Trans*Sein – literarisch betrachtet

Der Weg vom autobiografischen Schreiben hin zum Autofiktionalen als Literarisierung des trans*Seins

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Geschichte schreiben und Geschichten schreiben gehören zu demselben Wahrheitsregime.“ 
Jacques Rancière

„Das Reale muss zur Dichtung werden, damit es gedacht werden kann.“ 
Jacques Rancière

„Keine neue Welt ohne neue Sprache.“ 
Ingeborg Bachmann

Mich haben einige Veröffentlichungen der letzten Zeit, die das trans*Sein auf unterschiedliche Weise thematisieren, dazu angeregt, nach Gemeinsamkeiten darin zu suchen: Wovon erzählen die Texte? Wie tun sie das? Für wen wurden sie geschrieben, wer ist in ihnen adressiert? Wie lässt sich etwas ausdrücken, das sich nicht auf eine normierte Geschlechterdichotomie, auf einen kulturellen Standard berufen kann und will, sondern eher von Grenzüberschreitungen oder geschlechtlicher Gleichzeitigkeit handelt, die es mit Blick auf unsere binäre Grammatik sprachlich eigentlich gar nicht gibt? Von dem spanischen Philosophen Paul B. Preciado stammt der Einspruch: „Mein Trans-Körper wendet sich gegen die Sprache derer, die ihn benennen, um ihn zu verleugnen.“ Denn dieser trans*Körper sei „eine widerspenstige Institution ohne Satzung“. Also, wo ist die neue Satzung, die Gleichberechtigung und Dazugehörigkeit für alle festschreibt?

Wenn unsere Sprache das trans*Sein nicht kennt, wie finden wir dann zu einem Gespräch und zum Verstehen? Müssen wir stets erklären, wie etwas gemeint ist, weil für das Gemeinte kulturell kein Äquivalent verfügbar ist? Brauchen wir also zuerst eine Epistemologie, die für eine erweiterte Wahrnehmung steht? Denn wie steht es um die Körperlichkeit, um Liebe, um Sexualität oder wie um die sozialen Beziehungen, wenn das trans*Sein mitspielt?

Bleibt eine Liebesgeschichte zwischen Frau und Mann oder zwischen zwei Frauen oder zwei Männern die gleiche, wenn in der Beziehung eine trans*Frau oder ein trans*Mann auftritt? Und warum überhaupt dauernd Paarbeziehungen, fragt die Polyamorie? Hier scheint das Aufkommen neuer Begriffe von besonderer Bedeutung zu sein, die Preciado als ein „Lösungsmittel“ versteht, „das die normativen Sprachen angreift, wie ein Gegengift wider die herrschende Terminologie“.

Also schauen wir uns die literarischen Produkte genauer an in der Hoffnung, darin Antworten zu finden. Wo immer uns Fremdes und Unbekanntes begegnet, neigen wir dazu, es mit unserem kulturell sozialisierten Blick zu erfassen und suchen im Fremden stets das Bekannte. Wir verwenden die uns vertrauten Begriffe und zwingen dem Fremden und Anderen einen Sinn auf, der in Wahrheit nicht ihrer ist. Das ist der bequemste Weg, nämlich ihm das uns Bekannte und Vertraute überzustülpen. Wo immer es um das trans*Sein in Verbindung mit der Frage des Geschlechts geht, wird das Sprach- und Paradigmenproblem offenbar. Die Philosophen Hubert Dreyfus und Charles Taylor verwerfen den „bequemen Weg“ in ihrem gemeinsam verfassten Werk Die Wiedergewinnung des Realismus als den falschen Weg der Annäherung. Sie plädieren für das, was sie „Horizontverschmelzung“ nennen:

Sofern das Verstehen des Anderen nicht als Verfügen über eine Wissenschaft von dem betreffenden Objekt gedeutet werden soll, sondern als Horizontverschmelzung, könnte das Schlagwort wie folgt lauten: Kein Verständnis des Anderen, ohne ein verändertes Verstehen des Selbst.

Das heißt wohl auch, sich auf das Andere in seinem Anderssein einzulassen, ohne es sich manipulativ verfügbar zu machen, es zu vereinnahmen oder zu exotisieren. Umgekehrt geht es beim Anderen nicht um Anpassung, sondern um Gleichwertigkeit, die nur Sinn hat, wenn sie der Eigenheit einen angemessenen Raum lässt. Verstehen ist keine epistemologische Einbahnstraße. Einfacher gesagt: Trans*Sein ist eine Möglichkeit der menschlichen Existenz. Genau diese Wahrheit fand ich in literarischen Texten von Torrey Peters, Myriam Sauer, Camila Sosa Villada, Oskar Biba Nass, Jayrôme C. Robinet und Henry Maximilian Jakobs. Zu finden war eine vielfältige Wahrheit.

Bevor das Schreiben über das trans*Sein literarisch wurde, war es ein autobiografischer Akt der Selbstdarstellung, darin erkennbar eingeschrieben ein Lernprozess. Trans*Menschen mussten selbst erst lernen und dann begreifen, wer sie sind, um sich selbst überhaupt anzuerkennen. Der Definition nach bedeutet trans*, sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zu identifizieren. Damit verbunden ist in der Regel der Wechsel des sozialen Geschlechts.

Die Germanistin Annette Runte beschäftigte sich in ihrer Dissertation Biographische Operationen. Diskurse der Transsexualität kritisch mit den Autobiografien von hauptsächlich weiblichen trans*Personen, in denen sie immer wieder Operationsberichte vorfand. Der vermeintlich „falsche Körper“ verschwindet durch eine OP, ein „herrliches Glücksgefühl“ empfanden die Menschen danach: „Ich bin eine richtige Frau […]. Ich war erlöst. Mein eigentliches Leben konnte beginnen.“ Von großer Beliebtheit sind die omnipräsenten, euphorisch gestimmten Spiegelszenen mit der Spiegelung des Selbst als Erfüllung und Wirklich-werden eines Traums. Entscheidend dabei, dass das trans*Sein gleichsam wegoperiert wurde.

In wiederkehrenden Narrativen ist die Rede vom unbeschreiblichen Glück, von einer Seligkeit und wundervollen Ruhe, von Befreiung und Selbst-Geburt. Metaphern stehen hoch im Kurs. Runte reagiert darauf berechtigterweise skeptisch, denn wo bleibt dabei das Geschlechts-Gedächtnis und die, wenn auch falsche, aber tatsächlich erlebte geschlechtliche Sozialisation? Da das Vergessen unmöglich ist bei allen Verdrängungskünsten, die der Mensch beherrscht, hilft in erster Linie die Mythisierung des chirurgisch vorgenommenen Geschlechtswechsels.

Auch wenn die frühen Autobiografien als Leitmotiv die „richtige Seele im falschen Körper“ haben, weshalb der Körper dringend und alternativlos einer Korrektur unterzogen werden müsse, ist das trans*Sein letzten Endes keine Frage des medizinischen Fortschritts. Ausgeklammert bleiben allerdings für lange Zeit die anderen trans*Biografien, die nicht über den Operationssaal führen.

Genau diese erweiterte Realität gewinnt in dem Moment an Gewicht, in dem das trans*Sein als ein Spektrum von Lebenswirklichkeiten wahrgenommen wird. Mit seiner Diversifizierung bleibt das bipolare Geschlechterkonzept und das „Verschwinden“ darin zwar nach wie für gültig, ist aber nicht länger der alleinige Maßstab. Solche identitätspolitischen Verschiebungen haben literarische Auswirkungen, nämlich auf das, was und wie nun erzählt wird. Es geht nicht länger um die geschlechtliche Frage als ein entweder Frau oder Mann im heteronormativen Sinne, sondern jetzt um ein Sowohl-als-auch beziehungsweise um ein Weder-noch. Und damit werden zugleich Grenzen des Ausdrückbaren erreicht, wie sie durch eine binäre Grammatik gezogen werden.

Aktuelle Autobiografien sind nicht länger heroische Erzählungen, die mit einem klaren Vorher/Nachher operieren und die Transition als einen abschließbaren Prozess kalkulieren. Ein Beispiel: In Linus Gieses Ich bin Linus. Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war gibt es zwar nach wie vor die Entschiedenheit im Wechsel der Geschlechtsrolle, aber diese selbst wird als etwas Offenes beschrieben und Männlichkeit als Rollenklischee hinterfragbar und so lautet das Resümee:

Das Leben von trans Menschen wird häufig als schweres Schicksal oder trauriger Leidensweg beschrieben: Ich empfinde das nicht so: Ich lebe bewusster und glücklicher, in mir ist deutlich mehr Lebensfreude. Ich habe die Fähigkeit entwickelt, mich anzunehmen, aus mir herauszukommen, mich um mich zu kümmern. Ich bin offener geworden, dem Leben und den Menschen zugewandter.

Am Ende geht es darum, sich selbst anzunehmen: „Ich weiß, wer ich bin und wer ich sein möchte.“ Selbstliebe in einem nicht narzisstischen, sondern fürsorglichen Sinne tritt hier mit einem Selbstbewusstsein auf, um gemeinsam für eine Sichtbarkeit im trans*Sein einzustehen. „Ich habe mich auch damit abgefunden, dass mein Körper nicht den herkömmlichen gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht. Ich versuche, dankbar für diesen Körper zu sein, für dieses Leben.“

Paul B. Preciado hat zwar keine Autobiografie geschrieben, aber in zahlreichen Texten das trans*Sein reflektiert – so in Ein Apartment auf dem Uranus. Chroniken eines Übergangs. Auch hier ist das Transitorische nicht abschließbar und ein mit dem Leben gewissermaßen identischer Prozess. Das „Paradigma der Geschlechterdifferenz“, das vorgibt, nur Normkörper zu kennen, lässt Preciado zum Dissidenten in einem System werden, das nicht zu retten sei: „Wir brauchen ein neues, offeneres, weniger hierarchisches Wahrnehmungsmodell. Wir brauchen eine Revolution im System der Körpervorstellung […]“ und spricht an dieser Stelle von einer kopernikanischen Wende.

Dieser radikale Denkansatz sollte allerdings nicht als Abschaffung von Geschlecht missverstanden werden. Denn das Problem ist ja nicht die Existenz von Frau und Mann in einem biologischen Sinne mit abgrenzbaren Anatomien oder die reproduktiven Bedingungen, sondern was daraus als Frau und Mann kulturell konstruiert wurde (abgesehen von der damit verbundenen und nach wie vor mächtigen patriarchalen Hierarchie), und der damit zusammenhängende Ausschluss anderer Frauen und anderer Männer. Das Nicht-mitdenken ist das Problem. Es geht nicht um die Übersetzbarkeit von trans* in die binomische Ordnung von Frau und Mann, sondern um die Anerkennung der materiellen Wirklichkeit von trans*Körpern und deren Authentizität. Wie es bei Judith Butler treffend heißt, sind Körper außerhalb der Norm immer noch Körper. Gleichwohl gilt, was Preciado so formuliert: „Er bestimmt sich weder aus dem, was er war, noch aus dem, was er angeblich werden soll.“

Wem hier das Vorstellungsvermögen versagt, dem könnte möglicherweise die Literatur auf die Sprünge helfen. Aber auch das autobiografische Schreiben hat sich mit Blick auf trans* seit den 1970er Jahren weiterentwickelt und verändert. Die selbstkritische Reflektiertheit überwiegt, verbunden mit Plädoyers für individuelle Lösungen. Weil es dabei immer um Veränderungen geht, bleibt die narrative Vorher/Nachher-Achse in der Beschreibung einer Selbstverwirklichung bestehen und insofern kann das Happy End nur legitim sein. Hinzu gekommen ist die Literarisierung des trans*Seins, womit das autobiografische Schreiben sich in ein mehr oder weniger autofiktionales verändert hat. Doch Lebensgeschichten bleiben es, mit welcher Erdung auch immer, weshalb hier ein Gedanke von Stanley Cavell aufgegriffen sei, der in Die andere Stimme. Philosophie und Autobiographie etwas Universales in der menschlichen Selbstbeschreibung erkennt:

Die philosophische Dimension der Autobiographie besteht darin, daß das Menschliche repräsentativ ist, sozusagen nachahmend, daß jedes Leben für alle anderen exemplarisch, eine Parabel eines jeden ist; darin liegt die Gemeinsamkeit […] der Menschheit, die in ihrer ewigen Ablehnung des Gewöhnlichen […] inbegriffen ist.

Eine der am Anfang gestellten Fragen war die, wer in und mit bestimmten Texten adressiert wird. Ist es ein Wir, mit dem die trans*Community gemeint ist? Ist es die Mehrheitsgesellschaft, die nicht trans* ist? Schreiben wir möglicherweise für uns selbst, als handele es sich um eine Selbstvergewisserung und Bestätigung unseres Selbst? Letzteres sicher auch, was die trans*Literatur in genau diesem Punkt freilich nicht vom Rest der Literatur unterscheidet. Wir bringen uns stets selbst ein, erkennbar oder auch nicht, und ohne Autor*in gäbe es keine Erzählstimme, die unter welchem Namen auch immer in Erscheinung tritt.

Augenscheinlich richtet sich der als Essay deklarierte Text von Biba Oskar Nass Microdosing Testosteron. Ein alternativer Beipackzettel an ein Wir, hinter dem unschwer die trans*Community vermutet werden darf. Doch sollte dieser literarisch beeindruckende Text nicht als bloße Insider-Botschaft missverstanden werden. Denn was der von der Lyrik kommende Nass hier bietet, ist mit das Bedeutendste, was ich bislang über das trans*Sein und die Transition in solch präziser Bildhaftigkeit gelesen habe.

Der „Wortmetzger“ Nass, wie er sich selbst nennt, zerlegt gerne die Sprache wie andere Fleisch vom Knochen lösen und aufteilen. „Es ist der Versuch zu formulieren, wie es ist, in den eigenen Körper einzutauchen.“ „Körper sind dazu da, erreicht zu werden.“ Und so ist für Nass die Transition vergleichbar mit einem Raum, „in dem man seiner eigenen Körperlichkeit näherkommen kann“. Das ist kein Narzissmus, sondern der Tatsache geschuldet, dass wir als soziale Wesen Zwängen unterliegen – etwa der geschlechtlichen Eindeutigkeit, die nicht unbedingt die Antwort von trans*Menschen ist. Denn erstens: „Egal wie gut wir uns vorbereiten. Wir bleiben unvorbereitet.“ Und zweitens ist Transition kein linearer Weg: „Alle Richtungen sind erlaubt, solange sie sich gut anfühlen. Richtungs- und Spurwechsel müssen nicht angezeigt werden.“

Gleichwohl sind mit dem trans*Sein Körperentscheidung verbunden, die allein diejenigen bestimmen, die es betrifft:

Sie stellen sich dieser Frage, stellen sich vor ihre Vokale und die Frage nimmt Messer in die Hand. Messer und Spiegel und Abgründe. Ich weiß nicht, wie eine Frage Abgründe in die Hand nehmen kann, aber diese Frage weiß es. Fragen sind manchmal tiefer als Abgründe.

Szenenwechsel: Das eine ist erklärtermaßen ein Roman, das andere ein Stück Literatur von offenkundig autofiktionalem Charakter. Dort eine Gesellschaftssatire, komisch, intelligent und politisch unbestechlich, hier ein mit sprachlicher Wucht und ebenso anrührend erzählter Kampf um das elementare Recht auf Leben. In beiden Erzählungen geht es um das trans*Sein aus einer Alltagsperspektive und damit aus allernächster Nähe beobachtet. Torrey Peters führt uns nach New York, Camila Sosa Villada ins nordargentinische Córdoba. Sexarbeit spielt in beiden Texten eine Rolle und auch die Frage, was die Community zusammenhält und wie kompliziert Beziehungen funktionieren und wie eindeutig uneindeutig am Ende Sexualität sein kann. Überraschend auch, dass in beiden Texten trans*Personen im Zentrum stehen, die von dem Wunsch des Mutterseins getrieben sind – in dem einen Fall bleibt die Frage offen, im anderen spielt der Zufall in die Geschichte hinein und beschert ein ausgesetztes Baby.

Villadas Im Park der prächtigen Schwestern trägt im spanischen Original den Titel Las Malas – und genau in dieser extremen Bedeutungsspanne bewegt sich die Erzählung. Schauplatz ist der nächtliche innerstädtische Sarmiento Park. Dort treffen sich allabendlich trans*Frauen, um Sex zu verkaufen. Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft, die einer nicht ungefährlichen Arbeit nachgeht, wie ihre von Narben gekennzeichneten Körper zu verstehen geben. Es sind in der Tat prächtige Schwestern und für die Welt um sie herum jedoch die Bösen – las Malas. Das Thema Körperlichkeit muss auch hier nicht lange gesucht werden. Zugleich schiebt sich eine nahezu durchgehend feindliche Umgebung in den Vordergrund. Da trans*Sein keine Wahl ist, stellt sich nur die strategische Frage, wie ein feindlicher Lebensraum dennoch bewohnt werden kann.

Von Tia Encarna kommt die passende Lebensmaxime: „Jede von uns hat bei der Verteilung der Gaben die Fähigkeit zur Transparenz und die Kunst zur Blendung erhalten.“ Sichtbarkeit wird mit „Durchsichtigkeit“ ersetzt, indem sich die Gruppe angewöhnt hat, im täglichen Leben schnell zu laufen:

Das Tempo unserer Schritte ergab sich aus dem Bedürfnis, transparent zu sein. Sobald unsere Leiblichkeit sich erneut verfestigte, schrien uns Männer, Frauen und Kinder, Alte und Junge ihr Nein entgegen, dass wir eben nicht transparent waren, dass wir trans waren und damit alles, was in ihnen den Wunsch nach Beleidigung nach Ablehnung weckte. Deshalb arbeiteten wir, mehr oder weniger geschickt, daran, transparent zu sein. Ein Triumph, unsichtbar und nicht besudelt von Angriffen zurück nach Hause zu gelangen. Transparenz, Tarnung, Unsichtbarkeit, visuelle Stille, darin bestand unser kleines Alltagsglück. Momente des Ausruhens.

Die Sprache ist bei Villada direkt und hart, dieser Realismus gibt gleichsam die notwendige mentale Schutzschicht vor, die trans*Menschen in solchen Verhältnissen nötig haben. Anders die Situation in New York, wo uns Peters in Detransition Baby das trans*Sein als die neue Normalität vermittelt, die sich allerdings in einem permanenten Belagerungszustand durch das zwischenmenschliche Chaos befindet, wodurch straight, also „normal“ und „cis“ zu sein, nur als Witz durchgeht. So verwirrend die Konstellationen geschlechtlich wie sexuell auch sind und so unübersichtlich das Wer mit Wem und Warum auch bleibt, so geht es am Ende um die Botschaft, in welch abgewirtschafteten Zustand sich die Heteronormativität mit all ihren Idealen zwischen Monogamie und heiliger Familie in Wahrheit befindet.

Peters‘ Roman betreibt unterhaltsam und frech das Geschäft der Subversion und empfiehlt der Gesellschaft aus therapeutischen Gründen eine Transition, die sie selbst und ihre Romanheldin Reese bereits hinter sich hat – nämlich Preciados kopernikanische Wende.

Kehren wir vom amerikanischen Kontinent, wo Villada und Peters zu Hause sind, zurück nach Deutschland. Wer hier eine Transition startet und sozusagen den „amtlichen“ Weg geht, landet in einer psychotherapeutischen Praxis und einem verordneten „Alltagstest“. Und was meint das? Jayrôme C. Robinet erklärt es in seinem autofiktionalen Roman Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund so:

Ziel des Alltagstests ist, dass die Person schon im Vorhinein lernt, wie es sich anfühlt, als Frau in unserer Gesellschaft zu leben. In der Regel erfährt sie aber, wie es ist, als ‚Mann im Kleid‘ behandelt zu werden. Sie brauchen eine Brille? Der MDK [Medizinischer Dienst der Krankenversicherung, N.E.] gibt ihnen erst mal nur das Gestell. Wenn Sie damit zwölf Monate lang sehen können, dürfen sie sich Korrekturgläser zulegen.

Wie werde ich wahrgenommen? Und als was? Sichtbar sein und gleichzeitig am liebsten unsichtbar bleiben mit dem abgelegten Vorher – also samt seiner Vorgeschichte in einer der beiden Schubladen von männlich und weiblich zu verschwinden. Dieses Schubladenspiel nennt man im Fall von trans* „Passing“. Der aus dem Englischen stammende Begriff meint, in der Rolle gelesen zu werden, in der ein Mensch lebt und gelesen werden möchte. Im Alltag ist das mit Sicherheit die bequemste Position im trans*Sein, denn es mag intellektuell zwar verführerisch klingen, die Uneindeutigkeit als das moderne Menschenbild zu deklarieren, wie ich das neulich irgendwo las, wer aber in geschlechtlicher Uneindeutigkeit tatsächlich über die Straße läuft, hat in unserer Schubladen-Gesellschaft für gewöhnlich die schlechteren Karten.

Passing besitzt bei den jüngeren trans*Generationen dennoch keine Priorität mehr, denn Weiblichkeit und Männlichkeit samt dem bipolaren Geschlechtsmodell bleiben auf dem Prüfstand. Brauchen wir das wirklich noch? Das Votum geht heute oft zugunsten eines Bekenntnisses zur Nicht-Binarität aus. Wie uns zwei Debütromane zu verstehen geben, sind solche Optionen tatsächlich frei wählbar. Henri Maximilian Jakobs hat in Paradiesische Zustände ganz wie Myriam Sauer in Passage durch den reißenden Strom Männlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit zum Ziel, aber anders als frühere Generationen glauben sie nicht daran, dass man deshalb aufhört, trans* zu sein.

Beide Romane handeln von einer Transition – Jakobs erzählt sie mit schier unerschöpflichem Wortwitz zusammen mit einer Mischung aus Traurigkeit und Genervtheit als einen Hindernislauf mit Countdown und bei Sauer ist es eine poetisch aufgeladene Reise durch eine Seelenlandschaft, die von Flüssen und Meeren durchzogen ist, in denen sich ihr Leben beziehungsreich und symbolhaft spiegelt. Als bei Jakobs der Countdown endlich das Startzeichen ins neue und richtige Leben erreicht hat, ist der Romanheld Johann gerade am Pinkeln: „Ich stehe vor der dreckigen Kloschlüssel in einer Kabine irgendeines Berliner Klubs und versuche, meinen Namen zu pinkeln. Eine heroische Tat. Heute Abend feier ich Alles und mich.“

In diesem Moment sind 6 Jahre, 8 Monate und 21 Tage vorüber, von denen der Roman rückblickend erzählt. Es ist die Geschichte, wie ein Mensch erkennt, dass die wahre geschlechtliche Identität nicht immer in der Geburtsurkunde steht. Die Erkenntnis bleibt etwas Unerklärliches. Aber jeder Schritt in einer Transition ist wie eine Erklärung ohne Worte und eine Versicherung dazu, denn natürlich kann kein Mensch vollends erklären, warum er der ist, der ist. Erzählen lässt sich jedoch, wie man wird, was man ist. Und wer kann schon mit Recht und Fug behaupten, wirklich in einem neuen Leben angekommen zu sein, um dieses neue Leben wortwörtlich zu verkörpern.

Sauers Heldin heißt Rachel, lebt zunächst in einer schwulen Beziehung mit einem trans*Mann, um eines Tages zu wissen: Sie ist eine Frau. Auch bei Sauer gleicht die buchstäbliche Migration ins Frausein einem Hindernislauf, aber anders als bei Johann, der sich oft selbst zum Hindernis macht, ganz abgesehen von einem widerständigen Alltag und einer irrwitzigen Bürokratie, die seine Transition diktiert, schiebt sich bei Rachel unentwegt die Vergangenheit kontrapunktierend in ihre Transition, all die Kindheitserinnerungen, die übermächtige Mutter. Für Rachel ist klar, sie will die OP, „von der uns die cis Personen sagen, wie mutig wir doch sind. ‚Du gehst deinen Weg!‘, sagen sie anerkennend und ich will antworten: ‚Ja, welchen denn auch sonst? Gibt es einen anderen?‘“

Wege gibt es viele, aber Rachel sieht nur einen. „Alles ist so in Ordnung, wie es ist.“ Ob diese Brücke allerdings wirklich trägt, bleibt unbeantwortet. „Etwas in mir hat sich verändert, ich lebe und denke anders und diese Andershaftigkeit kann ich mir nur mit einem einfachen Wort beschreiben, nämlich: Ankunft.“ Um im nächsten Moment festzustellen, das sei doch nur Klischee. Als Rachel später in einem Club gefragt wird, ob sie trans* sei, fühlt sie sich beleidigt. „Was hat mir dieses Label zu sagen, zwingt es mich nicht in ein Gefängnis?“

Hinter allen autobiografisch oder autofiktional errichteten Transitions-Fassaden geht es am Ende um die Frage von Dazugehörigkeit oder Anpassung. Denn trans*Sein lebt niemand für sich allein. Selbst wenn diese Frage nicht explizit gestellt wird, läuft sie als Subtext mit. Auch davon handeln Autobiografien und literarische Autofiktionen, wie sie von trans*Autor*innen heute geschrieben werden. Sie geben damit zu verstehen, trans*Sein ist kein Hobby, kein Trend und kein Hype, sondern vielmehr ein unlösbarer Teil ihrer menschlichen Existenz und darum nichts weniger als ihre Identität.