Der Autor zwischen den Welten
Interpretationsversuche zu Heinrich Hauser und seinem Werk vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund
Von Wolfgang Bühling
Der 2023 erschienene Sammelband Grenzgänger des 20. Jahrhunderts. Perspektiven auf das literarische, journalistische und filmische Werk Heinrich Hausers (1901–1955) enthält die zur Aufsatzform umgearbeiteten Vorträge eines Symposiums am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum mit dem Motto „Donner überm Meer – Heinrich Hauser und seine Zeiten“, abgehalten im September 2021. Acht der Tagungsbeiträge werden in vorliegendem Sammelband durch zwei externe Aufsätze von Walter Delabar und Jeanpaul Goergen ergänzt.
Heinrich Hauser (1901–1955) war von 1926 bis 1928 Mitglied der Feuilletonabteilung der Frankfurter Zeitung unter Benno Reifenberg. Auch nach seinem Ausscheiden aus der Redaktion belieferte er das Blatt bis zur Emigration regelmäßig. Die vom Juden Leopold Sonnemann begründete Tageszeitung war von Goebbels als liberales Aushängeschild zunächst belassen und erst 1943 auf Hitlers persönliche Anweisung verboten worden. Hausers sehr zahlreiche journalistische Beiträge wurden zwar von Grith Graebner 2001 akribisch katalogisiert, erfuhren aber bisher keine nähere literaturwissenschaftliche Beachtung. Den Anfang damit diese Schätze zu heben, macht Michael Pilz mit dem Beitrag Heinrich Hauser als Rezensent. Neben dem Journalismus hat Hauser 22 Buchkritiken und drei Filmkritiken verfasst, welche bis auf eine – die in der politisch neutralen Kulturzeitschrift Der Querschnitt erschien – in der Frankfurter Zeitungveröffentlicht wurden. Sowohl bei der besprochenen Belletristik als auch bei den Sachbüchern ist die Auswahl nicht zufällig. Titel wie Das Totenschiff von B. Traven, Jack Londons Seewolf, die Autobiographie Als Mariner im Krieg von Joachim Ringelnatz oder der Seefahrtbericht Zwei Jahre vor dem Mast von Richard Henry Dana Jr. gehören zu wohl vertrauten Genres Hausers. Hier schöpft Hauser die Fachkenntnis aus seiner Fahrenszeit als Seemann, wobei Authentizität für ihn das Maß der Dinge ist. Aus den von Pilz beschriebenen Auswahlkriterien lässt sich zweifellos viel über Hausers publizistische Favoriten und seine literarischen und filmischen Interessen entnehmen. Dass Hauser – neben thematischer Motivation – Besprechungen auch dann in Angriff nahm, wenn er zum Rezensionsobjekt eine persönliche Beziehung hatte, zeigen zwei der drei Filmrezensionen. Im Januar 1931 bespricht er in der Frankfurter Zeitung Friedrich Wilhelm Murnaus Sunrise, eine amerikanische Verfilmung von Sudermanns Reise nach Tilsit. Hauser hatte sich 1923 zwischen zwei Seefahrten kurzzeitig im Bekanntenkreis Murnaus aufgehalten. Dem von ihm rezensierten Film Die Nacht nach dem Verrat von Arthur Robison liegt der Roman The Informer seines irischen Freundes Liam O’ Flaherty zugrunde.
Wenngleich man Hauser – zumindest bezüglich der populären Breitenwirkung – als einen vergessenen Schriftsteller apostrophieren kann, sind einige seiner Werke doch auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und auch posthum wieder aufgelegt worden. Dazu zählen die literarische Reportage Die letzten Segelschiffe auf der Basis einer Reise mit der Viermastbark PAMIR 1930 um Kap Horn und die Romane Notre Dame von den Wogen und Donner überm Meer. Völlig in Vergessenheit geraten war dagegen Die Flucht des Ingenieurs, 1937 bei Reclam erschienen, der Thorsten Fitzon unter der Überschrift Komische Camouflage eine Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung einer „Technohumanität“ widmet. Die Novelle – als solche wird sie auf der Titelseite bezeichnet – beginnt damit, dass Ingenieur Drexel das hat, was man heute Burn-out nennt. Nach Vollendung der Konstruktion eines Dynamos in einem Stickstoffwerk setzt er sich in den Wagen und fährt die Nacht durch nach Norden. Die Odyssee endet auf der fiktiven Nordseeinsel Hallborn, wo erst der Clou offenkundig wird, welcher die Bezeichnung Novelle doch letztendlich rechtfertigt: Aussteiger Drexel wird wieder zum Ingenieur, als er mit einem Kunstkniff einen Leinenschussapparat repariert, mit dem die Besatzung eines gestrandeten Frachters gerettet werden kann. Hauser verwendet hier eine wahre Geschichte, die er unter dem Titel Die Geburt der Erfindung 1926 in der Frankfurter Zeitung publiziert hatte. Die Begeisterung Hausers für das Automobil findet sich in der Flucht des Ingenieurs ebenso wieder wie das Fluchtmotiv, das im realen Leben des Autors immer wieder aufscheint.
Als externer Beiträger zu vorliegendem Sammelband konnte der Filmhistoriker Goergen gewonnen werden, der seine schon früher in filmographischen Publikationen dargelegten Beschreibungen von Hausers Schaffen als Dokumentarfilmer unter dem Titel Der Autor mit der Kinamo hier noch einmal zusammenfasst. Ein filmisches Werk, das durchaus überschaubar ist: Neben dem Fragment Irland, das im Bundesarchiv erhalten ist, geht es um die ebenfalls eigenhändig gedrehten Streifen Die letzten Segelschiffe (1930) und Chicago – Weltstadt in Flegeljahren (1931). Die Ausführungen zu letzterem Film gewinnen durch die Herausgabe einer DVD-Fassung (Schongerfilm/absolutmedien 2020) aktuelles Interesse.
Um nicht Blut-und-Boden-Literatur schreiben zu müssen, hatte sich Hauser nach der Machtübernahme bis zum Exil 1939 auf Industrie- und Reiseliteratur kapriziert. Sebastian Susteck untersucht den Reisebericht Fahrten und Abenteuer im Wohnwagen, sowie drei Bände von Industrieliteratur, welche im Auftrag der Opel-Werke entstanden. Der dritte Band Im Kraftfeld von Rüsselsheim erschien 1940, als Hauser bereits im US-amerikanischen Exil war. Die Analyse dieser Werke folgt dem Motto Felder des Dilettantismus und schließt mit nachfolgendem Resümee: „Er behauptete sich als Laienübersetzer technischer Vorgänge für ein breiteres Publikum, als Wortkünstler, der mehr Wortpraktiker denn literarisch (aus-)gebildet war, und als Reisender im territorialen und professionellen Ungefähren.“
Fokussiert man das Technische, war Hauser naturgemäß Dilettant. Das nach einem Volontariat bei Krupp in Duisburg-Ruhrort begonnene Ingenieurstudium hatte er schon im ersten Semester abgebrochen. Aber der Rezensent würde doch dafür plädieren, dass Hauser einen Dilettantismus auf hohem Niveau praktizierte.
Angesichts des gegenwärtigen Trends der Befassung mit „künstlicher Intelligenz“ konnte es nicht ausbleiben, dass Hausers Publikation The Brain – die er 1948 unter dem Pseudonym Alexander Blade in einem der sehr populären amerikanischen „Pulp-Magazines“ publizierte – Gegenstand aktueller Betrachtung geworden ist. Joana van de Löcht beschreibt den Beginn von Hausers Tätigkeit auf dem Gebiet von Science-Fiction – die er selbst einmal als „literarische Prostitution“ bezeichnet hat – mit der Story Agarthi in Amazing Stories im Juni 1946. In The Brain (1948) – posthum 1958 unter dem Titel Gigant Hirn in deutscher Übersetzung erschienen – beginnt ein überdimensionaler Großrechner ein Bewusstsein zu entwickeln. Nur durch die Zerstörung der Anlage kann der Protagonist die Menschheit vor der Versklavung bewahren. Dieser Schluss ist – was Hauser angeht – nicht ohne Ironie, hatte er doch 1928 in dessen Schrift Friede mit Maschinen um dasselbe geworben.
Herausgeber Sebastian Susteck ist es aufgrund der Publikation des Sammelbands sowie des von ihm geleiteten Symposiums am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum zu danken, den Diskurs zu Hausers Leben und Werk nicht nur wiederbelebt, sondern auf eine breite, bisher nicht vorhandene Basis gestellt zu haben.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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