Freude am fremden Volk

Erich Scheurmann in der Maske des Papalagi

Von Sabine teHeesenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine teHeesen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erich Scheurmanns fiktionaler Reisebericht "Der Papalagi" zettelt schon mit dem Titel eine Verschwörung an. Denn ausgesprochen wird das freierfundene Wort "Papalangi", und damit zeigt Scheurmann eine gewisse geheimbündlerische Aura, die Inhalt und Leser verbinden soll. Der Begriff bezeichnet eine vermeintlich bessere Welt, die den vermeintlich real existierende Südsee-Häuptling Tuiavii aus Tiavea geprägt hat. Der Häuptling besucht angeblich Europa als Mitglied einer Völkerschaugruppe und erklärt anschließend den Südseeinsulanerinnen und Südseeinsulanern in zahlreichen Reden den fernen Kontinent.

Das Buch ist erstmals 1920 erschienen und seither in mindestens zehn Sprachen übersetzt worden. Seine Auflage hat bereits vor Jahren die Millionengrenze überschritten. Dem Publikum offenbart Scheurmann seine Schrift als Geheimdokument, da der Häuptling angeblich seine Reden nicht habe veröffentlichen wollen. "Wenn ich dennoch ohne sein Wissen, und sicherlich gegen seinen Willen, die Reden dieses Eingeborenen der Lesewelt Europas übermittle, so geschieht es in der Überzeugung, dass es auch für uns Weiße und Aufgeklärte von Wert sein dürfte zu erfahren, wie die Augen eines noch eng an die Natur Gebundenen uns und unsere Kultur betrachten." Doch nicht der Südsee-Häuptling ist in Europa gewesen, sondern Scheurmann auf Samoa. Vor diesem Hintergrund wird der koloniale Kontext des Buches deutlich. Im Falle des Papalagi widmet sich Scheurmann nicht der samoanischen Gesellschaft, sondern verharrt in den europäisch geprägten Vorstellungen von der Südsee als einem Paradies auf Erden. Die samoanische Lebenswelt ist dem reisenden Autor keine Zeile wert, seine Augen richten sich allein auf den europäischen Alltag durch die Brille des so hellsichtigen "Wilden". Der Häuptling riskiert dabei aber ebenfalls keinen authentischen Blick auf die europäische Gesellschaft; vielmehr erweist er sich als kindliches Gemüt, das der Vorstellungswelt Scheurmanns entsprungen ist, damit auch die naivsten Beobachtungen ihre überaus banale Zivilisationskritik offenbaren können.

Die konstruierte Perspektive des Außereuropäischen ist in der Literatur keineswegs neu (z. B. Montesquieus "Lettres persanes") und ist immer wieder ein beliebtes Stilmittel gewesen. Die ewig aktuelle Zivilisationskritik ist bei Scheurmann aber so allgemein und oberflächlich, dass sie gehaltlos wirkt. Diese Ebene ist nicht zu unterschätzen, denn der hier präsentierte windelweiche Kosmos bietet Raum und Projektionsfläche für jede Art von gedanklichem Unrat. So lässt der Text entsprechend viele Lesarten zu, darunter auch rassistische. Dass dieser Ethnokitsch dann immer noch so populär ist, gibt zu denken - besonders angesichts der doch selten fremdenfreundlichen Tendenzen in unserem Alltag.

Titelbild

Erich Scheurmann: Der Papalagi. Reden des Südseehäuptlings Tuiavii aus Tiaves;Illustr. v. Maxine van Eerd-Schenk.
Tanner+Staehelin Verlag, Horgen 2000.
119 Seiten, 9,20 EUR.
ISBN-10: 3859310151

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