Fallada, Fontane und Brecht für den englischsprachigen Leser
Zum Tod des britischen Verlegers Nicholas Jacobs
Von Christian Schwandt
Nicholas Jacobs war ein Londoner Verleger, der sich Zeit seines Lebens intensiv für deutsche Literatur eingesetzt hat. Jacobs verlegte Benjamin, Brecht und Sebastian Haffner auf Englisch, doch seine geheime Liebe galt der Lyrik: Das Ergebnis sind wunderbare, großartig übersetzte Auswahlbände von Georg Trakel bis Georg Heym, Eduard Mörike und immer wieder Goethe. Wahrscheinlich haben sich nur wenige um die Verbreitung deutscher Literatur in der angelsächsischen Welt so verdient gemacht wie Jacobs.
Er wurde im Januar 1939 als Sohn einer erfolgreichen, jüdischen Unternehmerfamilie in London geboren. Der Zweig der Mutter besaß in Liverpool und anderen Städten des englischen Nordens eine Kaufhauskette. Sein Großvater väterlicherseits fusionierte British American Tobacco mit den Australian Tobacco Merchants und leitete zeitweilig BAT Australia. Beide Familien gründeten die liberale jüdische Synagoge in der Londoner St. Johns Wood Road. Im Zweiten Weltkrieg hatte der Vater sich freiwillig zur englischen Armee gemeldet, um etwas gegen die Peiniger der Juden zu tun. Bis zum Tode der Eltern war alles Deutsche im Hause Jacobs verpönt. Nach dem Krieg wurde Nicholas auf das prestigeträchtige Internat Charterhouse School geschickt. Schon früh verlor er sich in der Welt der Bücher und absolvierte nach dem Internat eine Verlagsbuchhändlerlehre bei der für ihre Wörterbücher bekannten Firma „Cassell“.
Deutschland, seine Sprache, Literatur und Musik sollten ihn bald nicht mehr loslassen. Er diente eine Zeit lang bei der britischen Armee in Schleswig-Holstein, studierte drei Jahre in Freiburg und Hamburg und arbeitete dann fünf Jahre bei „Penguin“ als Lektor und Herausgeber. Dort betreute er unter anderem Fontanes Effi Briest und seine erste Goethe-Ausgabe. Sein Deutsch vervollkommnete er bei Max Weidenfeld, dem Vater des Verlegers und Journalisten George Weidenfeld.
Jacobs verantwortete die große Ausstellung „Brecht in England“. 1970 bis 1974 war er Editorial Director des Verlages „New Left Books“ (später „Verso“). Dort betreute er vor allem englische Ausgaben von Georg Lukács und Walter Benjamin.
Schon Mitte der 70er Jahre hatte Jacobs seinen eigenen Verlag gründen wollen. 1986 war es dann soweit. Er übernahm von dem aus Wien geflohenen Antiquar Joseph Suschitzky den Verlag „Libris (London) Limited“.
Brecht, Goethe, Fallada und Georg Heym standen im Zentrum des Verlages. Seine bei New Left Books ausgelebte Vorliebe für Lukács und Benjamin hat sich auch in Neuerscheinungen des eigenen Verlages niedergeschlagen. Aber man fand bei ihm auch Sebastian Haffners erstes Buch Germany Jekyll and Hyde. Jacobs hat mit den Jahren vorbildliche, mit unendlicher Mühe übersetzte und lektorierte Lyrikausgaben seiner Lieblingsautoren verlegt. Besonders wichtig ist für ihn Johann Peter Hebels Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes, das „Libris“ 1994 als gebundene Ausgabe herausbrachte und das später ebenso wie die ausgewählten Gedichte von Goethe und Mörike ein „Penguin Classic“ ist.
Über Fallada und Ernst Toller sind bei „Libris“ exzellente Biographien erschienen, die später von „Aufbau“ bzw. „Steidl“ übernommen wurden. Überhaupt Fallada. Er war seit den 40er Jahren praktisch aus der englischsprachigen Buchwelt verschwunden. Jacobs verlegte Der Trinker und Kleiner Mann, was nun? und löste damit eine Renaissance aus. Als „Libris“ 1988 Erich Kästners Fabian herausbrachte, dankte ihm Graham Greene in einem Brief aus Antibes und schrieb, was für ein großer Bewunderer des Romans er sei. Dennoch gelang es Jacobs nicht, die Taschenbuchrechte weiter zu veräußern. Ein großer Verlag sagte ihm mit der Begründung ab, dass „Fabians Charakter irgendwie eindimensional“ bliebe und es ihm nicht „gelinge, des Lesers Sympathie zu bewahren“. „Penguin“ formulierte in einem ähnlichen Schreiben die eherne Wahrheit: „Es ist immer schwierig, deutsche Literatur zu verlegen.“
Am Ende dieses Londoner Verlagslebens stehen für den englischsprachigen Leser vielleicht 50 Bände – Romane, Lyrik und politische Literatur, die zu dem Besten gehören, was deutscher Geist im 19. und 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Jacobs, der am 16. Februar in London starb, war einer der besten Freunde des Historikers Eric Hobsbawn.