Fluchtbericht einer engagierten Antifaschistin

In einer ersten deutschen Übersetzung ist Sigrid Undsets autobiographische Erzählung „Rückkehr in die Zukunft“ erschienen

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die norwegische Schriftstellerin Sigrid Undset wurde am 20. Mai 1882 in Kalundborg/Dänemark geboren. Seit ihrer frühen Kindheit lebte sie in Oslo. Da der Vater bereits 1893 starb, musste Undset nach der Schulzeit als Sekretärin etwas zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Der literarische Durchbruch gelang ihr 1911 mit dem tragischen Roman Jenny (dt. Jenny). Ein Jahr später heiratete sie den norwegischen Maler Anders Castus Syarstad, mit dem sie drei Kinder hatte. Nach der Trennung Anfang der 1920er Jahre ging sie mit ihren Kindern nach Lillehammer.

Die 1920er Jahre waren Undsets stärksten Schaffensjahre, in denen auch der dreibändige Mittelalterroman Kristina Lavransdotter (dt. Kristin Lavranstochter) entstand, für den sie 1928 den Literaturnobelpreis erhielt. Der Roman gilt bis heute als eines der Hauptwerke der norwegischen Literatur. Neben historischen Romanen verfasste Undset auch Gegenwartsromane. Einen Skandal löste ihr Übertritt zum katholischen Glauben im protestantischen Norwegen aus.

Bereits in den 1930er Jahren engagierte sich Undset in der norwegischen Widerstandsbewegung gegen Hitler und den Nationalsozialismus. Als die deutschen Truppen 1940 Norwegen besetzten, stand sie daher ganz oben auf der schwarzen Liste der Gestapo. Goebbels hatte vorher noch erklärt, er werde persönlich dafür sorgen, dass der Name Sigrid Undset in Norwegen nie wieder erwähnt werde. Die norwegische Armee hielt zwar einige Wochen dem deutschen Angriff stand, doch als die Regierung sich nach London absetzte und das Land sich selbst überließ, war sich Undset bewusst, dass sie fliehen musste. Nachdem kurz zuvor ihre Tochter gestorben und ihr ältester Sohn im Krieg gefallen war, begab sie sich ins Exil, das über viele Stationen in die USA führen sollte.

In der autobiographischen Erzählung Return to the future, die bereits 1942 in New York erschien, schilderte sie die abenteuerliche Flucht. Da der westliche Fluchtweg versperrt war, flüchtete Undset in Richtung Osten. Auf der Ladefläche eines Lastwagens, zu Fuß oder auf Skiern durchs verschneite Gebirge gelangte sie schließlich mit anderen Flüchtlingen nach Schweden. Hier war sie erst einmal in Sicherheit und auch ihrem jüngsten Sohn Hans war die Flucht gelungen. Schweden war zwar neutral, aber es gab durchaus auch stark nazifreundliche Kreise. „Also musste es Amerika sein.“ Nach der mühevollen Beschaffung der notwendigen Visa und Unterlagen erreichte sie in Begleitung ihres Sohnes im Juli 1940 Moskau. Während des kurzen Aufenthaltes registrierten sie den Kontrast zwischen den protzigen Neubauten der sowjetischen Hauptstadt und dem armseligen Alltag der Menschen. Mit der Transsibirischen Eisenbahn ging es dann tagelang nach Wladiwostok. Am Ende ihrer Durchreise fällte Undset ein vernichtendes Urteil über die Verhältnisse in der Sowjetunion.

Mit einem Dampfer konnten Mutter und Sohn nach Japan übersetzen, wo man ihnen mit Offenheit begegnete. Doch nach und nach bekamen sie auch hier das Gefühl, dass die Lebensumstände der Bevölkerung denselben Gesetzen unterworfen waren wie in allen totalitär organisierten Staaten. Nach einigen Tagen ging es weiter über den Pazifik nach San Francisco und dann über den amerikanischen Kontinent nach New York. Nach der Naziinvasion in Norwegen, den Erlebnissen in Sowjet-Russland und Japan war die Ankunft in Amerika für Undset wie eine „Heimreise“. Nur über Amerika, wo sie fünf Jahre lang lebte, führte der Weg zurück in die Zukunft. Doch es waren anstrengende Jahre, sie arbeitete hart und verdiente mit Vortragsreisen über Norwegen, das Schicksal der Juden und die Rolle der USA im Krieg weitgehend ihren Lebensunterhalt.

In ihrem Reisebericht lässt Undset immer wieder Beobachtungen des Zeitgeschehens und der aktuellen Weltlage einfließen. Besorgt äußert sie sich über die Zukunft der Demokratie. Bereits mitten im Krieg fordert sie den „Wiederaufbau einer Gemeinschaft aus freien Nationen und freien Menschen, mit der Pflicht, für ein größeres Verantwortungsgefühl von Mann zu Mann zu kämpfen, für höhere Gerechtigkeit, für sichere und glücklichere Lebensbedingungen.“ In ihren Schriften, die sich durch eine kraftvolle Sprache auszeichneten, waren Zornesausbrüche keine Seltenheit; und auch hier polemisiert Undset über die „deutsche Volksmentalität“. Dabei treibt sie die Frage um, ob es im deutschen Wesen etwas gibt, das es für Diktaturen empfänglich macht.

Die autobiographische Erzählung ist nun in einer ersten deutschen Übersetzung von Gabriele Haefs unter dem Titel Rückkehr in die Zukunft erschienen, die auf der norwegischen Ausgabe von 1945 basiert. In ihrem Nachwort beleuchtet Haefs, die bereits mehrere Werke der Literaturpreisträgerin neu übersetzt hat, kurz Undsets Biografie und deren Rückkehr 1945 nach Norwegen. Sie hatte zwar noch viele literarische Pläne, doch die Jahre im Exil hatten ihre Gesundheit so ruiniert, dass es ihr nicht mehr gelang, diese Vorhaben zu verwirklichen. Sigrid Undset starb am 10. Juni 1949 in Lillehammer, wo ihr Haus, das sie bei ihrer Rückkehr in einem elenden Zustand vorgefunden hatte, heute ein Museum ist.

Titelbild

Sigrid Undset: Rückkehr in die Zukunft. Autobiographische Erzählung.
Aus dem Norwegischen und mit einem Nachwort von Gabriele Haefs.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2023.
240 Seiten , 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783520629012

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