Kurz vor der Weltherrschaft
Michael Wildenhain hat eine „kurze Geschichte der künstlichen Intelligenz“ vorgelegt
Von Walter Delabar
Man kann sagen, dass er vom Fach ist: Der Berliner Autor Michael Wildenhain ist zwar mit seinen Texten aus der Hausbesetzer-Szene bekannt und heute eine verlässliche Größe im Literaturbetrieb geworden. Er hat zudem zahlreiche Jugendromane geschrieben, die es teilweise in die Lehrpläne der Schulen geschafft haben. Gelernt aber hat er etwas anderes. Wildenhain hat einst ein Philosophie- und Informatikstudium absolviert, von dem noch sein Roman Die Erfindung der Null aus dem Jahr 2020 zeugt, dem er ein mathematisches Beweisverfahren zugrunde legte. Jetzt hat Wildenhain bei Cotta einen schmalen, rasch zu lesenden und zugleich lehrreichen Band vorgelegt, mit dem er in die ausufernde Debatte zur Künstlichen Intelligent eingreift.
Um es knapp vorwegzunehmen, bremst er die euphorischen Befürchtungen, dass uns binnen kurzem künstliche Intelligenzen, was Verstand, Persönlichkeit ja Emotionalität angeht, überflügeln werden, mit einigem Elan aus. Mit anderen Worten, auch wenn künstliche Intelligenzen wohl sehr leistungsfähig geworden sind, sind sie damit von dem, was das das menschliche Bewusstsein ausmacht, noch himmelweit entfernt. Und das liegt nicht an ihrer teils verblüffenden Leistungsfähigkeit, mit der sie Daten verarbeiten und zum Beispiel neue Texten zusammenstellen können. Das geht sogar so weit, dass Verleger planen, sich ihre Sachbücher von Programm wie ChatGPT zusammenschreiben zu lassen – das Feintuning überlassen sie zwar noch menschlichen Autoren, aber wenigstens den Rohtext kriegt ein solches Programm schon hin. Man bedenke, dass die neueren KI-Diskussionen, die sich an Programmen wie ChatGPT entzünden, erst kaum zwei, drei Jahre alt sind. Wie lange also, so der Gedanke, dauert es dann noch, bis solche Künstlichen Intelligenzen uns eben doch an Intelligenz überflügeln? Wenn man Wildenhains Diskussion folgen will, noch eine ganze, unabsehbare Weile.
Das liegt daran, dass die heutigen KI zwar sehr leistungs-, anpassungs- und lernfähige Programme sind, es ihnen aber an einer entscheidenden Eigenschaft mangelt, nämlich – um es ein wenig dilettantisch zu formulieren – an Selbstbestimmung.
Denn unabhängig von der Architektur der Programme, stammen die Entscheidungskriterien, denen sie folgen, nicht von ihnen selbst, sondern sind ihnen durch die Programmierung von außen mitgegeben. Bei aller Abhängigkeit des menschlichen Bewusstseins von seiner Umwelt, ist es im wesentlichen und ganz anders als jede heutige KI selbstgesteuert und damit selbstbestimmt. Menschen sind – anders gewendet – geworden und nicht gemacht, was ihnen einen großen Vorteil vor der KI verschafft, von der genau das eben nicht gesagt werden kann. Daher kommt es, dass Menschen eine Biografie, Erfahrung, Persönlichkeit, ja Intelligenz haben, während eine KI immer noch nur durch ihre schnelle Datenverarbeitung und deren Präsentation punkten.
Das verweist zwar darauf, dass der größere Teil menschlicher Aktivitäten, eben auch intellektueller Aktivitäten, in der Rekombination von Bestandswissen besteht. Selbst deren Bewertung lässt sich in den meisten Fällen statistisch vorherbestimmen. Aber den entscheidenden Schritt könnten KI, so Wildenhain, nicht machen, den von der Rekombination zur (unwahrscheinlichen) Neuformulierung. Sie sind also nur insofern kreativ, als das im Material, das sie aufarbeiten, bereits angelegt ist. KI lieferten Einschätzungen, die durch Näherungsverfahren erschlossen würden, seien ansonsten aber in der Entwicklung neuer Bewertungen beschränkt.
Angesichts der Differenz zwischen der intrinsischen Qualität menschlichen Bewusstseins zur KI, seiner Selbstbestimmung und vor allem seiner Fähigkeit, eigenen Bewertungen zu entwickeln, sieht Wildenhain denn auch keine echte künstliche Intelligenz aus dem Technikhimmel herniedersteigen.
Überlagert wird dies vielleicht dadurch, dass auf der metaphorischen Ebene, im eben auch sprachlichen Alltag, die Analogien zwischen den Verfahren des menschlichen Gehirns und von Computern sich durchgesetzt haben. Eine denkwürdige Inversion der „prometheischen Scham“, von der seinerzeit Günthers Anders geschrieben hatte (Die Antiquiertheit des Menschen, 1956). Um uns selbst besser zu begreifen, behaupten wir, wie Maschinen zu denken. Das vernachlässigt jedoch zwei Erkenntnisse, die bereits die frühen literarischen Vordenker der KI hatten, Johann Wolfgang von Goethe und Mary Shelley: Goethes Homunkulus mangelte es an einem Körper, um Mensch sein zu können, und Shelleys Frankenstein an der sozialen Akzeptanz. Der KI an beidem, und noch an einigem mehr. Was sie aber, wenn man sich die Argumentation von Wildenhain vor Augen führt, die er auf knapp 110 Seiten entwickelt, nicht daran hindern wird, die Weltherrschaft zu übernehmen, wenn sie dazu in die Lage versetzt wird. Man muss sie nur darauf programmieren.
![]() | ||
|
||
![]() |