Berlin-Texte, Epigramme und satirische Auftragsgedichte
Zum Erich Kästner-Doppeljubiläum hat der Atrium Verlag weitere Neuerscheinungen herausgebracht
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Jahr 2024 beschert uns ein Erich Kästner-Doppeljubiläum: am 23. Februar seinen 125. Geburtstag und ein knappes halbes Jahr später am 29. Juli seinen 50. Todestag. Der Züricher Atrium Verlag, der die Weltrechte an sämtlichen Büchern des Schriftstellers hat, startete bereits im August 2022 die dreiteilige Reihe Erich Kästner und seine Stadt zu seinen wichtigsten Wirkungsstätten: Dresden, Berlin und München. Den Auftakt machte natürlich Kästners Geburtsstadt, wo er seine ersten zwanzig Lebensjahre verbrachte und die er erst im Herbst 1919 verließ, als er in Leipzig sein Studium begann.
Nun folgt mit Das ist Berlin! der zweite Band, der einige Texte aus Kästners Berliner Schaffenszeit zwischen 1927 und 1933 versammelt. Als der 28-Jährige in die größte deutsche Stadt kam, war er gerade in seiner Heimat Sachsen wegen eines zu „frivol“ geratenen erotischen Gedichts über Beethoven in Ungnade gefallen. Die letzten Jahre der Weimarer Republik sollten jedoch für Kästner eine der literarisch und journalistisch produktivsten Lebensabschnitte werden. Es erschienen seine ersten Gedichtbände Herz auf Taille (1928) und Lärm im Spiegel (1929), sein autobiographischer Großstadtroman Fabian (1931) und die Kinderbücher Emil und die Detektive (1929), Pünktchen und Anton (1931) und Das fliegende Klassenzimmer (1933). Als freier Mitarbeiter schrieb er außerdem für verschiedene Tageszeitungen wie das Berliner Tageblatt, die Vossische Zeitung oder die Neue Leipziger Zeitung. Rund 500 Artikel entstanden in diesen Jahren, aus denen die Herausgeberin und Lektorin Sylvia List eine kleine Auswahl zusammengestellt hat. Die hundert Seiten zeigen Kästners einzigartige Sicht auf die Stadt – oft nachdenklich und kritisch, aber auch amüsant und satirisch.
Kästner besucht die Berliner Theater, Kinos, Kabaretts, Ballsäle und Kneipen; seine Beobachtungen hält er in kurzen Zeitungsartikeln fest. In Es liegt in der Luft! beklagt er die Mode der „literarischen Revue“, die sich auf den Theaterbühnen immer mehr breitmachen. Premieren oder Kunstausstellungen sind nicht mehr das vorrangige Gesprächsthema, sondern die Internationale Automobilausstellung. Im Vorgarten eines Berliner Cafés gehen zwei junge Burschen auf Autogrammjagd, auf der Weidendammer Brücke verkauft eine arme Frau Streichholzschachteln, an einem Glücksrad auf dem Rummelplatz sind „5 Pfund Prima Weizenmehl“ der Hauptgewinn – Kästner berichtet über das Kulturleben, den Alltag und gelegentlich über das politische Geschehen in Berlin. Er flaniert durch die Stadt, „die sich fortwährend wandelt und doch bleibt, was sie ist“. Auf Wunsch der Redaktionen müssen die Reportagen immer unterhaltsam sein.
Später resümierte Kästner über seine Berliner Jahre: „1927 war ich in Berlin eingewandert. 1933 wurden meine Bücher verbrannt. Zwischen dem zögernden Beginn und dem abrupten Ende einer literarischen Karriere lagen keine sechs Jahre. Es waren interessante, schöne und aufregende Jahre gewesen. Und nun folgten zwölf der schlimmsten Jahre, auch für mich selber. Ich blieb in Berlin, doch die Stadt und ich blieben nicht, was wir gewesen waren.“
Neben dieser Neuerscheinung, die durch einige Gedichte mit Berlin-Bezug ergänzt wird, hat der Atrium Verlag noch zwei weitere Jubiläumsbändchen herausgebracht. Leben ist immer lebensgefährlich versammelt Kästners schönste und klügste Aphorismen. Der Klassiker, der erstmals 1950 unter dem Titel Kurz und bündig. Epigramme erschien, hat nun ein neues Gewand erhalten. Es sind pointierte Weisheiten für jede Lebenslage – von „Denkt ans fünfte Gebot: / Schlagt eure Zeit nicht tot!“ über „Was auch immer geschieht: / Nie dürft ihr so tief sinken, / von dem Kakao, durch den man euch zieht, / auch noch zu trinken“ bis zu „Es gibt nichts Gutes / außer: Man tut es.“ Mit der Sammlung wollte Kästner an eine Kunstform erinnern, die verschollen ist: an die „Edelsteine der Dichtkunst, […] die sich in äußerster Zucht, Prägnanz und Kürze ausdrücken“.
Von September 1929 bis April 1933 (mit einer längeren Pause dazwischen) veröffentlichte Kästner auch exakt ein Dutzend Gedichte in der Zeitschrift Uhu (Logo UHU), die im Oktober 1924 im Berliner Ullstein Verlag das Licht der Welt erblickt hatte. Kästners Texte waren Auftragsarbeiten. So musste er Beiträge zu Fotografien oder Zeichnungen liefern, darunter auch das 33-teilige Polit-Kartenspiel Reichtags-Rommé. Jeder sein eigener Diktator, mit dem die Reichstagswahl 1930 karikiert wurde.
In der Neuerscheinung Lieschen Neumann will Karriere machen werden die zumeist satirischen UHU-Gedichte mit den jeweiligen Illustrationen in der Abfolge präsentiert, wie sie im Uhu veröffentlicht wurden. Im Anhang finden sich nähere Informationen über den Uhu sowie ausführliche Erläuterungen und Kommentare zu den einzelnen Gedichten.
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