Gegen die Vertierung des Menschen

In „Gegen den Krieg“ stellt Helmut C. Jacobs Bilder der Gräuel des Spanischen Unabhängigkeitskrieges von Francisco de Goya vor

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem er zuvor bereits mit zahlreichen Publikationen zum Werk des spanischen Künstlers Francisco de Goya hervorgetreten ist, legt Helmut C. Jacobs, von Hause aus ein renommierter Romanist, nun eine kommentierte Ausgabe der 82 Blätter umfassenden druckgrafischen Bildfolge „Desastres de la Guerra“ („Schrecken des Krieges“), aus dem Spanischen Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon von 1808, entstanden in den Jahren 1810-1823, vor. Diese Bildserie ist durch die täglich auf uns einprasselnden Nachrichtenbilder von Leid und Terror in der Welt von bestürzender Aktualität und man kann ihr diesbezüglich ohne weiteres die Druckfolge der „Großen Schrecken des Krieges“ von Jacques Callot aus der Zeit des 30jährigen Krieges an die Seite stellen. 

Die Blätter werden einzeln vorgestellt, kunsthistorisch kundig beschrieben und analysiert und in Bezug auf das Dargestellte zeithistorisch eingebunden. Hierbei wird hinsichtlich der rätselhaften Bildinhalte und -unterschriften zu Recht auf Goyas Kenntnis barocker Emblembücher verwiesen: Embleme sind stets dreiteilig aus einer bildlichen Darstellung, einer Inschrift oder einem Motto als Titel und einer Erläuterung von Bild und Motto aufgebaut. Diese Gliederung wurde, reduziert auf das Bild und seinen Titel als Erklärung, von Goya für seine Grafiken rezipiert. Inhaltlich bleiben die Darstellungen jedoch stets unbestimmt und mehrdeutig. Zum Verständnis dessen bietet sich das im Barock beliebte Konzept der vaghezza, d. h. der Vagheit, an. Darunter verstand man ein geistreiches Spiel mit Andeutungen.

Hiermit weisen die Blätter auch eine formale und vor allem inhaltliche Verwandtschaft zu Goyas zwischen 1793 und 1799 entstandener Druckfolge der „Caprichos“ auf. Unter diesem Begriff versteht man Darstellungen, die den Regeln der akademischen Malerei zuwiderlaufen, da sie von der Spontanität und Fantasie des Künstlers bestimmt werden. Die offenkundige Gesellschaftskritik der 80 Blätter umfassenden Grafikserie führte dazu, dass nur zwei Tage nach deren Erscheinen aus Angst vor Repressalien durch die Inquisition der Verkauf gestoppt wurde.

Die „Desastres de la Guerra“ erschienen dagegen erst nach Goyas Tod im Jahr 1863 und wurden von der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando herausgegeben. Goya hatte die Druckplatten in der „Quinta del sordo“, seinem Sommerhaus, bei seinem Weggang ins Exil nach Bordeaux 1824 zurückgelassen. Bei seinem Tod gingen sie zuerst in den Besitz seines Sohnes, dann in den seines Enkelsohnes über, der sie wiederum veräußerte. Der Käufer bot sie 1856 zunächst dem spanischen Staat an, ehe sie 1862 von der Kunstakademie erworben wurden. Seit ihrer Veröffentlichung in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat dieses Werk Goyas großes internationales Interesse erfahren und wurde durch Künstler verschiedener Gattungen aufgegriffen und in ihren eigenen Werken rezipiert, wozu sicher die schrecklichen Kriegserfahrungen des vergangenen Jahrhunderts beigetragen haben.

Den einzelnen Blättern ist ein umfangreicher und äußerst informativer Teil vorgeschaltet, der historisch in die Problematik des Spanischen Unabhängigkeitskrieges einführt und diese gekonnt mit der Biografie Goyas, eines Hofmalers der Bourbonen, und seiner sich wandelnden Haltung von der Königstreue zum Patriotismus verknüpft. In diesem Zusammenhang führt Jacobs auch ein von Goya mit Inschriften, Ornamenten und Bildern graviertes Jagdmesser als Schlüsselobjekt in seine Überlegungen ein. Seine künstlerische Gestaltung belegt eindeutig Goyas Parteinahme für die aufständischen Madrilenen. Es stammt vermutlich aus seinem Besitz und wurde womöglich von einem Messerschmied eigens für ihn angefertigt. Darauf verweisen sein eingravierter Name und die Jahreszahl 1808. Die künstlerische Ausfertigung des Jagdmessers ist ebenfalls symbolisch zu verstehen. So zeigt die rechte Schneide des Messers ein fliegendes Skelett, das sich eines Adlers bemächtigt. Er ist wohl als Fahnenadler der napoleonischen Truppen zu deuten, nach dem der Tod in Gestalt der Waffen der Aufständischen greift. Der Griff des Messers ist mit einem Waffenbündel graviert und ebenso mit einem Totenkopf auf zwei gekreuzten Knochen, Mond und Sonne, d. h. Symbolen der Freimaurer, zu deren Idealen sich Goya hiermit offenbar bekennt. Eine Gravur mit den Worten (ins Deutsche übersetzt) „Eisen! Wach auf!“ benennt Jacobs als Schlachtruf der mittelalterlichen Almogaraven. Hierin zeigt sich, dass Goya den Spanischen Unabhängigkeitskrieg historisch in einer Linie mit der Reconquista ansah. Zudem verstand er sich selbst als ein arragonesischer Patriot.

Nachdem er die komplizierte Entstehungsgeschichte der „Desastres de la Guerra“ nachgezeichnet hat, werden Goyas schon erwähnte, berühmte „Caprichos“ und darüber hinaus die politische Tierfabel „Gli animali parlanti“ des Giambattista Casti als satirische Anregungen für die künstlerische Konzeption der „Desastres de la Guerra“ gewürdigt. Diese zu betrachten erfordert starke Nerven, werden wir doch zwangsweise Bildzeugen der schlimmsten Untaten, die sich Menschen vorstellen können, angefangen mit den unterschiedlichen Hinrichtungsarten über grauenhafte Vergewaltigungsszenen, bei denen die Ehemänner den drangsalierten Frauen gefesselt zusehen müssen, bis hin zu sich auftürmenden Leichenbergen als Resultat der Grausamkeiten. Hierbei geht die Gewalt sowohl von den Armeen der Franzosen als auch von den Widerstand leistenden spanischen Bauern aus. Darüber hinaus soll der spanische Klerus durch die Anspielung auf dessen homosexuelle Praktiken (nach damaligem Maßstab) in seiner ganzen Verderbtheit gezeigt werden.

Kurz, Schreckensbilder überall. Helmut C. Jacobs ist nicht genug dafür zu danken, dass er sie uns in ihrer ganzen historischen und künstlerischen Komplexität zugänglich gemacht hat.

Titelbild

Helmut C. Jacobs: Gegen den Krieg. Francisco de Goyas ‚Desastres de la Guerra‘ (Die Schrecken des Krieges).
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2023.
475 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783826079078

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