Was bleibt!
Zum Tod von Helena Adler
Von Günter Helmes
Man will es nicht wahrhaben, man mag den Satz gar nicht schreiben: Die Schriftstellerin und bildende Künstlerin Helena Adler ist tot, gestorben nach langer Krankheit am 5. Januar im Alter von 40 Jahren. Schon Mitte des vergangenen Jahres nötigte sie die Krankheit, die Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb abzusagen, zu dem sie eingeladen worden war.
Geboren wurde Helena Adler, die zusammen mit ihrem Mann, dem bildenden Künstler Thomas E. Stadler, und dem gemeinsamen Sohn in der Nähe von Oberndorf bei Salzburg lebte, 1983 als Stephanie Helena Prähauser in Oberndorf. Kindheit und Jugend verbrachte sie auf einem Bauernhof in Anthering zwischen Oberndorf und Salzburg. An der dortigen Universität studierte sie Germanistik, Psychologie und Philosophie, am dortigen Mozarteum Malerei.
2018 erschien ihr erster Roman Hertz 52 bei Arovell in Wien. In dem geht es zentral um „Liebe“ und deren Wege und Abwege, Gründe und Abgründe, um die Beziehung der Ich-Erzählerin nämlich zu ihrem wesentlich älteren Partner, einem vor allem selbstmitleidigen Künstler intellektuellen Zuschnitts.
Im gleichen Jahr erhielt Helena Adler für den Text Die Infantennovelle das Jahresstipendium des Landes Salzburg für Literatur, so dass 2020 bei Jung und Jung in Salzburg ihr zweiter, autobiographisch grundierter Roman Die Infantin trägt den Scheitel links erscheinen konnte. Mit ihm, einem unbändig mitreißenden, schonungslos einreißenden und zugleich grell aufreizenden „Bekenntnis“ von waidmesserhafter Schärfe und unverwechselbarer Sprachkraft, schrieb sich Helena Adler souverän in mächtige Traditionen hinein: in die des Generationen- und Familienromans, des Kindheits- und Adoleszenzromans und die der kritischen Heimatliteratur in der Nachfolge großer Autoren und Autorinnen wie Ludwig Thoma, Oskar Maria Graf, Marieluise Fleißer und Franz Xaver Kroetz. Von daher kann es nicht verwundern, dass der Roman 2020 auf die ORF-Bestenliste, auf die Hotlist unabhängiger Verlage, auf die Shortlist des Österreichischen Buchpreises und auf die Longlist des Deutschen Buchpreises gelangte.
Auf die ORF-Bestenliste und die Shortlist des Österreichischen Buchpreises schaffte es auch Helena Adlers 2022 ebenfalls bei Jung und Jung erschienener, ihrem Sohn gewidmeter dritter Roman Fretten. Auch der ist wie der wohl Literaturgeschichte schreibende Roman Die Infantin trägt den Scheitel links, an den er inhaltlich und ästhetisch anknüpft, stark autobiographisch unterlegt. In einer zugleich drastischen, sensiblen, kompromisslosen, bilder- und stupend erfindungsreichen Sprache, die ihresgleichen sucht, wird in der ersten Romanhälfte von den Kindheits- und Jugendjahren der Ich-Erzählerin in einer von den Einheimischen zur „Edelweißenklave verschandelte[n]“ Heimat erzählt, bevor es dann in der zweiten Hälfte um deren Mutterschaft geht. Dabei begeistern blitzartig erhellende Perspektiven und Fokussierungen sowie atemberaubend-präzise Figuren- und Landschaftsbeschreibungen.
Auf weitere Veröffentlichungen Helena Adlers in Anthologien und Literaturzeitschriften ist ebenso hinzuweisen wie auf ihren Beitrag für das Werk 7 Todsünden, das im Juli 2023 in Telfs (Tiroler Volksschauspiele) uraufgeführt wurde.
Hinzuweisen ist zudem auf ihre Mitgliedschaft in der Salzburger Autorengruppe (SAG), auf die Literatur-Werkstatt LiLoLa (Literatur-Lobby-Land), die sie mitbegründete, sowie auf eine Reihe von Ausstellungen und Kunstaktionen an verschiedenen Orten in Österreich, an denen sie als bildende Künstlerin beteiligt war.
Schließlich: Wer das Glück hatte, Helena Adler persönlich kennenzulernen, dem wird sie als großartiger Mensch unvergesslich bleiben. Ihr mitreißendes Lachen, ihr mimischer Reichtum, ihre sprühende Lebensfreude, ihre herzliche Natürlichkeit – wer könnte diese jemals vergessen!
Wie zu lesen ist, plant das Literaturhaus Salzburg, einen nach Helena Adler benannten Preis für rebellische Literatur auszuschreiben. Man kann nur hoffen, dass dieser Plan öffentliche Unterstützung findet und sich rasch realisieren lässt.
Ebenso ist zu hoffen, dass Helena Adler – was hätte man nicht noch alles von ihr erwarten dürfen! – weiterhin zahlreiche Leser und Leserinnen findet, dazu Kritiker und Fachwissenschaftler, die ihr den ihr gebührenden Platz im literarischen Leben zuschreiben werden.
Was bleibt? Helena Adler bleibt!