Von einer Chronik, die eine Liebeserklärung ist

Matthias Egersdörfers und Lothar Gröschels „Das Lachen des Grünspechts“ ist eine Hommage an die fränkische Provinz, die Musik und die Freundschaft

Von Jens LiebichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Liebich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Lachen des Grünspechts ist ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliches Buch, was für den Rezensenten die Frage aufwirft, wie man es adäquat vorstellen kann. Doch kaum ist der erste Satz hier geschrieben, muss man ihn wieder korrigieren, suggeriert er doch automatisch, dass andere Bücher „gewöhnlich“ seien – dies soll keineswegs unterstellt werden, führt jedoch zu einer interessanten Frage, welche da lautet: „Was ist schon gewöhnlich?“ Und genau mit dieser Frage ist man an des Grünspechts Kern, um Fausts Worte anlassgemäß im Sinne von Matthias Egersdörfer und Lothar Gröschek abzuwandeln.

Der Grünspecht im Titel und sein zeichnerisches Abbild auf dem knallig orangefarbenen Einband könnten als leicht schief hängendes Gegengewicht zu grauen Mäuschen und Mauerblümchen verstanden werden – gewiss, der Tiervergleich hinkt, kann aber vielleicht gerade dadurch mit dem Stil der beiden Autoren schritthalten. Ungewöhnliche Kombinationen von sprachlichen Bildern und Registern ziehen sich durch nahezu alle 29 Kapitel des Buches, in denen es vornehmlich um die fünf Protagonisten Matthias „Pauli“ Egersdörfer, Dietrich „Didi“ Gerstenhauer, Lothar Gröschel, Philipp Moll und Stefan Seitz geht. Diese fünf sind keine fiktiven literarischen Figuren, sondern die Erstbesetzung der seit nunmehr 30 Jahren bestehenden und noch heute auftretenden Band „Fast zu Fürth“. Einige Gruppenmitglieder haben im Laufe der Zeit die Gruppe verlassen, andere sind hinzugekommen, einer – Philipp Moll – ist vor einigen Jahren unerwartet verstorben, so dass die beiden Gründungsmitglieder und Autoren ihr Buch ihm widmen.

Damit sind zwei Leitmotive des Buches genannt: Freundschaft und Musik; sie durchziehen die hier niedergeschriebene 240-seitige Gründungsgeschichte der fränkischen Boyband. Dass das Eingangskapitel zunächst Matthias Egersdörfer als Insassen einer psychiatrischen Klinik vorstellt, da er Wahnvorstellungen entwickelnd im schäumenden Liebesrausch mit einem geliehenen Auto durchs halbe Land gereist sei, um letztlich halbnackt auf einem kahlen Baum sitzend seine Schuhe auf Passanten zu werfen, erscheint in zweifacher Hinsicht plausibel: Nicht nur ist er einer der zentralen Akteure im Freundeskreis sowie in der Bandentstehung, sondern das Herausheben bzw. die Inszenierung des psychisch von der Norm Abweichenden, findet sich – dann in medizinisch unbedenklichem Ausmaß – gewissermaßen auch in der Band-DNA der „Fast zu Fürth“ wieder.

Bevor die Freunde zu einer musikalischen Einheit verschmelzen, ziehen sie gemeinsam in ein leerstehendes Haus in Winterstein, wo im Idealfall die kreativen Einzelströme zu einer gewaltigen Ideen- und Tatenflut zusammenfließen sollen. Dies gelingt erwartungsgemäß nicht auf Anhieb; die Beschreibung des Einzugs in das neue Jungherrendomizil ist durchaus charakteristisch für den gesamten Findungs- und Entwicklungsprozess, den die beiden Autoren sehr anschaulich nachzeichnen:

Am nächsten Tag zogen sie in das Bauhaus ein. Alle Fenster und Türen standen offen. Vor dem Haus warteten Tische, Stühle, Betten, Stereoanlagen, Bücher- und Musikkisten sowie eine Staffelei darauf, an den Ort ihrer Bestimmung gebracht zu werden. […] Zunächst mussten sich die jungen Herren aber erst mal eine geschlagene Stunde warm reden – der Moll nannte es die ‚Baubesprechung‘. Sie rauchten, sie soffen eimerweise Kaffee, und auch das eine oder andere Bier durfte schon die ausgetrockneten Gurgeln benetzen.

Bei der Lektüre könnte sich nach einigen Kapiteln der Eindruck einstellen, dass das „Warmreden“ bei den Autoren zur Erzählstrategie gehört. Der Plot ist eher befreit von spannenden Wendungen, eine dramaturgische Konzeption ist dem Buch ebenfalls nicht zu unterstellen und wenn man einige Seiten überblättert – versehentlich oder mit Vorsatz – kommt man problemlos wieder in die Geschichte rein. Für die meisten erzählenden Texte wäre dieser Befund wohl in den Augen der Leserschaft – insofern sie ihn denn teilte – der klinische Tod des literarischen Genusses. Zugleich ist dem Text aber etwas Besonderes anzumerken, was selbst bei durchkomponierten und höchst reflektierten Werken oftmals nicht durchscheint: Die Freude am Schreiben. Hier werden von den beiden Autoren ihnen bedeutsame Erinnerungen niedergeschrieben, deren Lektüre einen lebendigen Eindruck jener Anfangsjahre und ein jugendlich schräges, unkonventionelles sowie unprätentiös-sympathisches Bild der jungen Männer vermittelt.

Die narrativ ausgeschmückte Chronik kommt erst nach knapp der Hälfte des Textes zur eigentlichen Geburt der Band im Jahr 1993 – die anekdotenreichen ,Vorwehen‘ sind für die Autoren und ihren Freundeskreis gewiss interessanter als für die distanziertere Leserschaft. Zugleich hat man jedoch durch die Lektüre der vorangegangenen Seiten eine sehr genaue Vorstellung der Lebens- und Sprechweise der Protagonisten erhalten, so dass folgende Zeilen, welche die Gründungsidee der Band formulieren, inhaltlich wie stilistisch nahtlos ins imaginierte Gesamtgefüge passen, so als wäre man selbst Teil der WG:

[Egersdörfer:] „Wir zeigen den Leuten, wie die Sprache singen kann. Wir lassen die Sprache flöten, sprechtrommeln, kabauzen, untergründeln und anti-protestantisieren, bis es auch der letzte Mohikaner auf dieser Planetenscheibe begriffen hat. Ich habe einen Text, den könnten wir zusammen jodeln, hinausposaunen, brabbeln und gurgeln.“

[…]

[Gröschel:] „Mu-hu-hu-schala-sizieren – oh yeah, eine Band! Eine Band, ist es das, was dir – oh Mann! – vorschwebt?“ Und während er dies sagte, begann er mit lieblich-infantiler Stimme und derwischartig stampfenden Fuß-Beat ein altes Kirwalied zum Besten zu geben:

„Ich hom amol a Madla kennt, die wor vo Enzenreit
hollererdireidirum, hollererdireidirum
die hodd a recht a nersche g‘habt, da hodd se der mei glei gspeit,
hollererdireidirum, holererdireidirum, kennst di do aus.“

[…]

[Egersdörfer]: „Leck mich am Arsch, Röselbär, das hat sich doch gelohnt für dich, 20 Jahre lang in deinem Dorf eingesperrt gewesen zu sein. Kannst du mich das … lehren … dieses Schreien und Jauchzen in einem?“

Im Verlauf der weiteren Lektüre lernt man nicht nur, dass die Gleichzeitigkeit von Schreien und Jauchzen ein „Gurzen“ ist, sondern begleitet die Band auf ihrem Weg durch die fränkische Provinz. Der Umstand, dass die Jungmusiker zudem in Winterstein den Kulturverein gründeten, der bis heute aktiv ist, lässt die Geschichte der Band mit der ihrer (Wahl-)Heimat verschmelzen und für Ortsansässige sowie Fans von „Fast zu Fürth“ zu einer unterhaltsamen Hommage an Freundschaft, Musik und Heimat werden. Einen Literaturpreis wird es hingegen wohl nicht geben; es sei denn, Winterstein lobt einen solchen aus.

Titelbild

Matthias Egersdörfer / Lothar Gröschel: Das Lachen des Grünspechts. Eine höchst abenteuerliche Geschichte über Freundschaft, Kunst und Wahnsinn in der fränkischen Provinz.
starfruit publications, Fürth 2023.
248 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783922895541

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