Mit MS Fichte „Zur See“

Die Handelsflotte der „Deutschen Seereederei Rostock“

Von Lina SchröderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lina Schröder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer mal wieder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen ist der in der DDR gedrehte 9-Teiler Zur See. Das Motorschiff J. G. Fichte (Heimathafen Rostock), das mitsamt seiner Besatzung und ihren Abenteuern im Zentrum der Serie steht, war ursprünglich ein 1950 in Frankreich gebautes kombiniertes Fracht- und Passagierschiff. Sie wurde, so kann es in vorliegender Publikation nachgelesen werden, ursprünglich 1962 von der staatlichen „Deutschen Seereederei Rostock“ (weiter DSR) angekauft. Statt der Passagiere konnten nun auf dem dritten Schiff der DDR-Ausbildungsflotte 190 Auszubildende für die ostdeutsche Schifffahrt mit an Bord genommen werden. Aber nicht nur über die „Fichte“ hält vorliegende Publikation Informationen bereit. Laut Autor Karsten Kunibert Krüger-Kopiske, der schon zahlreiche maritime Titel publiziert hat, steht nicht die Firmengeschichte der DSR im Fokus. Vielmehr liegt hier eine chronologische Schiffsliste sämtlicher Einheiten der DSR im Zeitraum von 1952 bis zum Ende der DDR-Schifffahrt 1993 vor. Jedes von der DSR betriebene Frachtschiff wird mit einer vom Autor erarbeiteten Seitenansicht und einem Decksplan im Maßstab von 1:1250 vorgestellt. Die Zeichnungen werden durch schiffbauliche Basisdaten tabellarisch ergänzt. Dieser illustrierten Schiffsliste (S. 29–156) sind ein Vorwort und eine Einleitung (S. 8–28) vorangestellt. Beide erscheinen zweisprachig in Deutsch und Englisch – der Autor verweist zurecht darauf, dass es sich bei der Seefahrt um eine internationale Angelegenheit handelt. Am Ende erläutert er ferner die Bedeutung der einzelnen Schiffsnamen (S. 157–172), im Anhang findet sich zudem eine knappe Literaturliste. Wie im Vorwort erläutert, wird durch das Hinzufügen der IMO-Nummer die Möglichkeit zu eigenen Nachforschungen zu den einzelnen Schiffen erleichtert. Dabei handelt es sich um eine unverwechselbare Kennung für Schiffe, Reedereien und Schiffseigentümer, die von der „Internationalen Seeschifffahrts-Organisation“ (IMO) eingeführt wurde, um die Sicherheit auf den Meeren zu verbessern und Betrug zu reduzieren. Sie setzen sich aus den drei Buchstaben IMO und sieben Ziffern nach der International „Convention for the Safety of Life at Sea“ (SOLAS) zusammen. Mit Blick auf die Darstellung der Schiffsflotte werden, so Krüger-Kopiske, ausschließlich die Indienststellung durch die DSR, der Abgang aus der Flotte sowie der jetzige Status genannt. Über Ankäufe, Verkäufe, Havarien und Ähnliches wird nicht berichtet. Nach der „Wende“ waren Anfang 1990 noch 8.271 Seeleute und 4.906 Landbeschäftigte über die DSR angestellt. 1993 erfolgte dann der endgültige Verkauf der DSR an die Reederei „F Laeisz“.

Der Aufbau der Flotte, so heißt es in der Einleitung, lässt sich nur vor dem volkswirtschaftlichen Hintergrund der DDR verstehen: Besitzt ein Land keine Flotte, so muss sämtlicher Transport aus dem Ausland eingekauft werden, was aus volkswirtschaftlicher Sicht eine negative Dienstleistungsbilanz bedeutet. Das ist insbesondere für solche Länder problematisch, die ein chronisches Devisenproblem haben: Erfahrungsgemäß verlangen in der Regel fremdländische Transporteure eine Bezahlung in frei konvertierbarer Währung. Da die DDR noch dazu ein rohstoffarmes Land war, war mit Blick auf die günstige Ostseelage die Gründung einer eigenen Flotte also naheliegend. Im Gegensatz zu Westdeutschland (mit u.a. HAPAG, dem Norddeutschen Lloyd, Hamburg Süd, DDG, HANSA, den Deutschen Afrika-Linien) konnte die DDR laut Autor nicht auf schon existierende Werften oder Reedereien zurückgreifen. Während es in der Westzone nach dem Krieg bald möglich war, auf den dortigen Werften für deutsche Rechnung neue Schiffe mit geringer Tonnage und Geschwindigkeit zu bauen (die sogenannten Potsdamschiffe – von denen etwa 50 in Fahrt kamen), war dies in Ostdeutschland aufgrund der sowjetischen Politik nicht möglich. Größere, vormals „ostdeutsche Werften“ befanden sich vor dem Krieg in Danzig und Stettin. Die in Stralsund seit 1850 ansässige „Kröger-Werft“ wurde nach dem Krieg enteignet und siedelte nach Westdeutschland um, da die sowjetischen Besatzungsbehörden den Schiffbau in Deutschland generell verboten. Erst im August 1950, so Krüger-Kopiske, beschloss die Volkskammer der DDR den Aufbau einer eignen Handelsflotte, im Oktober ging mit der „Vorwärts“ das erste Schiff in Fahrt. Dieses 1905 bei der Werft Neptun in Rostock vom Stapel gelaufene Dampfschiff musste jedoch bereits im Frühjahr 1954 aufgrund von technischen Mängeln wieder außer Dienst gestellt werden. Die DSR wurde am 1. Juli 1952 gegründet. In diesem Jahr umfasste die Handelsflotte der BRD laut Autor bereits 1.522 Schiffe mit 1.397.604 (Bruttoregistertonnen). Zwei Drittel davon waren Motorschiffe, die überwiegende Zahl der Neubauten stammte von westdeutschen Werften.

Nach und nach vergrößerte sich nun auch die Flotte der DSR: 80% davon waren Neubauten von DDR-Werften (210 Schiffe), eine Anzahl weiterer Schiffe wurde aus Devisenquellen erworben. Um wertvolle Devisen für den Import von Südfrüchten zu sparen, begann die DDR 1962 außerdem mit der Beschaffung einer eigenen Flotte von Kühlschiffen (insgesamt 12). Die meisten Schiffe wurden dabei, wie die beigefügte Tabelle (ab S. 157) zeigt, nach Tieren, Topographien (z.B. Kontinenten, Flüssen, Gebirgen etc.) oder Sternbildern, vor allem aber nach in der DDR existierenden Ortschaften und Regionen oder für das politische Regime wichtigen Personen benannt. Ende der 1970er Jahre war der Aufbau der DSR-Flotte abgeschlossen, danach nahm die Anzahl neuer Schiffe ab, nicht jedoch die Tonnage, denn die Schiffe wurden immer größer. Der eigentliche Schrumpfungsprozess setzte erst gegen Ende der 1980er Jahre ein.

Fahrgebiete waren u.a. das Mittelmeer (z.B. in das befreundete Ägypten und Albanien sowie die Levante-Fahrt in das östliche Mittelmeer), die Ostsee (z.B. Schnittholz, Schiffe mit Eisbrecher-Ausstattung) und der Afrikaverkehr. Im Zeitraum Ihres Bestehens verlor die DSR dabei 15 Schiffe, was 52 Menschen das Leben kostete. Die Verlustrate bewertet Krüger-Kopiske als sehr hoch und erklärt ihr Zustandekommen u.a. damit, dass die DDR aufgrund ihres Devisenproblems nicht über die allerbeste Navigationstechnik verfügte bzw. oft mit veraltetem Kartenmaterial arbeiten musste. Nach der Übernahme durch die Reederei „F Laeisz“ wurden viele Schiffe der DSR-Flotte überflüssig: Sie waren technisch veraltet und hatten eine zu umfangreiche Besatzung. Auch die MS Fichte wurde 1981 in Pakistan abgebrochen. Und so erinnert neben dieser insgesamt gelungenen Publikation auch die 1977, nicht zuletzt zu Propagandazwecken gedrehte Serie Zur See an die Ära der ostdeutschen Handelsschiffe. Bei der Benutzung der vorliegenden, akribisch erarbeiteten Dokumentation bleibt allerdings ein Wermutstropfen: Unverständlicherweise wurde der Publikation kein Schiffsnamenregister beigegeben.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Karsten Kunibert Krüger-Kopiske: German Merchant Fleet Lists. DSR - Deutsche Seereederei Rostock.
Koehler im Maximilian Verlag, Hamburg 2023.
172 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783782215329

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch