Von Guineas dunkler Vergangenheit und einer Identitätssuche

Tierno Monénembos Roman „Indigoblau“

Von Julia AugartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Augart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Roman erzählt die Geschichte von Atou, einer jungen Frau, die im Alter von 15 Jahren in Conakry (Guinea) ihren Vater erschießt und daraufhin flieht. Aufgenommen und versteckt wird Atou wird von einem gleichaltrigen Mädchen und ihrer Tante. Nachdem die Polizei Atou nicht weiter verfolgt, beginnt sie, sich freier zu bewegen und auszugehen. Sie verbringt viel Zeit in Clubs, wo sie mit ihren Freundinnen gerne trinkt, feiert und reiche Touristen ausnimmt. Plötzlich wird sie jedoch erneut verfolgt und als ein Polizist in einer indigoblauen Jacke sie sogar zu Hause aufsucht, macht sich Panik breit. Doch anstatt Atou auf das Polizeirevier zu bringen, lädt er sie in sein Haus ein und erzählt ihr die Geschichte ihrer wahren Eltern, die durch das Regime von Sékou Touré ermordet wurden. Unter ihrem ursprünglichen Namen Véronique Bangoura macht „Atou“ sich mit Hilfe ihres späteren Ehemanns Philippe auf die Suche nach ihrer Familie und auch nach ihrer Identität. Jahre später erzählt sie schließlich einer Freundin in Paris ihre Lebensgeschichte und wird dazu ermutigt, ein Buch zu schreiben.

Selten lese ich einen Roman zweimal, nur um ihn zu verstehen. Bei Indigoblau, dem neuen Roman des aus Guinea stammenden Tierno Monénembo, war dies aber der Fall. Bereits der Klappentext kündigt an, dass nach einem rätselhaften Einstieg immer neue Überraschungen auftauchen. Erst ab der Hälfte des Romans werden die verschiedenen Zusammenhänge ersichtlich. Die Komposition der verschiedenen Erzählstränge und die Figuren des Romans zeigen sich in ihrer Komplexität und man wird immer mehr in den Bann der Geschichte(n) gezogen. Die Kapitel wechseln zwischen unterschiedlichen Zeiten, Ländern und Kontinenten:  Einerseits erzählt Véronique – damals noch Atou – von ihrem Leben in Conakry, wie sie aus dem Haus ihrer vermeintlichen Eltern floh, sich versteckte und ein neues Leben voller Spaß begann, ihre Identität in Guinea suchte und letztendlich in Paris mit ihrem Mann ein neues Leben begann. Der zweite Erzählstrang beinhaltet die Gespräche mit Madame Corre in Paris, die zeigen, wie sich die beiden Frauen langsam näherkommen. In diesen Passagen spricht Véronique mit ihrer Freundin, zeigt sich oft vorwurfsvoll und aggressiv, während man gleichzeitig auch Einblicke in Madame Corres Geschichte erhält. Dabei kristallisieren sich allmählich nicht nur die beiden Biografien, sondern auch die Gemeinsamkeiten zwischen ihren Leben heraus:

Glauben Sie immer noch, dass Sie gut daran tun, Ihre Vergangenheit in einer Endlosschleife abzuspulen? Camp B, die Brücke der Gehängten, Ihr Mann, Ihr Sohn, meine beiden Väter, meine beiden Mütter… Halten Sie ein! Da ist nichts mehr um uns herum. Weder Pantheon noch Arena, weder Prospero noch die Kurzwarenhändlerin, nicht der Geist Sartres, auch nicht die Erinnerung an Cohn-Bendit und seine arroganten studentischen Steinwerfer. Da sind nur noch wir beide, in uns gekehrt, umgeben von Nebel und grauen Mauern, wie wir unser Glas Sancerre leeren und die Vergangenheit beweinen. Aber was bedeuten schon unsere kleinen Probleme angesichts des mörderischen Wahnsinns der Menschheit?

Durch die Lebensgeschichten der beiden Frauen bekommt man kurze Einblicke in die bis heute wenig bekannte Geschichte von Guineas Unabhängigkeit und dem Terrorregime unter Sékou Touré.  Im „Camp B“ oder auch Camp Boiro wurden – wie im Roman Véroniques Eltern und Madame Corres Ehemann – in den 1960er bis 1980er Jahren tausende von Menschen gefoltert und getötet. Ebenso wie über das Thema in Guinea wenig gesprochen wird, werden auch im Roman immer nur kurze Erzähleinheiten oder Erinnerungen der Frauen eingestreut. Ein Überlebender von Camp Boiro sagt in einem Interview:

Sekou Touré hat 50.000 Menschen ermorden lassen. Diese Menschen haben nie ein richtiges Begräbnis bekommen. Bis heute hängen ihre Seelen über Guinea und suchen unser Land heim.  (Deutschlandfunk 2019).

Auch in Monénembos Roman Indigoblau hängen die Seelen und man spürt, dass die beiden Frauen nicht nur auf der Suche nach ihrer eigenen, sondern auch nach der Identität ihres Landes sind.

Eine anschließende und intensivere Beschäftigung mit dem Roman wird sicherlich noch weitere interessante Verbindungen zu Tage befördern. Daher ist Indigoblau eine absolut empfehlenswerte Lektüre über ein afrikanisches Land, über das wir alle viel zu wenig wissen und noch einiges zu lernen haben. Der Peter Hammer Verlag hat es mit diesem Roman wieder geschafft, dem deutschsprachigen Publikum ein wunderbares Buch und ein Stück Afrika näher zu bringen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Tierno Monénembo: Indigoblau.
Aus dem Französischen übersetzt.
Bettina Kutzer.
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2024.
270 Seiten, 25 EUR.
ISBN-13: 9783779507338

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