Kleine Ausblicke in die Transzendenz
Nichita Danilov dichtet in „Die blinden Adler“ ernst, tiefgründig und fantastisch
Von Thorsten Paprotny
Eine ungereimt sprachgewaltige Wucht kennzeichnen die Verse des rumänischen Lyrikers Nichita Danilov, die hier in einer zweisprachigen Ausgabe publiziert werden, in denen sich bald nicht nur die illusionslos besungenen blinden Adler, von denen der Titel berichtet, zeigen, sondern auch die nüchterne, doch nicht kaltherzige Beschreibung der schmerzhaft erfahrenen Lebenswirklichkeit, in der die „Leere“ spürbar wird, „unter einem leeren Himmel“ – und in der „strenge Gesetze“ herrschen. Sind diese „strengen Gesetze“ zugleich auch „gerechte Gesetze“? Die religiöse Frage in einem säkularen Zeitalter stellt sich unmittelbar. Der namenlose Herrscher befindet sich in einem „blinden Land“, bezeugt ein sprachliches Rätsel, durch das hindurch, religiös gesprochen, der menschliche Zweifel an eines fernen Gottes Güte deutlich wird, denn Macht und Ohnmacht dieser entrückten Gestalt werden im lyrischen Monolog deutlich:
Ich herrschte in einem Land, das nicht existiert,
in einer nichtexistierenden Zeit,
über Untertanen, die es nicht gab.
Gerecht war mein Wille,
gerecht waren meine Gesetze.
Eisern der Arm und das Auge erbarmungslos.
Mein Name war Wüste.
Vergeblichkeit hieß mein Gesetz.
Und meine Zeit sie kommt wieder.
Mancher Christ, ob noch fromm oder längst ungläubig geworden, denkt hier an einen bedrückenden Sinnspruch aus Kindertagen, der Angst machte: „Ein Auge ist’s, das alles sieht – selbst wenn’s in finsterer Nacht geschieht.“ Danilovs lyrisches Ich kennt das Auge als „erbarmungslos“, und es scheint, als ob jegliche Hoffnung auf Gnade vergebens ist. Doch welcher Art ist diese Gerechtigkeit fern jeder Barmherzigkeit? Auch in einem politischen System mag sie auftreten, in dem ein allmächtiger oder für allmächtig sich haltender Diktator regiert, der Recht und Gesetz etabliert, aus reiner Willkür. Auch wenn die „Untertanen“ entschwunden sind, klingt bedrohlich, dass seine Zeit wiederkehren könnte.
Illusionslos schaut Danilov ins Jahr 1789 und nennt das Gedicht schlicht „Guillotine“. Verehrt, verklärt werden die Ideale der Aufklärung und mehr noch der Französischen Revolution, die doch hier als das erkennbar wird, was sie war – ein Massaker, ein Blutgericht. Ludwig XVI, mit „Monokel, Dreispitz und Livree“ erscheint auf dem „Schlachthof für Lämmer“:
Die Guillotine saust auf den Nacken.
Die Augen erstarren,
aufgerissenen Munds
rollt der Kopf in den Korb.
Die Menge klatscht Beifall.
Der Körper bäumt sich auf,
Blut schießt aus dem Hals und spritzt gegen das Fenster.
Ein Chronist muss alles notieren, in „Schönschrift“, und so wird das Verbrechen im Namen der Humanität, die Hinrichtung des Königs, akkurat erfasst, ein neues Kapitel der Revolution, ein weiteres Opfer, umjubelt von der erregten Masse und späterhin deklariert als Freiheitskampf. Der König wurde getötet, hingerichtet, mitleidlos.
In manchen seiner Gedichte öffnet der Lyriker unverhofft Ausblicke in die Transzendenz, etwa wenn er das Schweigen lächeln lässt, sogar sprechen. Er stellt ein sprechendes Schweigen vor, das zu reden nicht mehr aufhört, alles mitteilt, was es mitzuteilen hat, so viel und noch so viel mehr, ja, dieses Schweigen „konnte gar nicht mehr aufhören“. Auch von einem Kindheitstraum wird poetisch erzählt, von Baumwipfeln, die bis in den Himmel ragen, und den Fantasien des Kletterers, der immer höher steigen wollte, hoch hinaus, „bis in ihre Wipfel“, die „zum Himmel“ sich auszustrecken schienen. Älter geworden, so scheint es, wünscht sich das lyrische Ich irdische Herzenswärme, auch wenn es weiß, dass, um auf der Erde zu leben, ein „Herz aus Stein“ nötig sei, das sich nicht erschüttern lässt und vom Weg nicht abkommt, aber „manchmal ist es gut“ – fast immer vielleicht – „auszukommen auch noch ohne den Stein“, ohne ein verhärtetes Herz. Wer wünschte sich nicht ein sensibles Gemüt, eine empfindsame Seele, wer wollte nicht auf Liebe, Zärtlichkeit und Mitgefühl hoffen? So denkt Danilov an die Nähe eines Engels:
Hinter jedem Menschen
ein Engel, der wacht. Der auf mich
achtgibt, ist ein gefallener Engel,
und doch wem gehören diese Hände,
diese Hände, so fein wie nur Flügel,
wie sie mir so voller Sehnsucht, ach so voller Sehnsucht
die Augen bedecken.
An wachsame Engel wagt Danilovs lyrisches Ich zu denken, mögen sie auch „gefallen“ sein, aber sie halten noch Ausschau, passen auf, lassen nicht los, niemanden, der ihnen anvertraut ist. Trotz allem „Dunkel“, trotz aller „Traurigkeit“ erfreut sich das lyrische Ich in der „Abenddämmerung“ an „lieblichem Vogelgesang“, der zumindest ein wenig befreit von dem nur allzu verständlichen Weltschmerz, der auf den Gemütern lastet und zumindest vorübergehend „Dunkel und Traurigkeit“ vertreibt. Fast dankbar, in jedem Fall staunend fragt das lyrische Ich: „Warum verwöhnst du mich / mit deinem Licht, oh Herr?“
Von lichtreichen Momenten wie diesen weiß der Lyriker Nichita Danilov zu berichten. Seine Poesie verschweigt nichts von der Schwere dieser Zeit und nichts von existenziellen Nöten, aber wie ein verspäteter Psalmist weiß er seine Augen zu öffnen und zum Himmel zu schauen, begleitet von der Hoffnung, dass die „Seele am Scheideweg“ doch mehr entdecken und erfahren kann, als sie manchmal, belastet von der leidvollen Bürde des Alltags, erwartet. Überraschungen, so scheint es, auch gute, sind nie ausgeschlossen. Danilovs Dichtungen wissen zu faszinieren, zu betören und wecken Leserinnen und Leser aufs Neue die Freude am Staunen über manche Schönheit dieser Welt, wie über den „lieblichen Vogelgesang“, der trotz allem und in allem melodisch erklingt.
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