Dreiteilig aus der Sinnkrise
Seit wann ist „Die Romantrilogie“ in Mode – und warum ? Die Germanistin Victoria Gutsche ist dieser Frage nachgegangen und hat Aufkommen und Konjunktur der „großen Form“ im 19. und 20. Jahrhundert untersucht
Von Martin Ernst
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAlfred Döblin hatte seine Romanreihe November 1918 ursprünglich als Trilogie entworfen. Weil der Umfang des für 1942 geplanten zweiten Bandes aber ausuferte, musste der Exilautor ihn zweiteilen, so dass November 1918 nach 1945 schlussendlich als Tetralogie erschien. Die Frage, wie Döblins Mehrteiler heute deswegen einzuschätzen sei – kompositorisch zwar als Trilogie erdacht, verlegerisch aber als Tetralogie erschienen – wird früh gestellt in der im Wallstein Verlag erschienenen Habilitationsschrift der Erlanger Germanistin Victoria Gutsche.
Das prominente Beispiel Döblins veranschaulicht sehr treffend das Spannungsfeld zwischen zwei Faktoren, welche für die anschließende, historisch-rekonstruierende Untersuchung zu Romantrilogien wesentlich werden: Neben textinternen Gründen (nach Gerard Genette: auktorial), wenn beispielsweise in drei Romanen dem Lebenslauf eines Helden, einer Familie oder Gruppe gefolgt wird, treten verlegerische und werkpolitische Motive sowie Rezeption und Kritik von außen (allograf).
Beide Faktoren bilden den Kern des im Theorieteil vorgeschlagenen „porösen“ Trilogiebegriffs, der sich als Minimaldefinition versteht und aufgrund des Binnenverhältnisses der Teile untereinander drei Typen von Trilogien unterscheidet (sequentiell, zyklisch und cluster). Für die Textauswahl – es wurden 150 Romantrilogien zwischen 1833 und 1945 einbezogen – bedeutet das, dass sowohl Trilogien, die vom Autor bewusst als solche geplant wurden, als auch solche, die von Verlags- und Rezeptionsseite im Nachgang zu solchen gemacht wurden, berücksichtigt wurden.
Erste Trilogien im 19. Jhdt. bei Laube und Raabe
Gutsche führt als frühe Exempel aus dem 19. Jahrhundert Heinrich Laube (Das junge Deutschland) und Wilhelm Raabe an, bei denen vor allem die werkpolitische Deutung, welche im Zyklus die Essenz des Autors erkennen will, ein Motiv war. So erschienen die drei Romane von Raabes Stuttgarter Trilogie seinerzeit bei drei verschiedenen Verlagen, wurden aber bereits zu Lebzeiten des Autors von der Literaturkritik als Trilogie interpretiert.
Die Tendenz, die hinter der akribischen Analyse sichtbar wird, ist folgende: Dominieren ab dem späten 19. Jahrhundert vor allem noch allografe Gründe, absatzorientierte und verlegerische Motive, so werden später mehr und mehr auktoriale Gründe, die Dreiheit der Form selbst, zum inhaltlichen Antreiber. Diese findet in ihrer triadischen Struktur kulturgeschichtlich auch eine Entsprechung in der paradigmatischsten deutschen Romanform: dem Bildungsroman, den Goethe bereits als Trilogie plante. So zeichnet Gutsche mit zahlreicher werdenden Beispielen das Aufblühen der Großform im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nach und erklärt nachvollziehbar
[…] das gesteigerte Interesse an dreiteiligen Formen seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Dieses lässt sich als Ausdruck einer Sehnsucht nach Vollkommenheit, nach Orientierung und insbesondere nach Sinnstiftung im Zeichen der Krise interpretieren. Vor diesem Hintergrund lässt sich außerdem die deutliche Zunahme auktorialer Trilogien erklären. War die Trilogie vor 1900 in erster Linie ein Rezeptionsphänomen, wird sie spätestens mit der Katastrophe des Ersten Weltkriegs zum expliziten Ausdruck des Wunsches nach Ordnung, Stabilität und Sinn.
Höchst aufschlussreich ist, wie die Karriere der Trilogie weiterverfolgt wird und Gutsche dabei die formalen Verwandtschaften innerhalb der Literatur herausarbeitet. Nach der Reichsgründung 1871, so bei Fritz Mauthners Berlin W. und Paul Lindaus Berlin, verwiesen bereits die zeitgenössischen Rezepienten auf Emil Zola, der in seinem Marcquart-Zyklus die französische Gesellschaft des Zweiten Kaiserreich abbildete. Während sich diese Trilogien also am französischen Naturalismus orientieren, birgt die Analyse von Heinrich Manns Göttinnen andere Ergebnisse: Neben dem Verweis auf die Mehraktigkeit des Dramas als Vorbild arbeitet Gutsche heraus, dass die Geschichte um Violante von Assy vor allem als Negativfolie des Bildungsromans zu verstehen ist.
Auch die Avantgarde (zu nennen ist hier auch Stanislaw Przybyszewskis Homo Sapiens) wendet sich der Großform zu und nutzt sie ihrerseits, dies zeigt vor allem die spätere Analyse von Hermann Brochs Schlafwandlern, um die Krise des Erzählens selbst in den Blick zu rücken. Allerdings gehören die Trilogien Manns, Brochs oder Przybyszewskis zu der eher kleinen Zahl von Beispielen avantgardistisch-moderner Literatur, die Gutsche anführt.
Triadisch auf Sinnsuche
Denn nach dem Ersten Weltkrieg ist eine Zunahme dreiteiliger historischer Biografien (genannt sei hier nicht nur wegen des Assoziationen weckenden Titels beispielsweise Walter von Molos Ein Volk wacht auf) und Bildungsromane vorwiegend aus dem konservativen Teil des politischen Spektrums wahrnehmbar, die durchaus als Ausdruck jenes „Hungers nach Ganzheit“ (Peter Gay) verstanden werden kann, der das späte Kaiserreich und die junge Weimarer Republik prägten. Ein Großteil der Trilogien entspringt nun völkisch-nationalen Gesinnungen, weil die anti-moderne Intelligenz der modernen Disparität mit triadisch orientierten Einheitserzählungen antwortet.
Erst in der historischen Rekonstruktion wird nämlich deutlich, dass es sich bei der Romantrilogie um ein spezifisch modernes Phänomen handelt, dessen Aufkommen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sich aus der vielfach beschworenen modernen Orientierungs- und Haltlosigkeit und dem daraus entspringenden Wunsch nach Ordnung und Sinnstiftung erklären lässt. Die trilogische, zuweilen zyklische Form verspricht aufgrund ihrer – zumindest proklamierten – Geschlossenheit Orientierung und Halt.
Auch im Nachkrieg und der Postmoderne, das zeigt die Übersicht im Anhang, kommen Dreiteiler nicht aus der Mode. Gerade das digitale Zeitalter hat einen Boom serieller Produktionen losgetreten. In Zeiten von Sequels, Prequels und Spin-Offs ist Gutsches Buch eine anregende Lektüre, um nach der Kohärenz mehrteiliger Werke zu fragen und zu bedenken, was sich in der Großform ausdrücken will – und warum.
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