Kommunistische Orga
Olga Benario gibt Einblicke in den Alltag der Berliner Jungkommunisten. Ihr Bericht an die Sowjetische kommunistische Jugend ist jetzt auch auf Deutsch erschienen – nach knapp 100 Jahren
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Bericht einer jungen deutschen Kommunistin über die Parteiarbeit der KP-Jugendorganisation in Berlin, der 1929 in der Sowjetunion in russischer Übersetzung erschienen ist, mag eigentlich wenig Aufmerksamkeit beanspruchen. Zu erwartbar, zu unprätentiös, zu sehr propagandistischer Sachtext, der vor allem die Arbeit der deutschen Junggenossen beiderlei Geschlechts in die Aufmerksamkeit der sowjetischen Vorbilder zu rücken versuchte.
Es sei denn, seine Autorin bringt die eigentliche Geschichte mit, was bei Olga Benario zweifellos der Fall ist: 1908 in München in einer bürgerlichen, aber linksorientierten Anwaltsfamilie geboren, ging Benario im Jahr 1925 nach Berlin und arbeitete dort für den Kommunistischen Jugend Verband Deutschlands in der Ortsgruppe Neu-Kölln, seinerzeit ein strikt linker Bezirk. Im Jahr 1929 beteiligte sie sich an der Befreiung Otto Brauns, der wegen Spionage und Hochverrat inhaftiert worden war. Sie floh mit Braun, ihrem Lebensgefährten, in die Sowjetunion, dem Land ihrer Träume, wenn man dem Bericht, den sie dort wohl beendete und auf Russisch publizierte, glauben darf.
In den folgenden Jahren war sie für die Sowjetunion in mehreren Ländern aktiv, zuletzt in Brasilien, wurde von dort aber Ende 1936 – schwanger – an Nazi-Deutschland ausgeliefert, brachte ihre Tochter zur Welt, die sie abgeben musste, war in verschiedenen KZ inhaftiert und wurde schließlich im Jahr 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg im Rahmen eines Programms ermordet, in dem arbeitsunfähige und kranke KZ-Insassen beseitigt wurden. Benario war zu diesem Zeitpunkt gerade Mitte dreißig.
Als Aktivistin der KP hat Benario anscheinend nur einen Text hinterlassen, eben jenen Bericht, den sie in der Sowjetunion nach ihrer Flucht veröffentlichte und den jetzt der Berliner Verbrecher-Verlag auf Deutsch vorgelegt hat. Den Text hat Kristine Listau übersetzt und dabei die gröbsten Ungelenkheiten, die vermutlich auf die Textgeschichte zurückgehen, Übersetzungsfehler (der Text ist wohl auf Deutsch geschrieben und dann ins Russische übersetzt worden) und falsche Bezeichnungen Korrigiert, wie dem Kommentar zu entnehmen ist. Benario war wohl an der Übersetzung nicht beteiligt, wie die Herausgeber mitteilen, da sie Ende der 1920er Jahre kaum russisch gesprochen habe.
Gegen alle Annahmen verdient der Text einige Aufmerksamkeit. Freilich nicht, weil er authentische Einblicke in das tägliche Leben von jugendlichen Parteiaktivisten geben würde. Denn unabhängig davon, ob der Bericht eine weitgehend korrekte Darstellung bringt, ist er zu sehr auf sein Zielpublikum ausgerichtet und hat damit klare Funktionen: die Arbeit der deutschen KP-Jugend in einem möglichst positiven Licht darzustellen, sie zu rechtfertigen und ihre Übereinstimmung mit der Parteilinie, die von Moskau aus vorgegeben wurde, zu demonstrieren.
Die Einheit der Partei war für die KP gerade nach den zahlreichen Auseinandersetzungen der Jahre zuvor und den Niederlagen, die sie dabei erlitten hatte, vorrangig. Man bedenke, dass ihre Gründung aus der Unabhängigen Sozialdemokratie gerade einmal zehn Jahre her war, dass sie anfangs zudem in Konkurrenz zur USPD stand, Abspaltungen noch radikalerer Strömungen hatte hinnehmen müssen und sich zudem gegen die übermächtige Mehrheitssozialdemokratie zu behaupten, aber dabei zahlreiche Fehlentscheidungen getroffen hatte, was die Revolutionsreife Deutschlands angeht. Man erinnere sich nur an die Aufstände 1920, 1921 und das Hamburger Desaster im Oktober 1923. Und das in Zeiten, in denen der Aufstieg der radikalen Rechten und – mit dem Börsenkrach 1929 – der rasche Niedergang der Wirtschaft bereits erkennbar wurden.
Auf dieser Folie ist der vielleicht bewusst einfach gehaltene Text weniger von der Aufbruchstimmung bestimmt, der auf einen baldigen Umsturz in Deutschland verweist, sondern von den alltäglichen Mühen der Parteiarbeit in den Niederungen der in diesem Fall Berliner Bezirke. Die Unermüdlichkeit der politischen Agitation, die Intensität der Arbeit, das selbstverständliche und umsichtige Engagement, die hervorragende Organisation zeigen einen Verband und seine Mitglieder auf der Höhe der damals aktuellen Anforderungen: die Partei und ihre Themen auch auf dieser Ebene voranzubringen, sie in den Betrieben und der Gesellschaft zu verankern.
Dass der Hauptgegner die Sozialdemokratie ist, erklärt sich spätestens mit dem Verweis auf den „Blutmai“ von 1929, mit dem die Schrift Benarios endet: Die Sozialdemokratie an der politischen Macht gefalle sich darin, die Polizei Arbeiter und Kommunisten niedermachen zu lassen und Moskau die Verantwortung für die Opfer der Auseinandersetzungen um den 1. Mai 1929 zuzuschieben, folge die KPD doch den Anweisungen aus Moskau. Was Benario nicht zurückweist, sondern mit Stolz hervorhebt, gilt es doch diesen Gegner zu schlagen. Ein wenig erbärmlich hingegen die politische Rechte, mit der Benarios Truppe auf einer Agitationsfahrt aneinandergerät, angetrunkene Tölpel, mit denen die gut organisierten Jungkommunisten schnell fertig werden.
Das mag man mit dem Wissen um die späteren politischen Entwicklungen für kurzsichtig halten, Benarios Schrift entspricht aber der Parteilinie bis in die dreißiger Jahre, als die KP schließlich halbherzig auf eine Einheitsfrontpolitik einschwenkte. Und darauf kommt es an.
|
||