Ein „angry white man“ im Wandel
Mary Miller präsentiert mit ihrem Roman „Biloxi“ nicht nur die hoffnungsvolle Geschichte einer persönlichen Wandlung, sondern auch eine Momentaufnahme des inneren Zustands der USA
Von Monika Grosche
„Wie es möglich war. Geschichten zu mögen, die Leuten passierten, aber nicht die Leute selbst, war auch mir ein Rätsel.“
Was Louis McDonald Junior, der Protagonist des Romans Biloxi hier verwundert feststellt, geht sicher auch vielen Lesenden des Romans durch den Kopf. Denn Louis ist beim besten Willen kein Sympathieträger und man fragt sich über längere Zeit bei der Lektüre, wie es Mary Miller dennoch gelingt, dass man mit Spannung und Neugier sein Leben mitverfolgt und wünscht, es möge sich zum Besseren wenden.
Louis ist ein typischer „angry white man“, ein verbitterter weißer Mann Anfang 60, der in Biloxi an der Golfküste von Mississippi wohnt. An seinem Leben ist nichts bemerkenswert oder ungewöhnlich. Von seiner Frau Ellen geschieden, hat er den Job in Erwartung einer großen Erbschaft von seinem kürzlich verstorbenen Vater gekündigt. So verbringt er nun seine Tage im Fernsehsessel, schaut „Fox News“ oder „Naked Survival“ und ernährt sich von Junkfood. Mürrisch und selbstgerecht behandelt er alle in seinem Umfeld mit Herablassung und Misstrauen. Vor allem den Frauen in seinem Leben, allen voran Ex-Frau Ellen und Tochter Maxine, begegnet er mit Argwohn, denn in seinen Augen trifft sie die Schuld an seinem freudlosen Dasein. Was er vom Leben will oder nicht will, weiß er eigentlich nicht, nur eines ist für ihn gewiss: Dass ihn alle Menschen seiner Umgebung nerven, sei es Maxine mit ihrer Kleinfamilie oder sein Kumpel Frank, der regelmäßig versucht, ihn aus seiner Lethargie herauszureißen. Louis sitzt lieber apathisch beim Bier, während seine Wohnung verkommt und zur ewiggleichen Tageszeit derselbe verstörte Vogel gegen sein Fenster donnert.
Eine unerhörte Wendung in seinem Leben tritt ein, als er sich von einem unbekannten Mann einen Hund aufschwatzen lässt. Mit Layla an seiner Seite fühlt sich Louis wieder gebraucht, zumal sie eine gute Zuhörerin ist und sie seine Zuneigung zu erwidern scheint. Und so setzt die Anwesenheit des Hundes in kurzer Zeit mehr Ereignisse in Gang, als er sich je hätte vorstellen können. Zunächst scheint das an seiner verbitterten Grundhaltung kaum etwas zu ändern, insbesondere als der Traum von der riesigen Erbschaft platzt. Aber dann geschieht letztendlich etwas Unfassbares: Louis beschließt nämlich, es einfach mal mit Freundlichkeit zu versuchen und erlebt so, dass wildfremde Menschen positiv auf ihn reagieren und ein erster vorsichtiger Schritt der Annäherung an seine Enkelin gelingt.
Mary Miller hat mit großem Einfühlungsvermögen einen Roman vorgelegt, dessen sperrige Hauptfigur es einem zunächst sehr schwer macht, so etwas wie Mitgefühl oder Sympathie für ihn zu empfinden. Doch je mehr sie uns über die inneren Monologe des Protagonisten an seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben lässt, desto mehr Empathie empfinden wir für ihn. Man merkt, dass Louis schon sehr früh sein Leben einfach hat laufen lassen. Er hat weder Grundsätze noch Überzeugungen, auch sein Rassismus und seine Misogynie entspringen eher der Gewohnheit sowie einem Mangel an (Selbst-)Reflektion. Aber das ist nicht der ganze Louis, wie wir in seiner Beziehung zu Layla bemerken. Hinter seiner schroffen Art verbirgt sich ein verletzlicher Mensch, der sich über sehr viele Dinge Gedanken macht und der prophylaktisch lieber nichts vom Leben erwartet als am Ende enttäuscht zu werden.
Dass wir diese Seite an ihm kennenlernen, liegt an der prägnanten Beobachtungsgabe der Autorin und dem pointierten schrägen Humor, mit dem sie ihre Figur ausstattet. So gelingt ihr nicht nur die hoffnungsvolle Geschichte einer persönlichen Wandlung, sondern auch eine schwarze Komödie zum inneren Zustand der USA in Zeiten von Fake News und Klimawandel.
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