Ein Wechselspiel von Schreiben und Kommentieren

Ein Nachruf auf die Lyrikerin Elke Erb

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Die Lyrikerin Elke Erb erhielt 2020 den Georg-Büchner-Preis, spät mit 82 Jahren und während der Corona-Zeit kaum beachtet. Nach Sarah Kirsch (1996) und Friederike Mayröcker (2001) erst die dritte Lyrikerin. Nun starb Elke Erb am Montagabend (22.1.2024) im Alter von 85 Jahren in Berlin.

Elke Erb wurde am 18. Februar 1938 in Scherbach, einem kleinen Dorf in der Eifel, geboren. 1949 holte ihr Vater, der marxistische Literaturhistoriker Ewald Erb, seine Familie in die DDR nach Halle, wo sie aufwuchs. Ihre jüngere Schwester Ute verließ 1957 die DDR. Elke Erb blieb und studierte an der Martin-Luther-Universität Germanistik, Slawistik und Pädagogik. Nach dem Lehrerexamen 1963 arbeitete sie bis 1966 zunächst als Volontärin und dann als Lektorin beim Mitteldeutschen Verlag. Durch diese Tätigkeit lernte sie z.B. Sarah und Rainer Kirsch, Adolf Endler, Karl Mickel, Erich Arndt und andere Vertreter der DDR-Lyrikszene kennen.

Danach zog Erb nach Berlin, wo sie freiberuflich als Schriftstellerin und Übersetzerin tätig war. Hier hatte sie auch engen Kontakt zu der Lyrikszene im Prenzlauer Berg. Von 1967 bis 1978 war sie mit dem DDR-Schriftsteller Adolf Endler verheiratet. Aus dieser Ehe stammte ihr 1971 geborener Sohn Konrad, der ebenfalls Schriftsteller (und Musiker) wurde.

Zunächst trat Erb als Übersetzerin und Nachdichterin russischer Lyrik auf (u.a. Maria Zwetajewa und Anna Achmatowa). Diese Arbeit gab ihr die Möglichkeit, die eigene poetische Sprache zu vervollkommnen. 1975 debütierte sie dann mit dem eigenen Band Gutachten, Poesie und Prosa, der neben Gedichten auch Erinnerungen und Dichterporträts versammelte. Es folgten die Publikationen Der Faden der Geduld (1978), Vexierbild (1983) sowie der Band Kastanienallee (1987), in dem sie jedes Gedicht mit einem Kommentar versah und der mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet wurde. Damit gelang ihr der literarische Durchbruch, auch im Westen, wo bereits zuvor ausgewählte Texte erschienen waren. Als Teil der literarischen Subkultur und der Bürgerrechtsbewegung waren ihre Publikationsmöglichkeiten in der DDR eher beschränkt. Sie stand sogar im Fokus der Staatssicherheit.

Nach der Wende 1989/90 kritisierte Erb dann die bundesrepublikanischen Verhältnisse, vor allem hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Abwicklung der DDR. 1991 erschien im Leipziger Reclam Verlag mit Nachts, halb zwei, zu Hause eine Auswahl mit Texten aus drei Jahrzehnten. Es sind auch Jahre des intensiven Dialogs mit Schriftstellerkolleginnen wie Christa Wolf, Sarah Kirsch, Brigitte Struzyk oder Kerstin Hensel. Ihre weiteren Werke erschienen vorrangig in kleineren Verlagen, abseits des Mainstreams. Eine publizistische Heimat fand sie schließlich im Verlag von Urs Engeler, der ihre Gedichtbände kontinuierlich publizierte, zuletzt (2022) mit Notizbuch Ende der 90er eine Auseinandersetzung mit zurückliegenden Aufzeichnungen aus den Jahren 1996 bis 1998.

Insgesamt zwanzig Gedichtbände hat Elke Erb veröffentlicht. Ihre Poesie zeichnete sich durch einen experimentierfreudigen und selbstreflektierenden Schreibprozess aus: Dichten und Kommentieren gepaart mit Sprachwitz und originellen Wortschöpfungen. Bereits in einem Gedicht aus den 1980er Jahren charakterisierte sie ihre Arbeit mit den Worten: „Kaum setze ich die Feder an, bohrt sie sich in den Grund. Auch schon ohne Papier, schon im Kopf“. Durch ihr Werk und ihren freigiebigen Austausch war sie für jüngere Dichterkolleg*innen ein Vorbild. Nun ist ihre lyrische Stimme verstummt.