Welt im Wandel

Mit „Krähen im Park“ setzt Christoph Peters seine auf Wolfgang Koeppen Bezug nehmende „Trilogie des gegenwärtigen Scheiterns“ fort

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen 1951 und 1954 veröffentlichte Wolfgang Koeppen (1906–1996) seine Trilogie des Scheiterns. Die Bände Tauben im Gras (1951), Das Treibhaus (1953) und Der Tod in Rom (1954) begründeten den Ruf des im vorpommerschen Greifswald Geborenen, einer der bedeutendsten und literarisch innovativsten deutschen Nachkriegsautoren zu sein. Dass die Romane vom breiten Lesepublikum seiner Zeit weniger enthusiastisch aufgenommen wurden als von der Kritik und Wolfgang Koeppen die großen Erwartungen, die er mit seinen Büchern weckte, zu keinem späteren Zeitpunkt wirklich erfüllen konnte, gehört freilich auch mit in die  Rezeptionsgeschichte dieses Autors.

Nicht ganz in der Reihenfolge, in der Koeppen seine drei Bände publizierte, hat Christoph Peters die auch sprachlich durch ihre Orientierung an der literarischen Moderne aus der Nachkriegsliteratur herausragenden Romane in unsere Gegenwart transponiert. Seine Trilogie des gegenwärtigen Scheiterns beginnt mit dem 2022 erschienenen Roman Der Sandkasten, der mit seinem Blick auf den Berliner Politikbetrieb unserer Tage Bezug nimmt auf das „Treibhaus“ des Bonner Bundestages der frühen 1950er Jahre, in und um den große Teile von Koeppens Roman spielen. Ihm folgt nun erst mit Krähen im Park Petersʼ Antwort auf den die Koeppen-Trilogie eröffnenden Roman Tauben im Gras. Ein die Reihe abschließender Band ist dem Vernehmen nach bereits fertig. Man darf gespannt sein, wie Christoph Peters das den Roman Der Tod in Rom dominierende Thema des Nichtgelingens einer kritischen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der jungen Bundesrepublik aktualisiert.

Spielen Wolfgang Koeppens Romane zu unterschiedlichen Zeiten an drei verschiedenen Orten – Bonn, einer bayerischen Metropole (der Name „München“ fällt an keiner Stelle des Buches Tauben im Gras, in dem nur immer wieder von „die Stadt“ die Rede ist) und Rom –, nimmt Peters seine Leserinnen und Leser auch in Krähen im Park wieder mit in das heutige Berlin während der Corona-Pandemie. Anders als bei Tauben im Gras, wo sich keine genaue Datumsangabe findet – Koeppen selbst hat im Vorwort zur zweiten Auflage lediglich vermerkt, der Roman spiele „kurz nach der Währungsreform“ –, hat der 1966 in Kalkar geborene Peters sich ganz bewusst den 9. November 2021 als temporären Hintergrund ausgesucht.

Er hebt damit ab auf die schicksalhafte Bedeutung dieses Datums in der deutschen Geschichte der letzten mehr als anderthalb Jahrhunderte. Denn es war ein 9. November, als im Jahre 1848 die Ermordung Robert Blums in Wien das Ende der Märzrevolution einläutete. 70 Jahre später, am 9. November 1918, rief Philipp Scheidemann von einem Balkon des Berliner Reichstagsgebäudes die erste deutsche Republik aus. Wiederum 20 Jahre später, am 9. November 1938, markierte die sogenannte „Reichspogromnacht“ den vorläufigen Höhepunkt des von den Nazis organisierten antisemitischen Terrors. Und als mit dem Fall der Berliner Mauer nach 28 Jahren 1989 die deutsche Teilung endete, schrieb man ebenfalls einen 9. November.

In Christoph Peters Roman kreuzen sich an eben diesem Tag im dritten Pandemie-Jahr 2021 die Lebenswege zahlreicher Figuren. Sie alle bewegen sich mit ihren je eigenen Plänen und Problemen durch die Anonymität der Großstadt Berlin und tragen mit ihren Geschichten zur Charakterisierung einer Zeit bei, in der, befördert durch die Corona-Krise und die kontroverse öffentliche Auseinandersetzung über die Methoden, ihr wirkungsvoll zu begegnen, etwas zuende zu gehen scheint, ohne dass schon klar wäre, was zukünftig an dessen Stelle treten könnte. Den meisten Personen, denen man als Leserin und Leser auf den Seiten des Romans begegnet, fehlt deshalb auch erkennbar die Orientierung – sowohl im Sozial-Gesellschaftlichen als auch im Privaten.

Da ist etwa der Feuilletonist Urban Fischer, 42 Jahre alt, einst gefeiert als Autor zweier von der Kritik hochgelobter Romane. Weil die Arbeit an einem dritten Buch seit Jahren nicht vorangehen will, können inzwischen nur noch ein paar Spezialisten mit seinem Namen etwas anfangen. Mit einem feuilletonistischen Beitrag über den mit Spannung erwarteten öffentlichen Auftritt des französischen Starautors Bernard Entremont – für den wohl Michel Houellebecq Pate gestanden hat –, der am Abend dieses Tages einen hochdotierten europäischen Literaturpreis entgegennehmen soll, will er sich wieder ins Gespräch bringen. Aber ist Fischer tatsächlich der Richtige, um diesem enfant terrible der französischen Literatur – „ein kettenrauchender Alkoholiker, politisch wirr, vielleicht auch einfach nur ein genialer Provokateur“, wie eine andere Romanfigur Entremont charakterisiert – gerecht zu werden?

Über den Auftritt des Franzosen in der Akademie der Künste – die Veranstaltung endet mit einem Skandal, wie man ihn wohl auch erwarten durfte, wenn man diesen Mann einlud – bindet Peters auch andere Figuren seines Romans in die Handlung ein. So ist der Literaturwissenschaftler Spettmann extra mit einer kleinen Gruppe von Studentinnen und Studenten aus Göttingen angereist, um die Preisverleihung live mitzuerleben. Die Halb-Koreanerin Elaine Bettray, die zu Spettmanns Reisegruppe gehört und in Urban Fischer ein kleines, aber schließlich schnell verglühendes erotisches Feuer entzündet, hat freilich ihre eigene Meinung zu dem umstrittenen Autor: „Sorry, der Typ sieht aus wie ein Penner.“ Dass er noch dazu in Zeiten von „MeToo und den ganzen Sexismus-Debatten der letzten drei Jahre“ für eine deutsche literarische Vereinigung preiswürdig ist, findet die aufgeweckte Studentin zumindest skandalös.

Ziemlich egal hingegen ist der Ruf Entremonts der Gastgeberin einer kleinen Soiree mit ausgewählten Gästen zu Ehren des Franzosen, die nach seinem Auftritt in dem luxuriösen Anwesen des Architekten Dirk Mahnfeld stattfinden soll. Einst als Schauspielerin vom Bildschirm nicht mehr wegzudenken, hat Mariann Krüger es inzwischen aufgegeben, sich mit „Ernährungsplänen, Fitnesstrainern, plastischen Chirurgen“ präsentabel zu halten. Stattdessen nutzt sie ihre Bekanntheit aus Film, Funk und Fernsehen dazu, legendäre Abendgesellschaften zu veranstalten, die Schauspieler, Schriftsteller und Künstler mit Leuten aus den Medien, der Wirtschaft und der Politik zusammenbringen, ein für beide Seiten lohnendes Arrangement. Und damit Bernard Entremont es am Abend seines Ehrentags an nichts fehlt von dem, an das er dem Hörensagen nach gewohnt ist, darf er nicht nur als Einziger im Haus rauchen, sondern wurden zu seiner Unterhaltung auch einige nicht gerade billige Damen eines gehobenen Escort-Services engagiert.

Auf gut drei Dutzend Personen addiert sich das Personal von Krähen im Park. Peters gelingt es mit diesem umfangreichen Figurenensemble, ohne eine durchgehende Handlung und mit eingestreuten Zeitungsschlagzeilen, die das Ganze temporal verorten, sowie zahlreichen Perspektivwechseln auf beeindruckende Weise und nicht ohne Humor, viele Probleme der letzten Jahre transparent zu machen. So fließt die Flüchtlingsfrage über den Afghanen Ali Zayed, für den am Tag seiner Ankunft in Berlin alles schiefgeht, was nur schiefgehen kann, in den Roman ein. Andere Figuren stehen für einen wachsenden unterschwelligen Rassimus in der Gesellschaft, das zunehmende Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, Genderdiskussionen, wachsende Jugendkriminalität und die Erregungskultur der Sozialen Medien.

Mit den schon aus dem Vorgängerband bekannten Professoren Bernburger – der sich als ambitionierter Möchtegern-Gesundheitsminister mit den Problemen herumzuschlagen hat, denen sich in der Realität Karl Lauterbach ausgesetzt sah –  und Garbsen, dem „Messias des Wissenschaftskults“, als dessen Vorbild man den Berliner Virologen Christian Drosten vermuten darf, rückt der Roman die Phalanx der Pandemiebekämpfer ins Bild. Ihnen gegenüber stehen jene – und das sogar in Bernburgers eigener Familie, wo Exfrau und Sohn zum Querdenker-Milieu zählen –, die an nichts mehr glauben, was in den Zeitungen steht und ihre eigenen, teils abstrusen Meinungen über die verschiedensten medialen Kanäle öffentlich machen.

Doch auch, wenn einige der auftretenden Personen an Protagonisten der Zeitgeschichte erinnern – einen Schlüsselroman zu schreiben, lag sicher nicht in Christoph Petersʼ Absicht. Stattdessen hat der Autor in Interviews darauf hingewiesen, dass viele seiner Figuren mit bestimmten Protagonisten aus Koeppens Tauben im Gras korrespondieren. Wer sich der Mühe des Vergleichs unterziehen will, wird hier sicher fündig werden können. Alles in allem aber liegt mit Krähen im Park ein raffiniert gebauter episodischer Zeitroman vor, der in einem Deutschland spielt, das sich im Umbruch befindet, einem Umbruch, der in den Biografien aller handelnden Personen für gehörige Unruhe sorgt, ohne dass es ihnen in jedem Fall wirklich bewusst wird, dass man gerade eine Zeitenwende erlebt.  

Titelbild

Christoph Peters: Krähen im Park.
Luchterhand Literaturverlag, München 2023.
320 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783630877525

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