Danny Ryans letzter Fight

Mit „City in Ruins“ beendet Don Winslow mehr als nur seine dreiteilige Thriller-Reihe um einen irischen Mafia-Clan in den USA

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Danny Ryan ist angekommen im großbürgerlichen Leben. Wohlhabend, allseits geachtet und von nicht wenigen beneidet, scheint dem ehemaligen Hafenarbeiter, Mafioso und Gesetzesflüchtling, wie er Leserinnen und Lesern in den beiden ersten Bänden von Don Winslows Trilogie – City on Fire (2022) und City of Dreams (2023) – begegnete, inzwischen nichts mehr zu fehlen. Als reicher Geschäftsmann lebt er in Las Vegas im Haus seiner überaus gut vernetzten Mutter, managt zwei Luxushotels am Strip und hat seine Vergangenheit offensichtlich endgültig hinter sich gelassen. Vor allem aber kümmert er sich um das Wohlergehen seines gerade zehn Jahre alt gewordenen Sohns Ian. Und auch der Weg zu Dannys persönlichem Glück scheint endlich möglich zu sein.

Aber so oft es bisher in seinem Leben auch nach einer rosigen Zukunft aussah, kam es doch stets anders als gedacht. Aus seiner Heimat Rhode Island musste Danny mit den ihm verbliebenen Seinen nach einem desaströs ausgegangenen Mafia-Krieg quer durch die Vereinigten Staaten fliehen. Die Frau, die ihm einen Sohn schenkte, verlor er an den Krebs. Ein lukratives Engagement im Filmgeschäft an der Westküste ging nach hinten los. Die Liaison mit einer Hollywood-Schönheit endete mit deren Selbstmord.

Glück war nie von Dauer – und wenn es doch einmal so schien, als würde nun endlich alles gut, hat Winslows Held immer wieder selbst für Rückschläge gesorgt. So auch dieses Mal. Denn ein heruntergekommenes Hotel, das er zu kaufen sucht, um daraus ein weiteres gewinnbringendes Luxusressort zu machen, erweist sich plötzlich als Stein des Anstoßes, der alte Rivalen auf den Plan ruft und Danny in eine letzte große Auseinandersetzung verwickelt.

Mit City in Ruins beendet der US-amerikanische Schriftsteller Don Winslow nicht nur seine Trilogie um Danny Ryan und die letzten Überlebenden des irischen Murphy-Clan, in den er eingeheiratet hatte. Der 1953 in New York City geborene und heute in San Diego lebende Winslow macht zugleich auch mit seinem seit Längerem angekündigten Plan Ernst, fortan nicht mehr als Schriftsteller in Erscheinung treten zu wollen. Das ist einerseits äußerst bedauerlich, denn Winslow hat seit seinen ersten Büchern einen großen inhaltlichen wie auch stilistischen Einfluss auf die moderne Entwicklung des Thriller-Genres gehabt und – mit wenigen Ausnahmen – Bücher vorgelegt, die nicht nur spannend und hervorragend geschrieben, sondern auch akribisch recherchiert und von politischer Brisanz waren, auch wenn sich ihr Autor immer mehr als Unterhalter denn als Schriftsteller mit Botschaften sah.

Andererseits ist der Grund seines Abtretens von der Bühne der fiktiven Literatur durchaus ehrenwert. Denn Don Winslow hat sich zum Ziel gesetzt, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, damit die Ära Trump keine die Demokratie und den Frieden in seiner Heimat gefährdende Neuauflage erfährt. Dafür kämpft er nun auf seinen Kanälen in den sozialen Medien, bombardiert seine Landsleute mit in der Regel knapp zweiminütigen YouTube -Videos, in denen er kein Blatt vor den Mund nimmt und die rechten Verächter der Demokratie in den USA bloßstellt, wo immer das möglich ist. Dass man auch mit Romanen gegen Trump gewinnen könne, hat er jüngst erst wieder in einem ZEIT-Interview mit Volker Weidermann in Abrede gestellt. Der seiner Meinung nach „neofaschistischen Bewegung“ in den USA gebühre eine andere Antwort, eine, „für die ein Roman nicht ausgelegt ist. Die Energien, die ich habe, müssen zielgerichteter und besser auf den Kampf ausgerichtet sein, den wir jetzt kämpfen müssen.“

Mit City in Ruins halten Leserinnen und Leser also das letzte Buch eines Autors in der Hand, der nichts weniger als Thriller-Geschichte geschrieben hat. Wie in den meisten seiner Romane überzeugt Winslow auch darin wieder mit Welthaltigkeit und scharfem Verstand. Hinzu kommt jene für seine Bücher inzwischen typische strukturelle Kleinteiligkeit, die mit kurzen und kürzesten, die Handlung vorantreibenden Kapiteln für Spannung sorgt. In City in Ruins, das mit einer fünfseitigen Danksagung endet, die kaum jemanden auslässt, der in den Jahren seit dem literarischen Debüt des Autors 1991mit seinen Büchern in Berührung kam, hat Winslow auf knapp 440 Seiten wieder einmal über 100 Kapitel untergebracht. Das einhundertzweite und letzte ist textidentisch mit dem Prolog. Straffes, szenisches Erzählen, häufige Schauplatzwechsel und geschickt erzeugte Blicke in das Innere seiner Figuren sorgen dafür, dass es Leserinnen und Lesern mehr als schwerfallen dürfte, das Buch aus der Hand zu legen, bevor die letzte Seite erreicht ist.

Dass es in City in Ruins nicht ganz so blutig zugeht wie in seinen beiden Vorgängern, tut der Spannung im Übrigen keinen Abbruch. An die Stelle des Straßenkriegs des Murphy-Clans mit der italienischen Moretti-Familie in City on Fire und der an Brutalität und Grausamkeit kaum zu übertreffenden Scharmützel mit dem mexikanischen Drogenkartell des psychopathischen „Popeye“ Abbarca in City of Dreams sind inzwischen die mit den Millionen aus seinen Drogengeschäften finanzierten Deals des Geschäftsmanns Danny Ryan getreten. Die Mafia hat genug verdient, um sich von nun an die Maske des „Ehrbaren“ aufzusetzen. Man regelt seine Angelegenheiten unaufgeregt zum Nutzen aller Beteiligten, trifft sich mit Konkurrenten zu opulenten Diners, fusioniert, wenn das Vorteile verspricht, sichert sich den Zuspruch der Politik mit kräftigen Spenden an Parteien und geht sogar die Risiken eines Börsengangs ein, um sich einen letzten Traum – Il Sogno (der Traum) soll Dannys drittes Luxushotel heißen – zu erfüllen.

Um in das saturierte Leben dieses Mannes, der aus seiner Vergangenheit viel gelernt hat, wieder Unruhe zu bringen, bedarf es schließlich der geschickten Intrige alter Feinde. Einer Intrige, in deren Verlauf Danny Ryan wieder der werden muss, der er nie mehr sein wollte: ein Mann, der Leben nimmt, um mit dem eigenen davonzukommen, und viel von dem verliert, was er gewonnen hatte.

Und dennoch endet Don Winslows Roman nicht mit einer Niederlage. Denn der 2023 auf Rhode Island, also dort wo alles begann, spielende Epilog nimmt seine Leserinnen und Leser mit in die Zeit nach Danny. Aus Ian, dem Sohn, den er immer als das Wertvollste in seinem Leben angesehen hatte, ist inzwischen „der neue Glücksspielmogul“ geworden, der das vom Vater Ererbte mit Fleiß, guten Beziehungen und viel wirtschaftlichem Geschick zu vermehren wusste. Hotels in aller Welt bezeugen das. Und was Danny Ryan mit keiner der drei Frauen seines Lebens gelang, auch nicht der letzten, der Psychiaterin Eden, die im abschließenden Band der Trilogie versucht, die vakante Stelle an seiner Seite zu besetzen – sein Sohn schafft den Spagat zwischen Geschäft und Familie, zu der bald auch drei Kinder gehören. Das ist zum Schluss fast ein bisschen viel des Happy Endings für eine Gangstersaga, sei Winslow aber von Herzen gegönnt. Denn wer möchte sich von seinen Leserinnen und Lesern schon mit einer schlechten Nachricht verabschieden?

Einst als Filmvorführer, Privatdetektiv, Antiterrorausbilder, Safariführer und Prozesssachverständiger unterwegs, gehört die unmittelbare Zukunft des im Oktober 71 Jahre alt werdenden Schriftstellers Don Winslow nun also der Politik. Mit seiner letzten Trilogie hat er noch einmal auf beeindruckende Weise gezeigt, was er kann. Und vielleicht gelingt es ihm und allen demokratisch gesinnten Kräften in seinem Land ja, das Schlimmste zu verhindern. Wäre dann nicht auch wieder Zeit für einen neuen Roman? Den dieses hochaktuellen Kampfes um die Demokratie in den Vereinigten Staaten vielleicht?

Titelbild

Don Winslow: City in Ruins.
Harper Collins, Hamburg 2024.
368 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783365005668

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