Im Bermudadreieck der Frauenrechte

Jasmin Taylor und Marjane Satrapi haben mit „Im Namen Gottes“ und „Frau, Leben, Freiheit“ Bücher auf den Markt gebracht, die sich für die Frauen im Iran stark machen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die islamischen Staaten der Länder-Trias Pakistan, Afghanistan und Iran lassen sich mit einigem Recht, aber auch mit einigen Abstrichen, als Bermudadreieck der Frauenrechte bezeichnen. Dies umso mehr, als dort nicht nur die Rechte der Frauen verschwunden sind, sondern auch die Frauen selbst verschwinden; sei es unter dem Tschador oder der Burka. Lugt auch nur eine Haarsträhne unter dem ihnen im Iran aufgezwungen Kopftuch hervor, droht ihnen, hinter die Mauern berüchtigter Gefängnisse gebracht oder gleich zu Tode geprügelt zu werden. Anders als die Schiffe, die im westatlantischen Bermudadreieck seit Jahrhunderten verschwinden und zu denen sich in der jüngeren Vergangenheit auch mehrere Flugzeuge gesellt haben, besteht bei den Frauen und ihren Rechten jedoch die Hoffnung, dass sie wieder auftauchen. Dann nämlich, wenn die alles bestimmende Scharia abgeschafft wird, die Rechte der Frauen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung einer neuen staatlichen Ordnung verankert werden und sie selbst sich wieder frei und ungehindert in der Öffentlichkeit bewegen können. Von allein wird das selbstverständlich nicht geschehen, sondern in einem vermutlich lang andauernden Kampf errungen werden müssen.

Jasmin Taylor und Marjane Satrapi, die sich schon lange für die Rechte der Frauen im Iran einsetzen, sind nun jeweils mit einem Buch an die Öffentlichkeit getreten. Im Falle Taylors ist es ihr erstes. Satrapi hat hingegen schon vor mehr als zwanzig Jahren mit der Graphic Novel Persepolis einen weltweiten Bestseller gelandet, den sie wenige Jahre darauf ebenso erfolgreich zu einem Animationsfilm verarbeitete. Da versteht es sich fast schon von selbst, dass auch der neue Band in erster Linie von seinen gezeichneten Geschichten lebt. Diesmal hat Satrapi allerdings nicht nur selbst zu Stift und Feder gegriffen, sondern zahlreiche iranische und iranischstämmige KollegInnen dafür gewinnen können, sich an dem von ihr herausgegebenen Band Frau, Leben, Freiheit zu beteiligen.

Taylor verzichtet in dem Band Im Namen Gottes hingegen ganz auf Illustrationen. Dafür aber bietet er sehr individuelle und persönliche, aber auch beispielhaften Berichte sieben iranischer Frauen. Sie informieren nicht nur über das Unrecht, das ihnen vom Mullah-Regime angetan wurde, sondern erzählen überhaupt aus ihrem Leben und von ihrer Liebe zur Heimat. Damit ist nicht der Iran gemeint, sondern die Region, aus der sie jeweils stammen und mit der sie tief verbunden sind. Daher gelingt es ihnen, den Lesenden die heimatlichen Landschaften in sehr stimmungsvollen Bildern vor Augen treten zu lassen. Zugleich lässt sich einiges über die Geschichte, die Kultur, die Mythen und die Schönheit der Heimatregionen erfahren.

Die Frauen selbst sind höchst unterschiedlichen Alters. Die älteste von ihnen wurde 1966 in Teheran geboren, die jüngste lange nach der Machtergreifung Chomeinis. Eröffnet wird der Band mit Taylors eigener Geschichte. Als Schülerin wurde sie zusammen mit ihrer Freundin Soraya festgenommen, weil ihre Kopfbedeckungen den Vorschriften der selbstverständlich nur für Frauen geltenden iranischen Bekleidungstyrannei nicht ganz entsprachen. Bei Taylors Freundin wurden zudem Flugblätter gefunden, die sich für eine demokratische Gesellschaft aussprachen. Das kann im Iran ebenso wie „politische Reden […] oder das Lesen verbotener Bücher“ schon als ein todeswürdiges Vergehen gelten, sofern die betreffende Person strafmündig ist. Anders als männliche Jugendliche, die es im Alter von fünfzehn Jahren werden, sind es Mädchen bereits mit neun. Taylors damalige Freundin wurde hingerichtet. Taylor selbst wurde in eine Zelle geworfen, gefoltert und ausgepeitscht.

Neun Jahre, das ist auch das Alter, von dem an Mädchen ein Kopftuch tragen müssen und verheiratet werden dürfen. Nasrin, eine der anderen Frauen, berichtet davon, wie sie mit dreizehn Jahren von ihrem Vater in eine erste Zwangsehe mit einem mehr als doppelt so alten Verwandten geprügelt und nach deren Scheidung unter der Androhung einer Gefängnisstrafe zu einer zweiten gezwungen wurde. Nach dem iranischen Eherecht ist das alles völlig legal.

Auch Laleh wurde zwangsverheiratet. Sie allerdings nicht durch ihren Vater, sondern durch den Staat. Eine Veranstaltung, auf der die SchülerInnen ihrer Klasse das eben bestandene Abitur feierten, wurde von Schergen des Regimes gestürmt. Unmittelbar danach wurde sie mit dem jungen Mann verheiratet, mit dem sie dort verbotenerweise getanzt hatte. Der ihr aufgezwungene Bräutigam erwies sich bald als prügelnder und vergewaltigender Ehemann, was im Iran ebenfalls völlig legal ist. Zudem sperrte er sie Tag und Nacht zuhause ein, wobei stets die Vorhänge zugezogen bleiben mussten. Als doch einmal ein kleiner Lichtstrahl durch einen offenen Spalt zwischen den Vorhängen in das dunkle Dasein seiner Frau drang, schlug er sie bewusstlos. Außerdem wollte er sie zu einer im Iran illegalen Abtreibung zwingen, was von ihrer Mutter verhindert werden konnte. Nach der endlich vollzogenen Scheidung wurde das Kind allerdings nicht ihr, sondern ihm zugesprochen, so wie es das iranische Sorgerecht vorschreibt.

Das wohl schrecklichste Schicksal hat Narges erlitten, die im Alter von 27 Jahren von ihrem Schwiegervater mit Säure übergossen wurde, was ihr Gesicht „bis zur Unkenntlichkeit entstellt[e]“ und zu ihrer Erblindung führte. Er wurde zu gerade einmal anderthalb Jahren Haft verurteilt.

Den ebenso emotionalen wie emotionalisierenden Berichten ist jeweils eine nüchterne „rechtliche Auseinandersetzung mit der Fallgeschichte“ angehängt, die zeigt, dass das den Frauen widerfahrene Unrecht exakt den auf der Scharia fußenden iranischen Gesetzen entspricht. Jede der sieben Frauen litt und leidet unter einem anderen Aspekt der iranischen Gesetzeslage und Rechtsprechung, die in den analytischen Teilen detailliert dargelegt und mit der Rechtslage in anderen Ländern verglichen werden. Im Einzelnen sind dies Strafmündigkeit, Eherecht, Sorgerecht, Erbrecht, Vergeltungsrecht, Arbeitsrecht und Familienrecht. Es wundert nicht, dass die iranischen Gesetze Frauen in jedem dieser Punkte diskriminieren.

Beschlossen wird der Band mit einem „Aufruf […] an Politikerinnen und Politiker der westlich-demokratischen Welt“. Seine zentrale Forderung „hören Sie auf, die Mörder [der iranischen Frauen] zu schützen! Hören Sie auf, die Mullahs zu unterstützen!“ wird in vier Forderungen konkretisiert:

1. Aufnahme der Revolutionsgarden der Islamischen Republik Iran (IRGC) in die Liste terroristischer Organisationen […] 2. Sofortiger Stopp der Atomverhandlungen mit dem Iran. 3. Reduktion der auswärtigen Beziehungen mit der islamischen Republik auf ein Minimum […] 4. Ausschluss der Islamischen Republik Iran aus der UN-Konvention.

Anders als Taylor glaubt Satrapi nicht an solche Forderungen. Auch unterscheidet sich ihr Buch von demjenigen Taylors trotz des gemeinsamen Anliegens auf vielfache Weise. Gerade darum aber ergänzen sie sich großartig. Kommt dieses ganz ohne Bilder oder Illustrationen aus, so lebt jenes von gut zwanzig Bildgeschichten. Sie alle versuchen, „die komplexen Ereignisse und Nuancen“ des Kampfes gegen die misogyne Mullah-Herrschaft „für eine nichtiranische Leser:innenschaft zu entschlüsseln und so verständlich wie möglich darzustellen“. Doch richtet sich das Buch auch an die Menschen im Iran, denen es zeigen soll, „dass sie nicht allein sind“. Daher steht die iranische Ausgabe kostenlos zugänglich im Internet.

Die gezeichneten Geschichten sind auf drei Abschnitte verteilt. Die des ersten setzen die wichtigsten „Ereignisse“ nach dem Mord an Mahsa Amini ins Bild. Die des zweiten blicken zurück in die iranische Geschichte der letzten Jahrhunderte und bebildern die Herrschaftsriege und -struktur des Landes. Der dritte Teil zeigt den alltäglichen Terror des Mullah-Regimes und den ebenso alltäglichen Widerstand dagegen.

Die insgesamt 24 Strips sind zumeist farbig und stilistisch sehr unterschiedlich. Dabei korrespondieren Stil und (fehlende) Farbgebung der Zeichnungen mit dem, was sie erzählen. So ist etwa ein kurzer Strip über die Folter der sensorischen Deprivation im Evin-Gefängnis mit dünnem Strich gezeichnet, der ebenso wie die in dem völlig leeren und weißen Raum gefolterte Frau immer mehr verblasst.

Einer der anderen Strips erzählt, wie der Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ entstand. Zur Überraschung deutscher LeserInnen wurde er nicht etwa erst nach dem Mord an Amini geprägt, sondern ist weit älter. Weitere Strips des ersten Teils handeln etwa vom „Aufstand der Zwanzigjährigen“, den „vergiftete[n] Schülerinnen“ oder dem „Winter der Hinrichtungen“. Die Geschichten des zweiten Teils stellt das Nouruz-Fest einer Familie oder das bigotte Leben der „Goldkinder“, also der Söhne und Töchter der Herrschenden dar, die sich zwar nach außen hin gläubig geben und den Tschador predigen, tatsächlich aber in Saus und Braus leben und an westlichen Stränden – sofern es Töchter sind – knappe Bikinis tragen. Auch ist der Terror der Revolutionswächter ebenso Thema eines Strips wie der „Irrsinn der Zensur“.  In einem anderen diskutieren Tote auf einem Friedhof miteinander, die im Krieg gegen den Irak als ‚Märtyrer’ starben oder vom Regime hingerichtet wurden. Der letzte und wohl längste Strip gilt allerdings der Zukunft des Iran und beantwortet die Frage, welche Farbe sie haben wird. Grün, die Farbe des Islam, wird es nicht sein.

Vorangestellt aber ist ihnen allen ein selbstverständlich ebenfalls bebilderter längerer Text, den Marjane Satrapi gemeinsam mit Abbas Milani verfasst hat. In ihrer „persische[n] Geschichte von Gut und Böse“ informieren sie über den langen Kampf der um ihre Freiheit ringenden iranischen Frauen. Vieles davon dürfte den meisten Menschen des westlichen Kulturkreises unbekannt sein. Wem ist in unseren Gefilden etwa schon der Mythos von „Anahita, der Göttin des Lichts und des logos, des Wassers und der Fruchtbarkeit“ bekannt, wer hat von Sohrab, einer Figur aus dem „weltbekannte[n] Epos“ Schahnameh oder von der Kaiserin Purandokht gehört, die zur Zeit Mohameds und zu dessen Unwillen über den Iran herrschte. Auch die Geschichte von Tadsch os-Saltaneh, die aus einer Zwangsehe floh und später ihre Lebenserinnerungen schrieb, dürfte den wenigsten geläufig sein. Ein wenig anders wird es allenfalls im Falle des Blue Girl aussehen. Denn auch westliche Medien berichteten davon, dass sich die junge Frau 2019 vor einem Fußballstadion verbrannt hatte, weil ihr und ihren Geschlechtsgenossinnen der Besuch zu den Fußballspielen untersagt war.

Sie und all die Frauen (und Männer), die seitdem von den Kopftuch-Schergen des Terrorregimes begangenen Mord an Amini auf die Straße gehen und unter Lebensgefahr protestieren, sind die vielen „kleine[n] Leuchtfeuer in der Nacht des Despotismus und der Frauenfeindlichkeit“.

Titelbild

Jasmin Taylor: Im Namen Gottes. die Unterdrückung der Frauen im Iran.
Europa Verlag, Hamburg 2023.
238 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783958905832

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Marjane Satrapi (Hg.): Frau, Leben, Freiheit. Graphic Novels.
Aus dem Französischen von Hainer Kober, Regina Keil-Sagawe und Sarah Pasquay.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023.
272 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783498005573

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