Ein Rendezvous mit der Schweizer Literatur und der Weltliteratur

Charles Linsmayer legte zwei Lesebücher mit Originaltexten und Kurzporträts zu Leben und Werk vor

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Lesebuch als Zusammenstellung von literarischen Texten oder Textabschnitten will mit Autoren und deren Werken bekannt machen. Es richtet sich daher an ein breites Lesepublikum, bei dem es Neugierde, Lesefreude und Begeisterung wecken will. Die Auswahl der Texte orientiert sich zumeist an den wichtigsten und beispielhaften Werken; mitunter sind die Herausgeber aber auch bemüht, Autoren und Werke dem Vergessen zu entreißen. Außerdem dokumentieren Lesebücher immer auch dessen persönliche Vorliebe und langjährigen Erfahrungen.

Der Schweizer Publizist und Schriftsteller Charles Linsmayer hat vor zwei Jahren mit 20/21 Synchron ein Lesebuch zur Literatur der mehrsprachigen Schweiz herausgebracht, in dem er Texte von 135 Autoren und Autorinnen vorstellte. Die Texte oder Gedichte sind zwischen 1920 und 2020 im deutschen, französischen, italienischen und rätoromanischen Landesteil entstanden und reflektieren in deutscher Sprache synchron, d.h. unabhängig von Sprache, Entstehungszeit oder Generation, hundert Jahre Literaturgeschichte der viersprachigen Schweiz.

Die Texte sind nicht chronologisch aneinandergereiht, sondern unter thematischen Gesichtspunkten synchron zueinander in Beziehung gesetzt. Die Vielfalt der Themen reicht von „Frühe Erfahrungen“ über „Wege und Umwege der Liebe“, „Frauen im Aufbruch“, „Vom Sterben und Tod“, „Städte und Landschaften“ bis zu „Den Schalk im Nacken“.

Neben namhaften und allseits bekannten Autoren und Autorinnen wie Hermann Hesse, Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Peter Bichsel, Friedrich Glauser, Adolf Muschg, Gertrud Leutenegger, Urs Widmer oder Robert Walser macht das Lesebuch auch mit zahleichen zeitgenössischen Autoren und Autorinnen bekannt, die teilweise bei der Auswahl selbst beteiligt waren oder bisher Unveröffentlichtes beisteuerten. Die Prosatexte beschränken sich meist auf zwei, drei Seiten, ebenso die Lyrikbeiträge auf zwei, drei Gedichte. Ob Dürrenmatts philosophisches Selbstgespräch zum Thema Gott, Charles Lewinskys Parabel über das Baugewerbe, die Naturgedichte von Erika Burkart, Frischs Tagebuchnotizen, Jacques Chessexs Monolog an die schlafende Geliebte oder Hugo Loetschers Glosse Wenn Gott ein Schweizer wäre, sie sind lesenswerte Puzzle in der Schweizer Literaturlandschaft. Abschließend hat Linsmayer seine Anthologie mit prägnanten Kurzbiografien der 135 Autoren und Autorinnen ergänzt, die außerdem mit einem Porträtfoto vorgestellt werden.

Nach dem Erfolg des Lesebuchs zur Schweizer Literatur der letzten 100 Jahre hat Linsmayer mit 19/21 Synchron global nun ein weltliterarisches Lesebuch vorgelegt, das Beispiele von ebenfalls 135 Autorinnen und Autoren bringt. Bereits der Bucheinband – wieder mit zwei Zeichnungen des Illustrators Claudio Fedrigo – deutet auf die Spannbreite der Auswahl hin. Da grüßen Thomas Mann, Umberto Eco, Salman Rushdie, George Orwell oder Carson McCullers. Die Texte, die zwischen 1870 und 2020 entstanden sind, werden nicht chronologisch oder nach Ländern gegliedert, sondern unabhängig von Sprache, Entstehungszeit und Generation auf Deutsch oder in deutscher Übersetzung wieder in thematischen Kapiteln präsentiert.

Aktuelle Themen sind dabei „Freiheit, ein kostbares Gut“, „Hass, Angst und Trauer im Krieg“ oder „Natur und Umwelt“. Da rebelliert Aldous Huxley mit Gefällt euch euer Sklavendasein?, Italo Calvino erzählt vom Abenteuer eines Ehepaars, Simone de Beauvoir berichtet Wie ich Jean-Paul Sartre kennenlernte, Paul Auster schildert seine Eindrücke von einem Besuch in Bergen-Belsen oder Carlos Fuentes hinterfragt in einem der längsten Beiträge des Bandes unter dem Titel Amor – Liebe das Phänomen Liebe in all seinen Facetten. Neben den zahlreichen Prosatexten kommt auch hier Linsmayers Liebe für die Lyrik zum Vorschein: Georg Trakl, Paul Celan, Nelly Sachs, Eugenio Montale, Salvatore Quasimodo, Odysseas Elytis oder Marina Zwetajewa sind nur einige Beispiele.

Im zweiten Teil der Neuerscheinung gibt es wieder zu jedem Autor, zu jeder Autorin eine Kurzbiographie von Linsmayer, dieses Mal illustriert mit pfiffigen Porträtbildern von Claudio Fedrigo.

Am Ende der beiden Bände äußert Linsmayer einige Überlegungen zur jeweiligen Textauswahl und dabei betont dabei, dass 20/21 Synchron und 19/21 Synchron global keinen Kanon der Schweizer Literatur und der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts darstellen. Die ausgewählten Autoren und Autorinnen sind seine persönlichen Favoriten, die mit ihren literarischen Texten gewissermaßen in einen Dialog eintreten. Der eine oder andere große Name fehlt jedoch, da die Urheberrechte nicht zu bekommen waren. Linsmayer will mit seinen beiden Lesebüchern Neugierde, Lesefreude und Begeisterung wecken, besonders bei jungen Lesern und Leserinnen.

Titelbild

Charles Linsmayer (Hg.): 20/21 synchron. Ein Lesebuch zur Literatur der mehrsprachigen Schweiz von 1920 bis 2020.
Th. Gut Verlag, Zürich 2022.
576 Seiten , 37,00 EUR.
ISBN-13: 9783857172915

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Titelbild

Charles Linsmayer (Hg.): 19/21 Synchron global. Ein weltliterarisches Lesebuch von 1870 bis 2020.
Mit Illustrationen von Claudio Fedrigo.
Th. Gut Verlag, Zürich 2024.
656 Seiten , 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783857172991

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