Bau das Bett auf, schreib Deinen Roman, aber lass mich in Ruhe damit!
Nele Pollatscheks unterhaltsamer To-do-Listen-Roman „Kleine Probleme“
Von Martin Gaiser
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWas, bitte, fangen wir mit einem Protagonisten an, der seine Familie nervt, der nicht mitbekommen hat, dass seine Frau dringend einen Tapetenwechsel benötigt und sich deshalb, Lehrerin, die sie ist, um ein Sabbatical in Portugal bemüht hat? Bedauern wir den, mögen wir den? Können wir uns in ihm wiedererkennen oder wollen wir das lieber nicht, weil das dann doch in eine tiefergehenden Selbstreflexion münden könnte? Nele Pollatschek schreibt in ihrem zweiten Roman Kleine Probleme (nach Das Unglück anderer Leute von 2016) über einen Mann, der eine Menge zu tun hat. Und das auch noch an einem Termin, der dafür nicht allzu viel Spielraum lässt, da die eine oder andere Pflicht nicht aufgeschoben werden kann: an Silvester. Dieser Mann ist der 49-jährige Lars Cornelius Messerschmitt, der – zumindest in der Erzählzeit – allein zuhause ist. Und das ist Teil seines Problems. Zwar hat er eine To-do-Liste, doch wenn niemand da ist, der ihn antreibt, der ihm Ziele und Ultimaten setzt, der ihn anspornt, lobt, kritisiert, ihm die Uhr vor die Nase hält und sein Zeitmanagement übernimmt, passiert nichts. Und man kann es sich denken, das ist nicht erst am letzten Tag des Jahres so, sondern eine seiner großen Schwächen. Hilft jedoch alles nichts, er sollte unter anderem noch ein IKEA-Bett aufbauen, die Steuererklärung und einen Nudelsalat machen und – und das ist nun wirklich nicht an einem Tag zu schaffen, weswegen die Liste weit über den Menschen, den Tag, das alltäglich Nötige und Mögliche hinausweist – sein Lebenswerk schreiben.
Ja, nicht mehr und nicht weniger. Und somit sind wir bei Lars’ Profession oder seinem (Wunsch-) Bild von sich selbst, denn Lars sieht sich als Künstler, als Schriftsteller, als denkenden Schöpfer. Mag sein, dass er das alles auch ist, es fehlt noch der konkrete Beleg dafür. Gut möglich, dass er sein Opus Magnum im Kopf skizziert oder gar konkret ausformuliert hat, vielleicht ist er ein Genie ohne Werk. Allerdings wäre es hilfreich, für ihn und seine Familie, wenn er endlich, endlich damit begönne. Wer kennt das nicht? Der Verfasser dieser Zeilen hat ebenfalls einige Zeit verstreichen lassen, bis es zu der nun vorliegenden Rezension gekommen ist, weil man hat immer noch etwas anderes zu erledigen, muss noch den Müll runterbringen und die Katze füttern, Oma wurde auch lange schon nicht angerufen und – Sie wissen, wie das ist. Nele Pollatschek treibt diese Diskrepanz zwischen Wollen, Sollen und Nicht-können auf die Spitze, indem sie Lars beim einerseits zwar kniffligen, andererseits aber auch nur mäßig herausfordernden Bettaufbau in Denkspiralen abdriften lässt, die auf gekonnte Weise ihre Leserschaft zum Schmunzeln und in Richtung Weißglut bringen. Denn Lars’ Abschweifen (in dieser Disziplin könnte er Harry Rowohlt ernsthaft Konkurrenz machen, der einmal als „der Paganini der Abschweifung“ bezeichnet wurde) motiviert all diejenigen, denen effektive Aufgabenerfüllung Befriedigung verschafft, dazu, diesen etwas woodyallenesken Protagonisten am liebsten durch die Buchseiten hindurch zu schütteln und ihn antreiben zu wollen.
Kleine Probleme, das selbst manches Mal ein wenig zu sehr abschweift – doch gerade das mag Nele Pollatscheks formale Idee gewesen sein –, vermag uns Leserinnen und Leser auf bewundernswert unterhaltsame Weise in die unterschiedlichsten Interpretationsecken zu führen; da ist neben den oben bereits erwähnten Aspekten auch die latente Überforderung im Denken, die von Jürgen Habermas postulierte „Neue Unübersichtlichkeit“ (die Autorin hat unter anderem Philosophie studiert), die Frage nach dem sozialen Status (Was bin ich wert, wenn ich nicht die gängigen Erwartungen erfülle?), der Aspekt der Verantwortung in einem sozialen Gefüge (hier: Familie). Der erst 36-jährigen Autorin ist mit diesem Buch etwas sehr Seltenes gelungen: Sie hat einen äußerst klugen Roman geschrieben, der mit einer fast schon tölpelhaften Hauptfigur trotzdem nicht zur klamaukigen Komödie wird, der sich jedoch auch nicht als staubiger und zeigefingernder Bildungsroman geriert.
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