Jugenderzieher aus Castrop-Rauxel
In „Josef Reding, der Heftroman und die Kurzgeschichte“ beleuchtet Joachim Wittkowski Aspekte des literarischen Markts der 1950er Jahre
Von Günter Rinke
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAn den Schriftsteller Josef Reding erinnern sich heute vielleicht hauptsächlich ältere Deutschlehrkräfte, für die seine Kurzgeschichten gängiger Unterrichtsstoff waren. Mit diesen Texten ließen sich viele Unterrichtsziele ohne großen Lektüreaufwand erreichen. Redings Kurzgeschichten waren in Lesebüchern und Textsammlungen neben Geschichten von Wolfgang Borchert, Heinrich Böll, Peter Bichsel und anderen Klassikern dieser Gattung zu finden. Sie waren auch als Prüfungsaufgaben bestens geeignet, waren sie doch bei aller Knappheit der Sprache und der Handlungsführung sozusagen didaktisch aufgeladen. Aus Momentaufnahmen des wirklichen Lebens sollten die Schülerinnen und Schüler Lehren für ihr eigenes Leben ziehen.
Der Literaturwissenschaftler Joachim Wittkowski beleuchtet einen anderen Aspekt aus dem Werk des im Ruhrgebiet beheimateten Schriftstellers Josef Reding, der 2020 neunzigjährig verstarb. Hauptthema der sehr eingehenden, vorbildlich dokumentierten Studie sind die Heftromane Spannende Geschichten und ihre Bedeutung für den Jugendliteraturmarkt der 1950er Jahre. Der Untertitel der kleinen Monographie lautet Eine literarische Karriere der 1950er Jahre. Zwar publizierte Reding nach den Jahren des Wirtschaftswunders weiter, es scheint aber, dass er zunehmend aus der Zeit gefallen war. Das galt, obwohl sein größtes Anliegen, der Kampf gegen den „Rassenwahnsinn“ und für Humanität, bis heute aktuell geblieben ist. „Sprachliche Zeitgebundenheit und historische Distanz“ sind für Wittkowski die Hauptgründe dafür, dass vor allem Redings Texte der 1950er Jahre heute nicht mehr oder kaum noch rezipiert werden.
Gemessen am Titel erfüllt Wittkowskis Untersuchung einerseits, nämlich hinsichtlich der Heftromane, voll und ganz die Erwartungen. Andererseits könnte sie Leserinnen und Leser, die sich für Redings Schaffen interessieren, auch enttäuschen. Denn auf die im Titel erwähnte Gattung Kurzgeschichte geht der Autor nur an einem einzigen Beispiel relativ ausführlich ein: Jerry (lacht) in Harlem (1957). Dabei handelt es sich um eine Geschichte, die aus einer der Spannende[n] Geschichten hervorgegangen ist. Eine andere, 1954 publizierte Kurzgeschichte wird zwar beiläufig erwähnt, aber nicht näher untersucht.
Darüber hinaus geht es auch um die Bedeutung der Heftromanreihe für die Entwicklung des Bertelsmann Verlags und dessen Stellung im Verlagswesen jener Zeit. Die Reihe, so erfahren wir aus Wittkowskis Studie, existierte bereits seit 1926 und wurde zweimal neu begonnen, darunter einmal im Dritten Reich mit entsprechender ideologischer Ausrichtung. Bertelsmanns Drahtseilakt bestand darin, einerseits diese Tradition wieder aufzunehmen, andererseits sich von deren unheilvoller Seite zu distanzieren.
Dabei half dem Verlag der junge Josef Reding, den zwei Impulse zum Schreiben trieben: Zum einen ein Schuldgefühl, in einem menschenverachtenden System großgeworden zu sein und daran, ungeachtet seiner Jugend, teil gehabt zu haben. Dieser Schreibimpuls lässt an den, allerdings neun Jahre älteren, Wolfdietrich Schnurre denken, der als Wehrmachtssoldat am Krieg teilgenommen hatte und eine Mitschuld an den NS-Verbrechen empfand, die er schreibend zu bearbeiten versuchte. Bei Reding kam ein zweiter Impuls hinzu: Während eines Studienaufenthalts in den USA hatte er die dortige Rassendiskriminierung wahrgenommen und sich darüber empört. Gegen diese kämpfte er von da an in seinen Texten. Seine erste Kurzgeschichtensammlung, die 1957 erschien, heißt Nennt mich nicht Nigger.
Die vorwiegend (aber nicht ausschließlich) an die Jugend gerichteten Spannende[n] Geschichten sollten ihr Publikum nicht nur unterhalten, sondern auch zum Guten erziehen. „Erlebnisorientierung, sachliche Fundierung und eine ethische Grundierung sollen die Hefte inhaltlich auszeichnen“, schreibt Wittkowski. Mit der schrittweisen Erhöhung des Umfangs auf 48 Seiten erhielten die Hefte tendenziell den Charakter von Zeitschriften, da neben der Hauptgeschichte weitere Kurzbeiträge und Werbung aufgenommen wurden. Die farbig gestalteten Umschlagbilder lassen aus heutiger Sicht an Jugendbücher denken, jedoch ist dabei der Zeitgeschmack zu berücksichtigen. In der „Kommentierte[n] Dokumentation“, die ungefähr die Hälfte seines Bandes ausmacht, präsentiert Wittkowski zahlreiche Beispiele für Umschlagseiten der Hefte, dazu Werbeseiten, die Vertriebswege und Kaufanreize dokumentieren. Einzelexemplare waren sowohl im Zeitschriften- als auch im Buchhandel erhältlich.
Dass Reding ein fleißiger Autor war, zeigt das Quellenverzeichnis, in dem unter „Primärliteratur“ zahlreiche Einzelpublikationen des Autors aufgelistet sind – womöglich mit dem Anspruch auf Vollständigkeit. Wittkowski hat intensive Archivarbeit geleistet und dabei vor allem Redings Nachlass im Fritz-Hüser-Institut gesichtet. Darin enthalten sind Fotos, Briefe und andere (auto-)biographische Zeugnisse, aus denen zitiert wird und die zum Teil im Anhang faksimiliert sind. Die Textgeschichte mancher der Spannende[n] Geschichten hat Wittkowski im Einzelnen nachgezeichnet und Veränderungen der Textgestalt im Zuge von Mehrfachverwertungen dokumentiert. Es kam auch vor, dass von Verlagsseite Veränderungen gefordert wurden, weil die ursprünglichen Formulierungen nicht in das Konzept des „Kampfs gegen Schmutz und Schund“ passten, dem sich der Verlag verschrieben hatte.
Sein Fazit stützt Wittkowski u. a. auf die Tatsache, dass aus den Spannende[n] Geschichten im Lauf der Zeit zwölf Bücher in Form von Sammelbänden entstanden sind.
Schon dieser Umstand deutet darauf hin, dass die Arbeit an den Spannende[n] Geschichten für Josef Reding mehr und anderes als eine trivialliterarische Epoche seiner frühen Autorenbiographie ist. Die sozialkritische Profilierung des literarischen Werks von Josef Reding hat hier ihren Anfang genommen. Erst recht zeigt der Zusammenhang mit der oft zitierten Kurzgeschichte Jerry lacht in Harlem, dass die frühen Arbeiten im randständigen Medium des Romanhefts für das Gesamtwerk Josef Redings eine Schlüsselstellung einnimmt.
Dennoch hätte man über Redings Kurzgeschichten gern mehr erfahren, enthält doch die neueste Ausgabe von Nennt mich nicht Nigger. Kurzgeschichten aus 2 Jahrzehnten (2020) immerhin 57 (!) Kurzgeschichten, dazu als Vorwort den Text Mein Bekenntnis zur Kurzgeschichte. Selbst in dieser umfangreichen Sammlung fehlt noch die in Schulbüchern enthaltene Geschichte Die Jäger kommen zurück, die einem 1963 erschienen Bändchen den Titel gab.
Es trifft sicher zu, dass mit den Spannende[n] Geschichten Redings Karriere als Autor in Gang kam. Die Verbindung mit dem Bertelsmann Verlag war dabei zweifellos hilfreich, zumal damit eine recht stattliche Vergütung verbunden war: Wir erfahren, dass für jede Erzählung „ein doch beachtliches Honorar von 400 DM“ gezahlt wurde. Die Mehrfachverwertungen mit veränderten Textversionen haben für den Autor vermutlich auch eine materielle Seite gehabt und sind nicht nur dem Ehrgeiz geschuldet, die literarische Qualität der Texte zu verbessern. 1955/56 wurden einige der Hefte ins Niederländische übersetzt, was damals keine Selbstverständlichkeit war.
Über die Produktion von Heftromanen und ersten Kurzgeschichten hinaus entwickelte Josef Reding Mitte der 1950er Jahre ein weiteres Schreibinteresse, dem Wittkowski einen Abschnitt im Haupttext und eine Erläuterung zum Titel-Faksimile widmet. Im katholisch ausgerichteten Paulus Verlag erschien 1956 der ‚Tatsachenroman‘ Friedland, der die Ankunft der letzten Kriegsgefangenen aus sowjetischen Lagern nach Adenauers Moskaureise fiktionalisiert. Es treten aber nicht nur fiktive Figuren auf, sondern auch ein katholischer Pfarrer unter seinem wirklichen Namen. Die Rezeption des Buchs war mäßig, überwiegend kritisch. Reding schrieb danach keinen ‚Tatsachenroman‘ mehr, aber er entwickelte sein Schreiben nach Tatsachen weiter, indem er 1964 und 1965 die Tagebücher Reservate des Hungers und Wir lassen ihre Wunden offen, ebenfalls im Paulus Verlag, veröffentlichte.
Auf Redings karitative Bemühungen in armen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, aus der auch Fernsehdokumentationen, die beiden Tagebücher und Kurzgeschichten (wie Die Nacht nach dem Panther) entstanden sind, geht Wittkowski nicht ein. Eine Verbindung zwischen dem Friedland-Roman und den Spannende[n] Geschichten sieht er im „ethischen Anspruch“ und der „sozialkritischen Ausrichtung“ der Texte.
Wittkowskis Studie gibt uns also kein vollständiges Bild des Schriftstellers Josef Reding und seiner Werke, sondern sie beleuchtet und gewichtet einen Bereich seines Schaffens aus den 1950er Jahren und arbeitet dabei das ethische Selbstverständnis dieses Autors heraus. Die im Buch enthaltene reich illustrierte und mit Erläuterungen versehene Dokumentation gibt einen Einblick in den Zeitgeist der Adenauerzeit und in ein Segment des sich nach dem Zweiten Weltkrieg neu entwickelnden Literaturmarkts. Eine Studie über das Gesamtwerk Josef Redings muss noch geschrieben werden. Auch eine Biographie dieses engagierten und für die westdeutsche Nachkriegsliteratur wichtigen Autors wäre ein Desiderat.
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