stückes gesungen. Sie bekommt am Schluss auch den meisten Applaus. Seit Beginn der zweiten Spielzeit ist die aus den Niederlanden stammende Darstellerin jedoch nicht mehr dabei. Sie ist stattdessen in Hamburg als „Elsa“ im Musical Frozen zu sehen (eine zu verzeihende Entscheidung der Musical-Darstellerin, denn Verkaik lieh im Disney-Animationsfilm Die Eiskönigin der Figur Elsa ihre Gesangsstimme). Seit Herbst 2023 wird Mrs. Danvers von Annemieke van Dam verkörpert, die zuvor die Rolle von Maximes Schwester Beatrice übernommen hatte. Das Stück wird noch bis Januar 2024 im Raimund Theater zu sehen sein.

Wann es dann wieder inszeniert wird, ist noch unklar, dauert aber hoffentlich nicht wieder zehn Jahre. Die Chancen nach dem großen Erfolg in Wien stehen jedenfalls nicht schlecht, dass es in naher Zukunft weitere Produktionen geben wird. Ohnehin scheint die Welt plötzlich in einem (zumindest kleinen) Rebecca-Fieber zu sein: erst 2020 die überraschende Neuverfilmung mit Armie Hammer und Lily James in den Hauptrollen, dann die Nachricht, dass das Musical nach 15 Jahren ins Raimund Theater zurückkehrt. Vom 4. September bis zum 18. November wurde das Stück außerdem in englischer Sprache in London gespielt und sogar vom Broadway ist wieder die Rede. Der 85. Geburtstag der Buchvorlage wurde nur wenig zelebriert, aber immerhin der Coppenrath Verlag steuerte – bewusst oder nicht – eine Schmuckausgabe zum Jubiläum bei. Seit August 2023 ist eine großformatige Ausgabe im Handel, die die packende Geschichte mit liebevollen Illustrationen von Marjolein Bastin, einem Filmplakat, Einlegekarten, einem Brief samt Umschlag und zahlreichen Hintergrundinformationen zum Leben erweckt und zweifellos eine Hommage an den vielschichtigen Roman von Daphne du Maurier darstellt.

Rebecca wird zurecht wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil – ob in Buchform, als Film oder Musical. Letzteres ist ein kulturelles Jahreshighlight, für das sich zehn Jahre warten lohnen. Denn das Musical ist in seiner aktuellen Fassung so wundervoll, wie man es sich nur vorstellen kann.