Ein Ort des Grauens

Die chilenische Schriftstellerin Nona Fernandez berichtet in „Twilight Zone“ über das Leben in einem repressiven Staatssystem

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Twilight Zone ist ein Ort, an dem die Regeln der physischen Welt aufgehoben sind, eine Zwischenwelt, in die Menschen plötzlich und unverhofft versetzt werden, obwohl sie sich scheinbar noch in unserer realen Welt befinden. Die Twilight Zone ist also ein Ort des Grauens, aber auch ein Ort der Unsicherheit. Die gleichnamige amerikanische TV Serie, in den 1950er Jahren ersonnen von Rod Serling, war vor allem in den USA, aber auch international ein großer Erfolg. Auch eine Neuauflage in den 80er Jahren konnte überzeugen und die Zuschauer verschrecken. Die chilenische Schriftstellerin Nona Fernandez nimmt das Konzept der Twilight Zone nun als übergeordnete Metapher, um von den Schrecken der Militärdiktatur, die ihr Heimatland von 1973 bis 1990 unter dem General Augusto Pinochet erleiden musste, zu berichten – vor allem von der Hilfslosigkeiten der Bürger, die zunehmend mit dem Grauen in ihrem Heimatland konfrontiert wurden: Folterungen, Ermordungen, Verschwundene, Hingerichtete. Die Chilenen fühlten sich in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhundert wie in die Twilight Zone versetzt, aus der es, wie man als Anhänger der Serie weiß, kein Entkommen mehr gibt.

Im Roman Twilight Zone greift Fernandez die zentrale Geschichte ihres eigenen Kurzromans Space Invaders auf und setzt sie in einen anderen Kontext: Eine Klassenkameradin der Ich-Erzählerin hat einen Vater mit einer Prothese, da eine Handgranate seine Hand zerfetzt hat. Ein seltsamer Onkeldieses Mädchens, der plötzlich an der Schule auftaucht, um sie abzuholen und scheinbar zu beschützen. Irgendwann verschwindet sie von der Schule, Vater und Onkel werden Jahre später als Folterer und Mörder im Auftrag der Regierung enttarnt, die für eine Reihe von Enthauptungen Oppositioneller verantwortlich waren.

Mit dieser Methode, Geschichten immer wieder neu und aus anderen Blickwinkeln zu erzählen, ist ihr Landsmann Roberto Bolaño zu Weltruhm gelangt, und tatsächlich hat der große Autor zu Lebzeiten die damals junge und aufstrebende Schriftstellerin ausdrücklich gelobt. Doch Fernandez’ Ton ist ein anderer als der Bolaños. In ihren Romanen geht es nicht um sinnsuchende Dichter, mysteriöse globale Verwicklungen, das Wesen der Literatur. Es geht, wenn man das mal so pathetisch formulieren darf, um die nackte Existenz, die existenzielle Angst, das politische und soziale Grauen – und darum, was Menschen dagegen zu unternehmen versucht haben. Es geht letztlichum das absolute Böse, das tief in jedem Menschen schlummern und erweckt werden kann. Wobei sie thematisch doch wieder ganz nah bei Bolaño scheint.

Am Ende von Fernandez’ Twilight Zone sinniert die Ich-Erzählerin über den Hit „We didn’t start the Fire“ von Billy Joel aus dem Jahre 1989. Darin reiht Joel politische und kulturelle Ereignisse aneinander, von seinem Geburtsjahr bis hin zur damaligen Gegenwart. Der Bezug der Geschehnisse zueinander, die von einer mehr oder weniger typischen amerikanischen Kindheit und Jugend (und später dem Erwachsenenleben) zusammengehalten und zu einer Geschichte verbunden werden, entsteht eher durch ihre bloße Aneinanderreihung. Die letzten ca. 20 Seiten des Buches bestehen aus einer Art Nachdichtung des Joel-Songs, bezogen auf die jüngste chilenische Geschichte, vor allem auf die vielen Geschehnisse, die in dem Roman angesprochen werden. Es ist ein Panoptikum des Grauens.

Liest man diese letzten Seiten, hat man längst gelernt, was all diese Erwähnungen bedeuten, was sie zusammenhält. Der lose Plot des Romans handelt von einer Filmemacherin – der Ich-Erzählerin – die in der Jetztzeit beim Fertigstellen eines Dokumentarfilms über die Militärdiktatur an ein Interview erinnert wird, in dem ein Mann einer oppositionellen Zeitschrift bekennt: „Ich habe gefoltert“. Dieser Ausspruch, verbunden mit der Denomination „der Mann, der gefoltert hat“ wird zum Leitmotiv des Romans, alles kreist um seine Aussagen in jenem Interview.

Das Buch selbst ist vielmehr eine Montage von Erinnerungsfetzen, die allesamt von den Aussagen des „Mannes, der gefoltert hat“ mit Hintergrundwissen ergänzt werden. Die zahlreichen Zeitungsartikel über Leichenfunde in den 80er Jahren, eine Schießerei im Viertel, in dem die Erzählerin aufgewachsen ist. Ein seltsames Auto, das durch die Straßen patrouillierte. All diese in der Kindheit der Erzählerin wie nebenbei aufgenommenen Momente werden durch ihre retrospektive Lektüre des Interviews als Bilder vor dem inneren Auge erzeugt. Ein komplex montierter Roman, der auch ein gewisses Hintergrundwissen über Geschichte und Politik Lateinamerikas verlangt – der aber gleichsam schockierend wie faszinierend ist.

Titelbild

Nona Fernández: Twilight Zone. Roman.
Aus dem chilenischen Spanisch von Friederike von Criegern.
CulturBooks, Hamburg 2024.
238 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783959881937

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