Zwei Wiener Weltautoren, die vor den Nazis fliehen mussten

Der Briefwechsel zwischen Felix Salten und Stefan Zweig ist von einer bedrückenden Eindringlichkeit

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es waren dramatische Wochen im Leben des Wiener Starjournalisten Felix Salten. Lange hatte er sich geweigert, wegen Hitler seine Vaterstadt zu verlassen. Als aber nach dem sogenannten „Anschluss“ die „Nürnberger Gesetze“ auch in Österreich galten, war offenkundig, wie lebensgefährlich es für jüdische Autoren wie ihn in der einstigen Kaiserstadt geworden war. Vor dem Gang ins Exil musste der damals 70-Jährige aber erst einmal alles loswerden, was ihn in den Augen der Nazis belasten konnte. Man mag sich kaum vorstellen, was Salten im Zustand anhaltender Panik alles vernichtete. Immerhin war er fast 50 Jahre lang einer der wichtigsten Kulturvermittler im deutschsprachigen Raum gewesen und hatte sie alle gekannt, die Schnitzlers, Hofmannsthals und Freuds.

Das wusste auch Stefan Zweig im sicheren London, als Salten seinen Freund brieflich von seinem Autodafé unterrichtete:

Lieber verehrter Stefan Zweig, mit Ihnen bin ich jetzt gerade viel beschäftigt. Da ich das grosse Haus, darin ich nun volle dreissig Jahre wohne, nicht mehr halten kann und vor meiner Uebersiedlung stehe, muss ich mein Archiv ebenso wie mein ganzes Mobiliar verkleinern. Das Wichtigste behalte ich. So wandert nun ein grosser Teil meines Lebens in den Papierkorb und ins Feuer. Viele, sehr viele Tote sind darunter, viele gute Erinnerungen […]. Ihre Briefe bewahre ich alle.

Auch wenn gewiss nicht die ganze Korrespondenz erhalten blieb: Die nun erschienene Briefausgabe versammelt immerhin erstmals 81 Briefe und Postkarten, die von 1903 bis 1939 zwischen Salten und seinem heute ungleich berühmteren Kollegen und Landsmann gewechselt wurden; fast alle von ihnen werden in diesem Band erstmals veröffentlicht. Die Herausgeber Marcel Atze und Arturo Larcati haben sie kenntnisreich kommentiert sowie geradezu opulent bebildert. Begonnen hat die wechselvolle Beziehung zwischen den beiden Schriftstellern, als der junge Zweig als Nobody dem renommierten Redakteur Übertragungen französischer Gedichte anbot. Wenige Jahre später kam es zum großen Krach: Zweigs Stück Das Haus am Meer hatte Premiere; der Theaterkritiker Salten verriss Stück und Inszenierung gleich in drei verschiedenen Zeitungen, mit immer neuen Argumenten.

Zur behutsamen Wiederaufnahme des Kontakts kam es erst in der Endphase des Ersten Weltkriegs. Da befanden sich beide im neutralen Zürich und hatten ihre anfängliche Kriegsbegeisterung längst gegen einen überzeugten Pazifismus eingetauscht. Dennoch sollte es noch einige Jahre dauern, bis die Korrespondenz an Intensität gewann und sich aus den wechselseitigen Respektbekundungen und Danksagungen für Buchsendungen ein Gespräch kristallisierte.

Anlass war die zunehmende Amerikanisierung des Kulturlebens; gerade Stefan Zweig sah mit der neuen Massenkultur das Ende der Literatur heraufdämmern:

[D]as Resistenzgefühl des Einzelnen wird immer wehrloser gegen den Massenwillen – wohin es führt, haben wir im Kriege gesehn, in eine gemeinsame Trunkenheit und im Frieden im Einsetzen der Kraft zu Recorden. Die Zeit ist antiindividualistisch wie noch nie – darum glaube ich, müssen wir mehr individualistisch sein als je.

Felix Salten, obwohl zwölf Jahre älter als Zweig, war da deutlich offener gegenüber den neuen Medien wie Radio oder Kino. Das passte insofern, als gerade Walt Disneys Film „Bambi“ Saltens gleichnamigen Roman von 1922 unsterblich machen sollte. Auf die wachsende Bedrohung durch den Faschismus reagierten beide Autoren, wenn auch auf unterschiedliche Weise, ratlos. Nach Hitlers Machtübernahme zum Beispiel schrieb Zweig, jüdische Autoren sollten sich auf internationalen Kongressen besser zurückhalten; Salten, seines Zeichens Ehrenpräsident des österreichischen Pen-Clubs, wollte lieber mit wehenden Fahnen untergehen – wie es dann auch der Fall war.

Ein Jahr später wurde Salten Ohrenzeuge, wie die austrofaschistische Regierung einen Arbeiteraufstand in Wien blutig niederschlug:

Ich schreibe Ihnen im Zustand grosser Erregtheit. Denn unaufhörlich dröhnen Kanonenschüsse und knattern die Maschingewehre. Der Kampf tobt um den nahen Karl Marx-Hof. Seit gestern hab’ ich mein Haus nicht verlassen, weiss nur, was der Funkspruch und nicht kontrollierbare Gerüchte melden, die telefoniert werden. […] Wie ohnmächtig ist der Einzelne.

Es sollte bis zuletzt zwischen den beiden beim förmlichen Sie bleiben. Doch war es in diesen Tagen Anfang 1934, dass Felix Salten seinen Briefpartner, den er um drei Jahre überleben sollte, erstmals als „Freund“ bezeichnete. Gerade in den Jahren des Exils ist die Korrespondenz der beiden Schriftsteller von einer bedrückenden Eindringlichkeit – wie schön, dass dieser Briefwechsel nun endlich das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

 

Titelbild

Stefan Zweig / Felix Salten: ‚Ihre Briefe bewahre ich alle‘. Die Korrespondenz von 1903 bis 1939.
Hg. von Marcel Atze und Arturo Larcati.
Wallstein Verlag, Göttingen 2023.
272 Seiten , 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783835353374

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