Barrikaden in Hamburg
Die Hamburger KP probte im Oktober 1923 den Aufstand. Ein Überblick in „Die bedrohte Stadtrepublik“, herausgegeben von Olaf Matthes und Ortwin Pelc
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Weimarer Republik hatte eine Reihe von Krisen zu überstehen, bevor sie 1933 unter das NS-Regime fiel. Das hat gerade zuletzt zu einer Reihe von Ausstellungen und Publikationen geführt, unter anderem zu einem Katalog über den Aufstand in Hamburg, der einmal mehr bestätigt, dass große Teile der historiografischen Forschung gerade im Zusammenhang mit solchen Publikationen vorangetrieben werden. Der 2023 erschienene Katalog zum Aufstand vom Oktober 1923, herausgegeben von Olaf Matthes und Ortwin Pelc zeichnet sich denn auch durch die Breite seiner Beiträge und die Intensität der Auseinandersetzung aus. Von den beeindruckenden Bildbeiträgen, die brillant präsentiert werden, einmal abgesehen.
Auffallend ist (das vorweg), dass die Katalogbeiträge das konventionelle Schema vermeiden, nach dem linke und rechte Antidemokraten die junge deutsche Demokratie bedrohten. Immerhin wäre diese polarisierte These erst einmal kritisch zu diskutieren. Selbstverständlich nicht, weil nationalistischen und völkischen Ideologemen, die sich auf einen genuin deutschen Nationalcharakter und deren Homologie mit ihren politischen Vorstellungen berufen, vielleicht doch Legitimität zuzusprechen wäre. (Auch wenn die Derivate solcher Ideenkomplexe heutzutage wieder erschreckende Konjunkturen erleben, sind und bleiben sie grundlegend diskreditiert.) Und auch nicht, weil kommunistische Ideen, die auf die Entmachtung und Ausschluss bourgeoiser Gruppen aus der politischen Willensbildung setzen und sie zugleich auf die Parteielite delegieren, als wahre demokratische Opposition aufgewertet werden müssten. (Das leninistische Konzept hat zwar seine machtpolitische Effizienz erwiesen, wie die Oktoberrevolution in Russland gezeigt hat. Seine Übersetzung in die gesellschaftliche Praxis hat im Stalinismus wie in seinen späteren Ableitungen eben vor allem sozialistisch verbrämte Diktaturen hervorgebracht, die die Kernidee des Sozialismus suspendiert haben.)
In beiden Ideologemen aber sprechen sich, wenn man an dieser Stelle noch einmal an Ernst Blochs Erbschaft dieser Zeit von 1935 erinnern darf, Interessen und Bedürfnisse aus, die nicht ohne weiteres abzutun sind, sondern die eine Gesellschaft, die sich demokratisch nennen will, eben auch beachten muss – nicht als Erfüllung völkischer oder nationalistischer Machtfantasien einerseits, leninistischer andererseits.
Der Hamburger Aufstand vom Oktober 1923 spielt in solchen Überlegungen eine besonders lehrreiche Rolle: Die leninistische Ausrichtung der KP war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig umgesetzt. Die Einschätzungen auf Seiten der KP, egal auf welcher Ebene sie vorgenommen wurden, ob und wann revolutionäre Krisensituationen vorlagen, waren nicht belastbar. Die Ausführung selbst war dilettantisch und unentschlossen, Informationen und Anweisungen wurden nicht weitergegeben. Entscheidungen wurden gegen besseres Wissen getroffen. Die erwartete Massenmobilisierung blieb aus. Das alles führte nicht zuletzt dazu, dass auch der Hamburger Aufstand vom Oktober 1923 scheitern musste.
Er war zwar eingebettet in groß angelegte Vorbereitungen der KP für einen deutschlandweiten revolutionären Umsturz, der auf den 9. November angesetzt worden war (das Datum ist heute durch den Putsch-Versuch Hitlers besetzt). Die Vorbereitungen wurden jedoch unterbrochen, allerdings nicht in Hamburg. Dort wurde noch am Abend des 22. Oktobers der Aufstand beschlossen, in Abwesenheit u. a. von Hugo Urbahns, der später die politische Verantwortung für den Aufstand übernahm. Urbahns hielt sich anscheinend am 21. noch in Chemnitz auf, wo er erst von der Absage des Umsturzes erfuhr, kehrte am 23. abends nach Hamburg zurück, wo er vom Beginn des lokalen Aufstands in Hamburg überrascht wurde, und befahl den Abbruch der Kämpfe. Indes hatte am Morgen des 23. Oktober der Aufstand begonnen, unter anderem durch Überfälle auf Polizeiwachen, bei denen Waffen erbeutet werden sollten. Mit den Waffen und den Erfolgen bei den Überfällen sollte die weitere Dynamik des Aufstands verstärkt werden. Immerhin war die Mehrzahl der Überfälle erfolgreich. Der Aufruf zum Generalstreik am 23. Oktober wurde aber nur teilweise befolgt. Die Kämpfe zwischen Aufständischen und Polizeikräften, die anscheinend auf beiden Seiten mit großer Rücksichtslosigkeit geführt wurden, dauerten bis zum Zusammenbruch des Aufstands am 25. Oktober an. 24 Aufständische, 17 Polizisten und 62 weitere Personen kamen im Rahmen des Hamburger Aufstands um. Ortwin Pelc, der den Beitrag zum Ablauf des Aufstands im Hamburger Katalog beigesteuert hat, berichtet zudem von über 300 Verwundeten.
Das Urteil über den Aufstand ist aus der historischen Distanz vernichtend genug, eben nicht nur wegen der leninistischen Attitüde, mit der die KP seinerzeit vorging. Allerdings sind die Aktivitäten der KP im Jahr 1923 nicht losgelöst von der existenziellen Krise zu sehen, die mit der Hyperinflation weite Teile der Bevölkerung erfasst hatte. Die Beiträge des Katalogs, der sich des Themas mit einer weit ausgefächerten Reihe von Fragestellungen nähert, verbieten es ihrerseits, den Aufstand so ohne weiteres in das oben erwähnte Schema der Bedrohung der Weimarer Republik von rechts und links einzupressen. Dieses Denkmuster ist nicht völlig falsch, aber nicht differenziert, umfassend und detailliert genug.
Dafür spricht auch die Wahrnehmung in der damaligen Berliner Politik, die – recht pauschal formuliert –- den Aufstand als Ausdruck der prekären Situation weiter Teile der Bevölkerung ansah. Hinzu kommt, dass die Zeitgenossen die Bedingungen, unter denen die Weimarer Republik entstanden war, durchaus noch vor Augen hatten. Auch wenn die Leistungen der Sozialdemokratie bei der Konsolidierung der Situation nach dem Ende des Kaiserreichs und bei der Rückführung der demobilisierten Heere zweifellos groß waren und das von weiten Teilen der Bevölkerung auch wahrgenommen wurde, hatten die Eliten des Kaiserreichs dessen Ende einigermaßen unbeschadet überstanden, die Sozialdemokratie hatte sich für den Erfolg ihrer Politik auf das Militär, eben auch auf Freikorpsverbände gestützt, die etwa in München oder im Ruhrgebiet durch ihre Brutalität gegen Arbeiter und eben auch Linke aufgefallen waren. Zudem wurden Errungenschaften der Revolution, vor allem Rechte der Arbeiter, von Seiten der Industrie immer wieder angegriffen. Die Weimarer Republik war mithin zweifellos ein fragiles politisches Gebilde, dessen Existenz aber durch zahlreiche Faktoren, strukturelle Mängel und divergierende Interessen gefährdet war, auch durch die mangelnde Bereitschaft der gesellschaftlichen Eliten, sie als legitime Basis anzuerkennen.
Neben den politischen, institutionellen und ökonomischen Kontexten widmet sich der Band zur Hamburger Ausstellung auch den kulturellen Nachwirkungen des Aufstands. Bekannt ist, dass er im Umfeld der KP hinreichend idealisiert wurde. Das hat auch mit dem Aufstieg Ernst Thälmanns zu tun, der zwar beim Aufstand keine tragende Rolle eingenommen hatte, aber später in engen Zusammenhang mit ihm gebracht wurde und ihn als Repräsentant der KP personalisierte. Das wird auch damit zu tun haben, dass andere KP-Funktionäre wie Urbahns nach 1923 aus der Partei ausgeschlossen wurden oder keine Rolle mehr spielten.
Insgesamt ist die Wahrnehmung des Aufstands vor allem Bemühungen zuzuschreiben, die ihm zeitlich nachfolgten. Larissa Reissners Reportage, die wohl das bedeutendste literarische Dokument zum Aufstand ist (Johannes R. Bechers und Erich Weinerts Texte sind im Vergleich dazu nachrangig), wurde sofort nach ihrem Erscheinen verboten und erlebte erst nach dem Krieg eine größere Verbreitung in der DDR. Die zahlreichen Fotografien, die es zum Aufstand gibt, sind – analog zur frühen Kriegsfotografie – erst nach Beendigung der Kämpfe aufgenommen worden, was ihrer Wirkung keinen Abbruch getan hat.
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