Lebensbeschreiber – Lebenserschreiber
Helmut Pfotenhauers neue Essays über Literaturbesessenheit
Von Ulrich Klappstein
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAls Beispiel für eine „radikale Autorschaft“ dokumentiert Pfotenhauer Selbstaussagen und Textauszüge des angehenden Schriftstellers Adalbert Stifter in seinen frühen Briefen der 1830er Jahre und in den ersten Erzählungen des folgenden Jahrzehnts, mit denen er zum gefeierten Modeschriftsteller der nachmärzlichen Literaturperiode aufstieg. Schon in ihnen kristallisierten sich „ekstatische Augenblicke der Schrift“, ausgehend von einer intensiven Lektüre der Werke seines Vorbilds Jean Paul Richter. Auch dieser hatte sich, um das Leben zu bändigen, den „Ordnungen der Sprache und der Literatur“ unterworfen. Stifter flüchtete sich alsdann in ein Weiterschreiben und Überarbeiten von „Fassungen“, um dem „vergänglichen Leben“ zu einer vermeintlichen Ruhe und Dauer zu verhelfen. Dies hatte Folgen für die Darstellung seiner Figuren, die er wahren „Exerzitien der Subjektaustreibung“ und seinen ästhetischen „Ordnungsritualen“ fast zwanghaft unterzog. Als er dies in seiner Autobiographik und im Spätwerk radikalisierte, blieb dies nicht ohne Folgen auch für ihn selbst: Große Teile seiner Leserschaft fühlten sich von der ausgestellten sprachlichen „Erstarrung des Lebendigen“ düpiert und wandten sich von ihm ab. Auch Thomas Mann hat den ans Exzessive und Pathologische grenzenden Stil Stifters kritisch gesehen.
Der Fall Stifter steht exemplarisch für die vierzehn Essays, in denen sich Pfotenhauer noch einmal den Autoren zuwendet, für die es im Leben „nichts gab als das Schreiben – oder zumindest nichts Wesentliches“. Der Jean Paul-Kenner und Begründer der Würzburger „Arbeitsstelle Jean Paul“ knüpft damit an seine Publikation Das wahre Leben ist die Literatur. Konzepte radikaler Autorschaft von Jean Paul bis Robert Walser aus dem Jahr 2020 an, eine Essaysammlung, die schon einmal Autoren vorgestellt hatte, für die das Schreiben eine Art existenzielle Nötigung darstellte, um sich der „Leere“ des Daseins und dem „Nichts angesichts des Endes“ entgegenzustellen. Schon dort definierte Pfotenhauer die ästhetische Moderne als eine Zeit, in der die Selbstreflexion der Autoren gegenüber den erzählten Inhalten stetig zunahm und nachhaltige Schreibimpulse lieferte. Autorschaft gewann eine zusätzliche Dimension, insofern Schreibkonstellationen in Kraft traten, die sich gegen das Leben stellten. Wie schon in den für den vorliegenden Band nochmals überarbeiteten Beiträgen über Jean Paul, Proust, Gottfried Keller, Robert Walser und Elias Canetti – Pfotenhauer sieht seine eigenen Forschungen als ein work in progress –, verortet er seine neuen Essays über Karl Philipp Moritz, Novalis, Stifter, Flaubert, Italo Svevo, Arno Schmidt, Peter Handke und Virginia Woolf auf der „Schwelle zwischen wissenschaftlicher Disziplin und Belletristik“. Er liefert damit ein äußerst lesenswertes Vademecum in das jeweilige Lebenswerk der vorgestellten „Fälle“ und wirft einen sehr detaillierten Blick vor allem auch in die Schriften Adalbert Stifters, um den es hierzulande ja etwas still geworden ist.
Mit Virginia Woolf wendet sich Pfotenhauer erstmals einer Autorin zu, um für die Forschung und die Leserschaft neue Wege auf dem Feld der „Lebenserschreiberinnen“ zu markieren. Diese Schriftstellerin sei – hier zunächst stellvertretend für viele andere – ebenso radikal für alles eingetreten, was im 20. Jahrhundert auf dem literarischen Feld „scheinbare Gewissheiten“ unterminiert habe. Das Aufbegehren schreibender Frauen wird in dem abschließenden Essay allerdings lediglich als Desiderat von Pfotenhauers Nachforschungen kenntlich, der Autor liefert leider nur Fingerzeige für zukünftige Forschungsfelder.
Das Kraftzentrum Pfotenhauers ist eindeutig Jean Paul, dessen Wirkmächtigkeit für Arnold Stifter ja bereits angedeutet wurde. Sein Werk hat in der Sicht des Verfassers eigentlich alle der hier untersuchten Autorinnen und Autoren zutiefst geprägt, auch Pfotenhauer selbst hat sich diesem wahrhaft besessenen „Lebenserschreiber“ schon mehrfach verdienstvoll zugewendet. Beigefügt sind dieser empfehlenswerten Publikation diverse Abbildungen, die den Schreibprozess von Proust, Jean Paul, Robert Walser, Peter Handke und Virginia Woolf am Beispiel „sprechender“ Manuskriptseiten anschaulich dokumentieren.
|
||