Das Haus mit dem Stern
Gab es eine nationalsozialistische Rezeption codierter antisemitischer Inszenierungen in Fritz Langs und Thea von Harbous Stummfilm „Metropolis“ (1927)?
Von Jan Süselbeck
„Ueber die Kennzeichen des Judentums“ in Fritz Langs „Metropolis“
Nach dem größten Pogrom seit der Shoah, dem in seiner Grausamkeit beispiellosen Massenmord der Hamas an ca. 1.200 Jüdinnen und Juden am 7. Oktober 2023, stiegen auch im Rest der Welt antisemitische Attacken stark an, nicht zuletzt in Deutschland. Die Bilder von Davidsternen, die noch im selben Monat von antisemitischen Tätern in Berlin an Häuser gemalt wurden, in denen Jüdinnen und Juden leben, gingen um die Welt.
Diese nicht nur diskriminierende, sondern erfahrungsgemäß eliminatorische Strategie der Markierung jüdischer Wohnorte zwecks Lokalisierung zu ermordender BewohnerInnen, die im Oktober 2023 die berechtigte Angst vor antisemitischen Übergriffen bundesweit akut werden ließ, rührt an ein altes jüdisches Trauma. Man kann es bis zum Alten Testament zurückverfolgen, wo das jüdische Volk im ägyptischen Exil die Botschaft erhält, es solle zur Einsetzung des Passachfestes selbst seine Haustüren mit Lammblut markieren (vgl. Mose 12, 5-14). In dem Fall ergeht die Warnung, weil ein strafender Gott einen Mord an allen Erstgeburten in den nicht-jüdischen Familien des Landes ankündigt, dem das Volk Israels mittels dieser Kennzeichnung entgehen könne. Dieses biblische Gleichnis von der Auserwähltheit des jüdischen Volkes inmitten der Eskalation von Gewalt wurde in der mehrtausendjährigen Geschichte des Judenhasses immer wieder grausam in sein Gegenteil verkehrt. Nunmehr markierten menschliche Massenmörder jüdische Minderheiten, um deren kollektive Ausgrenzung unmittelbar sichtbar zu machen und sie zugleich damit für vogelfrei zu erklären. Im Mittelalter mussten die Juden etwa bestimmte Kleidungstücke tragen, um ihre Andersheit im Alltag unmittelbar erkennbar zu machen. Sie wurden gezwungen, in Ghettos zu leben und sich so bei Pogromen, die traditionell an Ostern einsetzten, umso angreifbarer zu machen. Zur Zeit der spanischen Inquisition, nach der Aufklärung und im Zeitalter der beginnenden Assimilation bedauerten Antisemiten die zunehmende Unsichtbarkeit zur Konversion gezwungener oder auch freiwillig getaufter Juden und forderten erneute Markierungen.
Eines der abscheulichsten Beispiele aus der deutschsprachigen Literaturgeschichte ist dafür zu Beginn des 19. Jahrhunderts Achim von Arnims antisemitische Satire „Ueber die Kennzeichen des Judentums“ (1811). Darin listet Arnim in obszöner und sexistischer Weise angebliche abstoßende körperliche Eigenschaften von Jüdinnen und Juden auf und schlägt ein chemisches Folter- und Brennofen-Experiment vor, um eine Art Lackmustest an Personen vorzunehmen, die des versteckten Judentums verdächtigt werden – ein seinerzeit bei Arnims Vortrag in der Deutschen Tischgesellschaft schallendes Gelächter auslösendes Szenarium, das aus heutiger Sicht unweigerlich und auf unheimliche Weise an die Gräuel von Auschwitz erinnert.
Die in solchen abstoßenden Darstellungen zum Ausdruck kommenden antisemitischen Ängste vor camouflierten Jüdinnen und Juden sowie erlösende Gewaltphantasien wie bei Arnim haben sich tief in die Kultur des Abendlandes eingebrannt und überdauerten die Jahrhunderte. Sie bildeten Narrative oder Skripte von Angstlust- und Todesszenarien im Theater, der Literatur und später auch im Film heraus, die immer wieder neu durchgespielt wurden und die westlichen Gefühlsregeln gegenüber der konstruierten Alterität des Judentums etablierten. Die dadurch ersonnenen Fiktionen von Juden als Bedrohung, als geheime Übermacht und als gefährliche Verschwörer wurden nicht zuletzt zu Standardszenarien der Schauerliteratur und des Horrors in allen nur erdenklichen Gattungen und Genres.
Es vermag daher kaum zu verwundern, dass die sich in solchen Texten ausdrückende alte antisemitische Angst vor angeblich gefährlichen und versteckt in der christlichen Mehrheitsgesellschaft lauernden Juden, die man an ihren geheimen Zeichen erkennen solle, bevor sie Unheil anrichten und ganze Gesellschaften ins Unglück stürzen, auch in Metropolis (1927) aufscheint, einem der grundlegenden Werke des Science-Fiction-Kinos des 20. Jahrhunderts. Die dortige Brandmarkung des Bösewichts wird jedoch nicht etwa von einem antisemitischen Mob vorgenommen. Vielmehr weist sich der Wohnort dieser fiktiven negativen Filmfigur an vielen Stellen von vorneherein selbst durch sprechende Warnzeichen aus, die das Publikum entziffern soll. Noch vor der nationalsozialistischen Ächtung jüdischer Geschäfte durch das Beschmieren der Schaufenster mit Davidsternen und dem Spruch „Kauft nicht bei Juden!“ in den 1930er Jahren griff hier einer der einflussreichsten Science-Fiction-Filme der Weimarer Republik auf eine verblüffend vergleichbare Symbolik zurück, um das Böse in der Handlung des Werks für die ZuschauerInnen umgehend als solches erkennbar zu machen.
Ein Grusel-Haus aus dem Geiste der Romantik
In Fritz Langs und Thea von Harbous Metropolis residiert der unheimliche Erschaffer einer artifiziellen verführerischen Frau, C. A. Rotwang (Rudolf Klein-Rogge), in einem Haus, das nicht nur an ein solches im Prager Ghetto (und damit an den in der deutschsprachigen Romantik vielfach im Kontext des literarischen Antisemitismus adaptierten und als antijüdisches Narrativ überformten bzw. umgewerteten Golem-Mythos) erinnert, sondern in dessen Labor über dem von ihm gebauten Frauen-Roboter auch noch ein stark an den Davidstern erinnerndes kabbalistisches Symbol oder Pentagramm prangt, das zudem die Eingangspforte seines Wohnortes ziert.
Rotwangs Haus, das mit lauter futuristischen Apparaturen angefüllt ist, sieht von außen wie eine ärmliche Hütte aus, entpuppt sich im Film aber schnell als ein geheimes Zentrum. Das Gebäude ist durch seinen Keller mit der unterirdischen Arbeitersiedlung und den labyrinthischen, uralten, vergessenen, innersten Fundamenten der Stadt Metropolis verbunden. Aus der Perspektive typischer Phantasmen des Antisemitismus ließen sich hier die klandestine „Weltherrschaft“ und die geheime Kontrolle der gesamten Gesellschaft durch ‚den Juden‘ korrelieren, der in dem Fall auch noch ein Mad Scientist ist, also ein verrückter Wissenschaftler, wie schon die literatur- und filmhistorisch einflussreiche Figur des Coppelius alias Coppola in E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann (1815).
Hoffmanns Bösewicht ist ebenfalls in die Konstruktion eines weiblichen Automaten verstrickt, den der Proptagonist, der Liebhaber Nathanael, lange nicht als solchen erkennen kann, um dadurch dem Wahnsinn zu verfallen und sich am Ende umzubringen. Harbous Roman und ihr Filmskript adaptieren diese antimoderne Symbolik dämonischer Erfindungen durch dubiose Figuren: Auch Freder, der Protagonist und junge Verehrer der keuschen Über-Mutterfigur Maria in Metropolis, fällt auf eine Maschinenkopie seiner Angebeteten herein, die Rotwang konstruiert hat. Die Folge von Rotwangs alchemistisch anmutendem Experiment sind die Verwüstung des Maschinenparks von Metropolis und eine nur um ein Haar abgewendete Ertränkung aller Kinder der unterirdischen Arbeiterstadt. Womit wir auch schon wieder zur biblischen Symbolik und ihrer antisemitischen Adaption durch die Jahrhunderte zurückgekommen wären, aufgegriffen in unzähligen Ritualmordfantasien: Die angeblichen „Kindermörder“, das waren seit jeher „die Juden“, bis hin zu den aktuellen Hirngespinsten eines israelischen Genozids in Gaza, basierend auf dem altbekannten Slogan „Kindermörder Israel“.
Rotwangs auf derartigen Rahmungen fußende Bedrohlichkeit und das Gefühl der ‚Rechtmäßigkeit‘ seines späteren, für das Publikum ,erleichternden‘ Todes am Ende des Plots werden, im Sinne eines subtilen Spannungsaufbaus, über die Dauer des Films jedoch nicht nur durch einige klischeehafte Zeichen wie das Pentagramm an seinen Haustüren und im Roboter-Labor evoziert. Vielmehr geschieht dies zudem durch die Multiperspektivität der Kameraführung, der so inszenierten räumlichen Strukturen seines Hauses sowie seiner unterweltlichen Verbindungen zur Stadt Metropolis. Hinzu kommen weitere sinistere Attribute der Figur, wie etwa ihre versehrte Hand, die in einem schwarzen Handschuh steckt. Rotwang, der dabei im gesamten Film niemals eindeutig als jüdische Figur klassifiziert wird, erscheint so als wandelndes Paradox und bleibt damit stets mehrdeutig: Gerade als Einzelgänger, als behinderter, verschmähter Liebhaber und als Ausgestoßener kennt er die Unterwelt der Stadt offenbar wie kein Zweiter, er unterwandert sie gleichsam und bedroht sie dadurch, ja führt beinahe ihren Untergang herbei.
Man kann Metropolis mitsamt der Romanvorlage von Thea von Harbou, einem Text, der für sich genommen noch deutlicher als die Verfilmung als Fall des literarischen Antisemitismus definierbar ist, in ihrer changierenden Symbolik zwischen spätmittelalterlicher Kathedralen-Gotik und einer staunenswert futuristischen Großstadt als literarisch-filmische Allegorie auf den drohenden endgültigen Niedergang Deutschlands nach 1918 verstehen. Die Inszenierung der Stadt Metropolis oszilliert dabei, wie auch schon Achim von Arnims reaktionäre Erzählung Die Majoratsherren (1818), zwischen der von den romantischen Feinden der Französischen Revolution vermissten feudalen Tradition des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und den dämonisierten Herausforderungen der industrialisierten Moderne. In der damit einhergehenden, widersprüchlichen Darstellung des Fortschritts funktionierte der Film in der Zwischenkriegszeit wie eine Warn-Vision nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg. Damit kann man Rotwang leichter als eine entrückte Figur des Dritten verstehen, die das produktive und wehrhafte „Volk“ von innen heraus zu zerstören droht – und damit als eine verschlüsselte Verkörperung der Dolchstoß-Legende im Kino der Weimarer Republik. Diese insinuierte bekanntlich, dass das deutsche Heer im Ersten Weltkrieg unbesiegt geblieben und nur durch jüdisch-bolschewistische Machenschaften an der Heimatfront heimtückisch zu Fall gebracht worden sei.
Der Film war zu seiner Zeit ein finanzieller Flopp und auch bei den KritikerInnen umstritten, gilt jedoch heute bereits seit Jahrzehnten als „Ur-Text of cinematic postmodernity“, ein „sci-fi disaster noir movie“ avant la lettre bzw. „the fetish-image of all city and cyborg futures“ (Thomas Elsaesser). Die Untersuchung einer ambivalenten Darstellung negativer Figuren im Film jedoch, die in diesem Fall auffällig mit antisemitischen Stereotypen hantiert und damit ein genuines Symptom einer seit der Romantik weiterentwickelten Emotionalisierungsstrategie des Aufbaus von Spannung und Angstlust durch die Unterspezifikation antijüdischer Narrative ist, ist ein weitgehendes Desiderat geblieben.
Im Blick auf die frühe Rezeption von Metropolis ist gleichwohl anzunehmen, dass in der politischen Krisensituation der Weimarer Republik mit ihrem allgegenwärtigen antisemitischen Terror seitens der extremen Rechten emotionalisierende Implikaturen des literarischen oder filmischen Antisemitismus in solchen Szenen leicht wiedererkannt worden sein müssten. Der von der Linguistin, Emotions- und Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel hierzu geprägte Begriff der E-Implikatur meint im Langzeitgedächtnis der Rezipienten gespeicherte und deshalb anhand von bloßen Andeutungen im Text top-down abrufbare Kenntnisse bzw. bereits etablierte kulturspezifische Gefühlswerte zur Evaluation impliziter Sachverhalte, Zustände, Prozesse, literarischer bzw. filmischer Szenarien, Symboliken oder Figuren. Wenn die RezipientInnen eine bestimmte emotionale und kognitive Bewertung von gewissen Zeichen, Sachverhalten oder Personen innerhalb ihrer Familie und ihrer Gesellschaft bzw. Kultur wieder und wieder erfahren und so erlernt haben, ‚verstehen‘ sie daran erinnernde ‚Umwelteinflüsse‘ umgehend und evaluieren sie entsprechend. Rotwang und sein Grusel-Haus müssen mit den entsprechenden Rezeptionserwartungen des politisch tief gespaltenen Weimarer Publikums in dem sich entfaltenden, wirren Plot des Films geradezu wie Karikaturen oder Schlag- und Ankerbilder antisemitischer Ängste gewirkt haben und, je nach kognitiver und emotionaler Prägung, als solche abgelehnt oder begrüßt worden sein.
Zur nationalsozialistischen Rezeption von „Metropolis“
Doch was wissen wir überhaupt über eine konkrete rechtsextreme Rezeption von Metropolis? Der berühmte jüdische Autor und Filmkritiker der Weimarer Republik Siegfried Kracauer hatte bereits 1947 in seiner klassischen Exil-Studie From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film kolportiert, Adolf Hitler habe Metropolis in den 1920er Jahren zusammen mit Joseph Goebbels in einer deutschen Kleinstadt angesehen und danach begeistert zu seinem späteren Propagandaminister gesagt, Lang solle einst die Nazi-Filme drehen. Darüber hinaus meinte Kracauer, das zentrale kitschige Bonmot des Films, „Mittler zwischen Hirn und Händen muß das Herz sein“, hätte genauso gut von Joseph Goebbels ersonnen worden sein können: „In fact, Maria’s demand that the heart mediate between hand and brain could well have been formulated by Goebbels. He, too, appealed to the heart – in the interest of totalitarian propaganda.“ An der Stelle zitiert Kracauer Goebbels weiter:
At the Nuremberg Party Convention of 1934, he praised the ‘art’ of propaganda as follows: „May the shining flame of our enthusiasm never be extinguished. This flame alone gives light and warmth to the creative art of modern political propaganda. Rising from the depths of the people, this art must always descend back to it and find its power there. Power based on guns may be a good thing; it is, however, better and more gratifying to win the heart of a people and to keep it.“
In Langs Film übernehme der Kapitalist Freder, der messianische Sohn des Erbauers und ‚Führers‘ von Metropolis, Goebbels’ Position, so Kracauer weiter, und gewinne das Herz des Volkes als Weg zu totaler Macht über die ‚kollektive Seele‘. 1991 griff Peter S. Fisher diese Beobachtung Kracauers auf und stellte nüchtern fest, dass das zentrale Motiv eines alle gesellschaftlichen Konflikte heilenden Führers in Metropolis in den 1920er Jahren von der politischen Rechten begrüßt worden sei.
In ihrer Hommage an Fritz Lang schrieb Frieda Grafe 1976 fast schon abwinkend zu der These, den Film als emphatische Hitler-Prophetie zu lesen: „Präfaschistische Tendenzen in Metropolis aufzuspüren, das drängte sich auf.“ Langs Ehefrau und Drehbuchautorin, die hingebungsvolle Karl-May-Bewunderin Thea von Harbou, die ihren gleichnamigen Roman zunächst als Vorabdruck-Fortsetzungsroman in der Zeitschrift Das illustrierte Blatt herausgebracht hatte, war laut Grafe früh der NSDAP beigetreten und auch nach dem Krieg weiter dieser Ideologie treu geblieben. Sie habe „haarsträubende Dinge geliefert“ und „damit geholfen, den bürgerlichen Kulturbegriff mit in den Ruin zu treiben“. Dazu muss auch erwähnt werden, dass von Harbou in den 1920er Jahren bereits beim Scherl-Verlag unter Vertrag war, einem der drei publizistischen Imperien in Berlin, das von dem ultrarechten Presse-Zar und späterem Kabinettsmitglied Adolf Hitlers, Alfred Hugenberg, geleitet wurde.
Es ist in diesem Kontext zudem wichtig, zu betonen, dass das Handlungselement der Erzeugung künstlicher Menschen oder unheimlicher Homunculus-Wesen wie der Roboterfrau in Metropolis, die Rotwang zum Leben erweckt und mit der er die unterweltliche Arbeiterstadt und die strahlende Oberwelt von Metropolis beinahe dem Untergang weiht, seit der frühen Schauerliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts zu einem affektiven paradigm scenario (Ronald de Sousa) der Antimoderne und damit auch des literarischen Antisemitismus avancierte. Wie Thea von Harbou in ihrem Roman und Fritz Lang in seiner Verfilmung Metropolis verwendeten auch schon Autoren der Romantik wie E.T.A. Hoffmann oder Achim von Arnim solche poetischen Formen der Mehrdeutigkeit, und zwar in Form von Implikaturen, Unterspezifikationen und Codes, die im Blick auf ein betreffendes Vor- und Gefühlswissen des adressierten Publikums hin gestaltet wurden und von diesem schnell bzw. auch unbewusst sofort verstanden werden konnten.
Daraus lässt sich für den vorliegenden Essay folgende These entwickeln: Die Figur Rotwang in Metropolis ist genau deshalb mit allerhand Zeichen und Implikaturen verknüpft, die antisemitischen Stereotypen entsprechen, wie diese seit der Romantik gängig waren und im Nationalsozialismus bald wieder ideologisches Allgemeingut in Deutschland werden sollten, weil sie damit als überzeitliche emotionalisierende Reizkonfiguration im Publikum Angst und Hass provozieren soll. Sie wird zugleich deswegen nicht eindeutig als jüdisch ausgewiesen und adressiert, weil genau diese Mehrdeutigkeit korrespondierende Gefühle wie Unheimlichkeit, Angst und Hass im Publikum besonders effektiv zu erzeugen vermag – ebenfalls in Übereinstimmung mit gängigen Emotionalisierungstechniken, wie sie in der romantischen Schauerliteratur seit E.T.A. Hoffmann entwickelt wurden. Gerade mittels dieser durchgehaltenen Uneindeutigkeit können irrationale antisemitische Imaginationen bei RezipientInnen aktiviert werden, falls diese denn zuvor bereits von einem entsprechenden Gefühlswissen geprägt worden sind, einem emotionalen Vorwissen also, das bestimmte Reaktionen gegenüber solchen realen oder fiktiven Figuren kognitiv ‚programmiert‘ hat. Dies geschieht, wenn es zuvor in der soziokulturellen Kommunikation mit der Umwelt nachhaltig erworben worden ist – beispielsweise innerhalb faschistischer oder rechtsextremer Wir-Gruppen.
Abschließende Überlegungen zu „Metropolis“ als „Shell Shock Cinema“
Wichtige Einsichten zur Thematik einer potenziellen faschistischen Rezeption von Metropolis vermittelt Anton Kaes’ Beitrag in Noah Isenbergs lesenswertem Essential Guide zum Kino der Weimarer Republik. Kaes stellt hier fest: „The film displays the modernist dimension in fascism and the fascist dimension in modernity; it creates a site where modernism clashes with modernity.“ Im Blick auf Ernst Jüngers Schriften der 1920er Jahre und auf Joseph Goebbels’ Begriff der „stählernen Romantik“ bescheinigt Kaes Langs Film „an intoxicating mixture of myth and modernity“.
Kaes fällt dabei an Rotwangs negativer figürlicher Assoziation mit der dämonisierten Welt der Maschinen in Metropolis auf, dass dessen Auftreten an das des Rabbi Löw in Paul Wegeners Film Der Golem: Wie er in die Welt kam (1920) erinnere. In Rotwangs archaischem Haus inmitten der futuristischen Stadt bzw. mit dem fünfzackigen Stern an seiner Haustüre, den von Harbou in ihrem Roman bereits als „the seal of Solomon“ bezeichnet habe, sowie mit seinem schillernden Charakter zwischen Magier und Hexenmeister repräsentiere er, so Kaes, die „nonsynchronous dimension of modernity“.
Da Rotwang und seine am Schluss wie eine Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannte Cyborg-Frau Maria die Einzigen seien, die im Film sterben müssten, erscheine die Gemeinschaft in Metropolis zum Happy End befreit von diesem vage als ‚jüdisch‘ konnotierten Einfluss, der nicht zuletzt mit einer unkontrollierten weiblichen Sexualität assoziiert werde, meint Kaes. Es handele sich, mit anderen Worten, bei der Bevölkerung von Metropolis um eine exkludierende, geschlossene Gemeinschaft, wie sie schon reaktionäre Modernisten wie Jünger, Werner Sombart und Oswald Spengler in ihren Schriften der 1920er Jahre entworfen hatten.
Ähnlich wie Kracauer schon 1947 zitiert auch Kaes im Blick auf diese paradoxe und zutiefst ambivalente filmische Vision der Moderne nicht zuletzt Goebbels, der 1939 für den Nationalsozialismus reklamierte, den seelenlosen Charakter der Technologie mit dem Rhythmus und den heißen Impulsen, also dem Herzschlag der Zeit belebt zu haben, um ihn so zu disziplinieren und dem deutschen Volk dienstbar zu machen. Das Wort Antisemitismus fällt in Kaes’ Aufsatz allerdings nicht, so naheliegend es angesichts seiner Interpretation auch gewesen wäre. Ebenso verhält es sich mit seiner an sich überaus inspirierenden Studie Shell Shock Cinema, die 2009 erschien und sich mit Aspekten wie Antiamerikanismus und der ambivalenten Darstellung der Arbeitermassen in Metropolis kritisch auseinandersetzt. Kaes sieht hier durchaus richtig, dass Langs Film die kommunistische Revolte angesichts der tumultuösen politischen Situation in der Weimarer Republik seit der Novemberrevolution von 1918 strikt ablehnt. Stattdessen empfiehlt Metropolis mit der asexuellen menschlichen Heroine Maria, die in einer Szene von Rotwang gejagt und andeutungsweise vergewaltigt wird, bevor dieser ihre frivole Roboter-Kopie produziert, ein geduldiges Warten auf den alle Konflikte heilenden Führer (Freder). Der Arbeiterkampf für eine progressive, gerechtere Welt wird dagegen mit einer durch die promiske Cyborg-Kopie Marias manipulierten Selbstzerstörung der Stadt Metropolis und mit einem Kinder-Massenmord identifiziert. Die Rettung vor diesem symbolischen Genozid am Volk der Arbeiter endet mit dem gerechten Tod des Roboter-Konstrukteurs Rotwang und der veritablen ‚Hexen‘-Verbrennung der Maschinen-Maria auf dem Scheiterhaufen.
Abschließend lässt sich angesichts dieser konterrevolutionären und im Grunde zutiefst romantisch-kitschigen Inszenierung formulieren, dass Fritz Langs und Thea von Harbous Metropolis als Science-Fiction-Klassiker der Stummfilmära auch insofern zur problematischen DNA des gesamten Genres beigetragen hat, als es ein Film ist, der eng mit der audiovisuellen Emotions-Geschichte des Antisemitismus im 20. Jahrhundert verflochten ist. Ähnlich wie in der von Silke Zoller im vorliegenden Schwerpunkt nachgezeichneten, wechselvollen Rezeption späterer Science-Fiction-Blockbuster wie Star Wars, der widersprüchlichen Aufnahme des von Tobias Hof behandelten Romans Lord of the Rings oder auch bei den widersprüchlichen Interpretationen des von Priscilla Layne und Janine Wulz analysierten Klassikers Der Wüstenplanet von Frank Herbert provozierte Langs Film jedoch sehr unterschiedliche Lesarten und wurde seit Kracauers Kritik tatsächlich kaum noch im Kontext seiner potenziellen nationalsozialistischen Rezeption wahrgenommen.
Anmerkung der Redaktion: Der vorliegende Beitrag basiert auf Thesen, die der Autor ausführlicher in einem Aufsatz entwickelt hat, dessen Erscheinen für 2024 geplant ist: Golems, Cyborgs und „Ewige Juden“. Mehrdeutigkeiten in Fritz Langs und Thea von Harbous „Metropolis“ (1927). In: Andreas Blödorn / Stephan Brössel / Johannes Ueberfeldt (Hrsg.): Mehrdeutiges Erzählen im Film: Subjektivität – Perspektivität – Pluralität.
Literatur
Thomas Elsaesser: Metropolis. British Film Institute, London 2000.
Frieda Grafe: Für Fitz Lang. Einen Platz, kein Denkmal. In: Fritz Lang. Reihe Film 7. Mit Beiträgen von Frieda Grafe, Enno Patalas, Hans Helmut Prinzler, Peter Syr (Fotos). München: Carl Hanser Verlag 1976, S. 21-22.
Thea von Harbou: Metropolis. Roman. Berlin: August Scherl 1926.
Anton Kaes: Metropolis (1927). City, Cinema, Modernity. In: Noah Isenberg (Hrsg.): Weimar Cinema: An Essential Guide to Classic Films of the Era. New York: Columbia University Press 2009, S. 173-191.
Anton Kaes: Shell Shock Cinema. Weimar Culture and the Wounds of War. Princeton / Oxford: Princeton University Press 2009.
Peter S. Fisher: Fantasy and Politics. Visions of the Future in the Weimar Republic. Madison / London: The University of Wisconsin Press 1991.
Hans-Joachim Hahn / Jan Süselbeck: Ekel und Abscheu. Zur Affektpoetik des literarischen Antisemitismus in E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“. In: Claudia Liebrand / Thomas Wortmann (Hrsg.): E.T.A. Hoffmann Jahrbuch, Band 28 (2020), S. 46-67.
Siegfried Kracauer: From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film. Princeton: Princeton University Press 1974.
Monika Schwarz-Friesel in ihrer Einführung: Sprache und Emotion. Zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage, Tübingen/Basel 2013.
Jan Süselbeck: „Kindermörder Israel“. Die Affektpoetik des literarischen Antisemitismus und der Judenhass der Gegenwart. In: Der Neue Weltengarten. Jahrbuch für Literatur und Interkulturalität 2017/18 (Abt. III, „Erinnerung und Emotion. Postkoloniale und geschlechtertheoretische Perspektiven“). Hrsg. von Michael Hofmann, Iulia-Karin Patrut und Hans-Peter Klemme. Unter Mitarbeit von Miriam Esau. Hannover: Wehrhahn Verlag 2018, S. 237-262.
Jan Süselbeck: Schöne Augen. Emotionalisierende Figurationen des „Ewigen Juden“ in E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann. In: Stefanie Schüler-Springorum / Jan Süselbeck (Hrsg.): Emotionen und Antisemitismus. Geschichte – Literatur – Theorie. Reihe: Studien zu Ressentiments in Geschichte und Gegenwart. Göttingen: Wallstein Verlag 2021, S. 42-83.