Der lyrische Agitator und politische Vordenker des Vormärz
Zum 150. Todestag von Hoffmann von Fallersleben
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVon August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) ist meist nur bekannt, dass er das Lied der Deutschen verfasste, das in der Revolution von 1848 mit der Melodie von Joseph Haydn gesungen wurde und die Sehnsucht nach einer geeinten Nation ausdrückte, denn der deutschsprachige Raum bestand damals aus 39 Einzelstaaten. Danach erlebte das patriotische Deutschlandlied (wie es auch genannt wurde) eine wechselvolle Geschichte, die ein bezeichnendes Licht auf die Schwierigkeiten der Deutschen auf dem Weg zur Demokratie wirft. Während Hoffmanns Lied aus dem Vormärz zur Zeit der Reichsgründung 1871 kaum in Erscheinung trat, erregte es erst wieder im Ersten Weltkrieg Aufmerksamkeit, als national gesinnte Studenten damit gegen den Feind zogen oder vier Jahre später die geschlagenen deutschen Truppen heimkehrten. Nach dieser zwielichtigen Tradition erhob Friedrich Ebert 1922 das Lied der Deutschen in den Rang einer Nationalhymne. Die Nationalsozialisten benutzten dann das Lied für ihre ideologische Propaganda. Damit war der ursprünglich liberale Text Fallerslebens stigmatisiert. Trotz dieser fatalen Rezeptionsgeschichte wurde es 1952 nach hitzigen und emotionalen Debatten zur Nationalhymne der Bundesrepublik erklärt, während in der DDR bereits seit 1949 der Johannes R. Becher-Text Auferstanden aus Ruinen (Komponist Hanns Eisler) als Nationalhymne diente. Als zu Beginn der 1970er Jahre die deutsche Einheit (in der dritten Strophe hervorgehoben) in der offiziellen DDR kein Thema mehr war, wurde es jedoch eine Hymne ohne Text. Im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung wurde schließlich die dritte Strophe des Hoffmann-Haydn’schen Liedes offiziell zur Nationalhymne erklärt.
Doch nun zu Hoffmann von Fallersleben und zu dessen 150. Todestag am 19. Januar 2024. Geboren wurde August Heinrich Hoffmann am 2. April 1798 in dem kleinen Ort Fallersleben bei Wolfsburg. Der Sohn eines Gastwirts und Bürgermeisters besuchte zunächst die Volksschule in Fallersleben und danach die Gymnasien in Helmstedt und Braunschweig. Hier, es war die Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon, entstanden bereits erste Gedichte, von denen einige auch gedruckt wurden. Nach dem Abitur nahm Hoffman 1816 in Göttingen ein Theologiestudium auf, das ihn aber wenig befriedigte, sodass er sich zum Studium der Germanistik und klassischen Philologie entschloss. Bald wechselte Hoffmann an die Universität Bonn, wo er unter anderen bei Jacob Grimm (1785-1863) und Ernst Moritz Arndt (1769-1860) Vorlesungen hörte. Hier trat er auch einer studentischen Burschenschaft bei, was seine politischen Anschauungen nachhaltig prägte. Durch die Begegnung mit Grimm wandte sich Hoffmann zunehmend der deutschen Sprache und Dichtung zu.
Auf seiner Wanderschaft machte er in Jena die Bekanntschaft des Naturphilosophen Lorenz Oken (1779-1851), der einige seiner Verse in seiner Zeitschrift Isis veröffentlichte. Wohlweislich unter einem Pseudonym. Nach der Ermordung des konservativen Dramatikers August Friedrich von Kotzebue durch den Theologiestudenten Karl Ludwig Sand am 23. März 1819 setzte eine Periode der staatlichen Zensur und der Gesinnungsschnüffelei ein. Erst im Jahre 1840 mit der Thronbesteigung von Friedrich Wilhelms IV. wurden Hoffnungen auf eine liberale Politik geweckt, die sich jedoch bald als Seifenblasen erwiesen.
Durch Vermittlung seines Göttinger Lehrers Friedrich Gottlieb Welcker (1784-1868) ging Hoffmann 1819 nach Bonn, wo er eine Anstellung als Bibliotheksassistent erhielt und sich überwiegend dem Selbststudium widmete. In der Bibliothek entdeckte er Bruchstücke von Otfried von Weißenburgs (um 790-875) Evangelienbuch, worüber er 1821 in einem Aufsatz berichtete. Im selben Jahr erschien seine erste Gedichtsammlung Lieder und Romanzen, für die er sich, aus Gründen der Unverwechselbarkeit, einen neuen Namen gab: Hoffmann von Fallersleben.
Im Dezember 1821 verließ Hoffmann Bonn und ging zu seinem Bruder nach Berlin. In den folgenden zwei Jahrzehnten schlug er die vielversprechende Laufbahn des Bibliothekars ein. Zunächst fand er eine Anstellung beim Freiherrn Gregor von Meusebach, der im Laufe seines Lebens eine gewaltige Bibliothek aufgebaut hatte, die später für die deutsche Literaturgeschichte bedeutend wurde. Während seines Berliner Aufenthalts machte Hoffmann u.a. die Bekanntschaft mit Georg Friedrich Hegel und Ludwig Uhland. 1823 ließ er sich in Breslau nieder, wo er bis auf wenige Unterbrechungen bis 1843 blieb. Zunächst wurde er zum Kustos der Universitätsbibliothek, 1830 zum außerordentlichen und fünf Jahre später zum ordentlichen Professor für deutsche Sprache und Literatur berufen.
Der Hamburger Verlag Hoffmann und Campe veröffentlichte1840/41 Hoffmanns Unpolitische Lieder in zwei Bänden. Es waren polemisch-satirische Lieder, in denen er die politischen Verhältnisse wie Kleinstaaterei, Fürstenwillkür, Standesdünkel, Zensur und die Allmacht von Polizei und Militär anprangerte. Gleich zu Beginn polterte er los: „Von allen Wünschen auf der Welt / Nur einer mir anjetzt gefällt / Nur: Knüppel aus dem Sack! … Auf’s Lumpenpack! / Auf’s Hundepack!“ Und wenig später: „Ich schaffte Freiheit, Recht und Ruh / Und frohes Leben noch dazu“.
Mit diesen kritischen, ja aufsässigen Gedichten traf Hoffmann den Nerv seiner Zeitgenossen, sodass umgehend eine Neuauflage folgte. Für die preußischen Behörden waren sie allerdings eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung mit der Folge, dass ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. Er verlor seine Breslauer Professur und seine Pensionsansprüche erloschen. 1843 entzog ihm die Preußische Regierung auch die Staatsbürgerschaft und verwies ihn des Landes. Die Amtsenthebung war für Hoffmann der Beginn eines Vagantenlebens durch ganz Deutschland mit ständigen Ortswechseln und der permanenten Überwachung durch die Polizei. Steckbrieflich gesucht, wurde er mehrfach ausgewiesen, fand aber als „Wandersänger“ immer wieder Unterschlupf bei Freunden und Gleichgesinnten. So gewährten ihm zwei Gutsbesitzer in Mecklenburg-Schwerin ein sogenanntes Heimatrecht und gaben ihn gegenüber den Behörden als Hintersassen aus. Hier hatte er bis zum Revolutionsjahr 1848 immer wieder ein sicheres Asyl und traf auch Fritz Reuter (1810-1874), der gerade seiner siebenjährigen Festungshaft entronnen war. Das aufgezwungene Wanderleben kam aber der raschen Verbreitung seiner politischen Lyrik zugute, die Hoffmann auf Versammlungen, Kundgebungen und Festen vortrug, worüber dann in den Tageszeitungen ausführlich berichtet wurde. Die Sanktionen der preußischen Regierung bewirkten somit das Gegenteil.
In dieser Zeit entstand ein Großteil seiner bekannten Kinderlieder: Alle Vögel sind schon da, Ein Männlein steht im Walde, Summ, summ, summ, Bienchen summ herum oder Bald nun kommt der Weihnachtsmann. Selbst diese harmlosen Lieder verdächtigte man einer politischen Bedeutung. Umsonst – in unzähligen Vertonungen (u.a. von Mendelssohn Bartholdy, Schumann, Brahms oder Liszt, von denen er einige persönlich kannte) sind sie bis heute lebendig geblieben, ohne dass uns bewusst ist, dass es sich dabei um Dichtungen von Hoffmann von Fallersleben handelt. Er ist einer der am meisten vertonten Dichter im deutschsprachigen Raum.
Durch das „europäische Amerikafieber“ inspiriert hatte Hoffmann sogar den Gedanken, nach Amerika auszuwandern, den er in seinen heute kaum noch bekannten Texanischen Liedern oder in seinem Auswanderungslied zu Ausdruck brachte: „Darum ziehn wir aus dem Vaterlande, / Kehren nun und nimmermehr zurück, / Suchen Freiheit uns am fremden Strande – / Freiheit ist nur Leben, ist nur Glück.“
Während eines Aufenthalts auf der damals noch britischen Insel Helgoland im Jahr 1841 entstand neben anderen Gedichten und Liedern auch das folgenreiche Lied der Deutschen, in dem Hoffmann die Einheit Deutschlands forderte. Eine Forderung, die zunächst einen fortschrittlichen Charakter hatte und in vielen literarischen Werken der damaligen Zeit zum Ausdruck kam. Für den späteren Missbrauch ist der Autor nicht verantwortlich zu machen.
Neben Ferdinand Freiligrath (1810-1876, Ein Glaubensbekenntnis, 1844), Georg Herwegh (1817-1875, Gedichte eines Lebendigen, 1841/43), Georg Weerth (1822-1856, Hungerlied, 1844) oder Adolf Glaßbrenner (1810-1876, Verbotene Lieder, 1844) gehörte Hoffmann von Fallersleben zu den Dichtern des Vormärz, die Lyrik als politisches Instrument einsetzten. Obwohl Hoffmann zu den Wegbereitern der Revolution von 1848 gehörte, übernahm er keine aktive Rolle während der Revolution, was einige Mitstreiter ihm zum Vorwurf machten. Man drängte ihn zur Kandidatur für das Frankfurter Paulskirchen-Parlament, doch als Gutsinsasse erfüllte er nicht die Voraussetzung, dass nur selbstständige Staatsangehörige das aktive und passive Wahlrecht besaßen. Die Revolution ging auch ohne ihn weiter. Hoffmann war kein Mann der Barrikaden, seine Waffe war das Lied und so veröffentlichte er in Flugschriften 1849 seine Zwölf Zeitlieder und Zwei neue Lieder aus der kaiserlosen Zeit, in denen seine freiheitliche Gesinnung klar abzulesen war. Priorität hatten für ihn aber die Wiedereinsetzung in das preußische Beamtenverhältnis und eine feste Arbeitsstelle, denn er strebte eine Heirat mit seiner 18-jährigen Nichte Ida zum Berge (1831-1860) an (Hochzeit am 29. Oktober 1849). Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, von denen aber nur der Sohn Franz Hoffmann-Fallersleben (1855-1927) überlebte und später ein bekannter Landschaftsmaler und Grafiker wurde.
Nach mehreren Jahren der Heimatlosigkeit und einem Zwischenaufenthalt in Neuwied zeichnete sich erst Ende 1853 für Hoffmann eine feste Stellung ab. Bettina von Arnim hatte sich für ihn in Weimar eingesetzt. Im Mai 1854 zog das Ehepaar in die thüringische Residenzstadt. In den folgenden Jahren hatte Hoffmann hier nun die geistigen und gesellschaftlichen Kontakte (u.a. Franz Liszt), die er lange vermisst hatte. Zusammen mit dem Germanisten Oskar Schade (1826-1906) gab er das Weimarische Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst (6 Bände) heraus, unternahm zahlreiche Reisen und publizierte weiterhin; aber seine Gedichte versprühten nicht mehr den kämpferischen Geist des Vormärz. Kein Wunder, waren ihm doch in Weimar politische Äußerungen strikt untersagt.
Nachdem sein erneutes Bemühen um Wiedereinstellung als Professor in Preußen vergeblich war, nahm Hoffmann im Mai 1860 das Angebot des Herzogs von Ratibor und Corvey an, der in seinem ehrwürdigen Kloster Corvey an der Weser einen tüchtigen Bibliothekar suchte. Die umfangreiche Bibliothek war aus der Sammlung der dortigen Benediktiner-Abtei hervorgegangen. Hoffmans Aufgabe war es, die Bibliothek neu zu ordnen und zu katalogisieren. Daneben konnte er sich eigenen Arbeiten zuwenden und bereits angefangene Sammlungen von Liedern zu Ende bringen. In Corvey begann er auch mit der sechsbändigen Niederschrift seiner Erinnerungen, die 1868 als Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen herauskamen und den Zeitraum von 1798 bis 1860 umfassten.
Doch das Glück währte nicht lange, bereits im Oktober 1860 verstarb seine Frau Ida nach der Geburt eines toten Kindes. Danach wurde es einsam um ihn, allein die Reiselust blieb ihm noch. Während der Kriege zwischen Preußen und Dänemark um Schleswig-Holstein (1864) bzw. zwischen Österreich und Preußen (1866) ergriff Hoffmann in seinen Liedern Partei für Preußen, obwohl er dessen Innenpolitik kritisierte. Auch im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 stellte er sich mit seinen Liedern ganz in den Dienst der Ereignisse. Er befürwortete zunächst Reichsgründung und Kaiserproklamation, äußerte aber wenig später seine Enttäuschung über die Entwicklung. Am 19. Januar 1874 starb Hoffmann von Fallersleben und wurde vier Tage später unter großer Anteilnahme der Bevölkerung neben seiner Frau Ida auf dem kleinen Klosterfriedhof von Corvey bestattet.
Hoffmann von Fallersleben, war ein politisch unbequemer, streitbarer Geist, der sich in seinen Gedichten und Liedern mit den politischen und gesellschaftlichen Zuständen seiner Zeit auseinandersetzte. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts war die Einheit Deutschlands eine revolutionäre Vision und das politische Ziel, allerdings gepaart mit einer patriotischen Gesinnung, die uns heute fremd und verdächtig ist. Die Auseinandersetzung mit dem Werk und der Biografie des Dichters des Vormärz erlaubt dabei Einblicke in die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts, von den Bestrebungen nach freiheitlichen, demokratischen und rechtstaatlichen Verhältnissen bis hin zu nationalistischen Tendenzen.
Weniger bekannt ist, dass Hoffmann von Fallersleben auch Gelehrter war; so gehörte er zu den Wegbereitern der Germanistik als wissenschaftlicher Disziplin. Hervorzuheben sind hier die Schriften Allemannische Lieder (1827), Althochdeutsche Glossen (1830-1837) oder Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luther (1832) sowie seine Mitarbeit am Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm. Als Herausgeber und Bearbeiter altniederländischer Literatur wurde er zum Mitbegründer der niederländischen Philologie. Dabei vertrat er keine akademisch-elitäre, sondern eine offene Wissenschaft, die allen Interessenten zugänglich ist: „Der Gelehrte gehört dann nicht mehr wenigen Menschen an und seiner Bücherkammer, sondern seinen Zeitgenossen und einer fröhlichen Nachwelt.“
Anlässlich seines 150. Todestages hat die Weimarer Verlagsgesellschaft eine Auswahl seiner Gedichte und Lieder herausgebracht, die allerdings erst Ende Januar erscheint. In drei Abschnitten widmet sich die Neuerscheinung Hoffmanns Unpolitischen Liedern, den Gedichte(n) für Kinder und seinem übrigen lyrischen Schaffen. Hoffmann von Fallersleben wird damit als liberaler Dichter wieder mehr ins Bewusstsein gerückt, auch wenn er vereinzelt antijudaistische Gedichte veröffentlichte. Die überarbeitete Anthologie, herausgegeben und kommentiert von dem Schriftsteller Ulrich Völkel, erschien bereits 2008 und 2014.
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