Kein Jubel zum Jubiläum

Murray G. Hall und Georg Renöckl über 100 Jahre Paul Zsolnay Verlag in „Welt in Wien“

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1999 hat Murray G. Hall neben seinem zweibändigen Hauptwerk Österreichische Verlagsgeschichte 1918 bis 1938 (Wien 1985), das auch online verfügbar ist, auf fast 850 Seiten eine Geschichte des Paul Zsolnay Verlags mit dem Untertitel „von der Gründung bis zur Rückkehr aus dem Exil“ (Tübingen 1994) verfasst. Zusammen mit dem Zsolnay-Verleger Herbert Ohrlinger hatte er Dokumente und Zeugnisse zur Verlagsgeschichte seit 1924 zusammengestellt. Man war gespannt, was der Verlag anlässlich seines 100. Geburtstags herausbringen würde, und hoffte auf eine Fortschreibung der Unternehmensgeschichte eines der wichtigsten Verlage der österreichischen Nachkriegsgeschichte durch Hall, den Doyen der österreichischen Buch-, Verlags- und Provenienzforschung. Erschienen ist jetzt unter dem Titel Welt in Wien ein schmales Paperback-Bändchen mit 200 Seiten Umfang, das die einhundertjährige Geschichte des Verlags von 1924 bis zur Gegenwart abdecken soll.

Die Enttäuschung ist groß, zumal Hall als erster Autor neben Georg Renöckl genannt wird. Die ersten 72 Seiten der neuen Ausgabe sind völlig identisch mit den Seiten 9 bis 89 der Ausgabe von 1999. Immerhin wurden die Abbildungen teils vergrößert, teils verkleinert, also neu lithografiert. Darauf folgt ein befremdlicher Einschub von Hall – kursiv gesetzt –, in dem er seine Auseinandersetzung mit dem damaligen Geschäftsführer Hans W. Polak um die oben genannte Österreichische Verlagsgeschichte ausbreitet und Polaks Versuche schildert, ihn beim Verleger des Böhlau Verlags, aber auch an anderen Stellen zu verleumden.

Der restliche Teil des Bändchens – man kann davon ausgehen, dass der Text von Renöckl verfasst wurde – schildert den erfolgreichen Neustart des Verlags, nachdem der Carl Hanser Verlag unter seinem Geschäftsführer des literarischen Verlagsteils Michael Krüger den Verlag 1996 erworben hatte. 1986 hatte Ernst Leonhard, der Geschäftsführer der Deutschen Buchgemeinschaft und Druckereibesitzer, den Verlag erworben und Gerhard Beckmann als Verlagsleiter eingesetzt, doch schon vier Jahre später wurde Zsolnay an die Verlagsunion Pabel Moewig (VPM), eine hundertprozentige Tochter des Hamburger Heinrich Bauer Verlags, weiterveräußert. VPM hatte die Absicht, den reichen Zsolnay-Rechtefundus zu verwerten. Doch daraus wurde nichts, denn der neue Besitzer wusste mangels einschlägigen verlegerischen Knowhows mit Zsolnay nichts Rechtes anzufangen

Im Fortgang der „Festschrift“ wird die Programmarbeit von Herbert Ohrlinger anhand von mehr oder weniger umfangreichen Porträts einzelner Autoren chronologisch dargestellt. Autorenname folgt auf Autorenname, oft charakterisiert durch kurze Texte, von denen man annehmen muss, dass sie die Verlagsankündigungen paraphrasieren. Viele der Namen sind vergessen, andere von innerösterreichischer Bedeutung, einige geblieben. So Jean-Dominique Bauby (Schmetterling und Taucherglocke), Karl Markus Gauß, Franz Schuh. Und vor allem Henning Mankell, der dem Verlag über eineinhalb Jahrzehnte einen wirtschaftlichen Höhenflug bescherte.

Ein wesentlicher Bestandteil des Nonfiction-Programms sind Lebensgeschichten von Schriftstellern, Künstlern, Intellektuellen und Politikern aus Österreich und Mitteleuropa, so die Bücher über Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Hugo von Hofmannsthal und Karl Kraus, über Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Herbert von Karajan, über Otto Neurath und Karl Renner, den Mitbegründer der beiden österreichischen Republiken.

Zwischen 2005 und 2019 war der in den 1990er Jahren durch den Österreichischen Bundesverlag reanimierte Deuticke Verlag ein Imprint von Zsolnay. Ein Gespräch mit Herbert Ohrlinger („Weit von wo“) beschließt den Band. Wer der Stichwortgeber für die weitgehend schon im vorangegangenen Text beantworteten Fragen war, erfährt man nicht. Murray G. Hall ist am 4. September 2023 gestorben. Schade oder auch unverständlich, dass er diese Publikation noch mit seinem Namen geadelt hat.

Titelbild

Murray G. Hall / Georg Renöckl: Welt in Wien. Der Paul Zsolnay Verlag 1924 bis 2024.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2024.
208 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783552073937

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