Kafka est statt kafkaesk
„Kafkas Reise durch die bucklige Welt“, eine Hommage von Bernhard Setzwein
Von Jan Wilhelmy
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAnlässlich seines 100-jährigen Todestages wird Franz Kafka in Bernhard Setzweins Roman Kafkas Reise durch die bucklige Welt zum Leben erweckt. Diese literarische Figur namens Kafka hat 1924 ihren Tod vorgetäuscht, um ein zweites Leben beginnen zu können. Fernab von Prag lebt Kafka unerkannt im südtiroler Meran, wo er es sich gemütlich gemacht hat. Dort arbeitet er als Billeteur in einem kleinen Kino. Mit dem Schreiben hat er längst aufgehört – bis er auf den polnischen Schriftsteller Marek Hłasko trifft. Gemeinsam stehlen sie einen Fiat Ollearo, um durch die oberitalienische Berglandschaft zu reisen. Das ungleiche Paar fährt unter anderem nach Graz, Wien und München, wo die unterschiedlichsten Begegnungen und Erlebnisse Erinnerungen an Kafkas früheres Leben auslösen. Thematisiert werden gescheiterte Liebesbeziehungen, wie beispielsweise die mit Felice Bauer oder Milena Jesenska, Kafkas Familie, die freundschaftlichen Beziehungen zu Max Brod, Felix Weltsch und Oskar Baum sowie das Schreiben an sich. Kafka sammelt auf seiner Reise neue Erfahrungen und bricht dabei teils mit bisherigen Lebensprinzipien.
Kafkas Reise durch die bucklige Welt ist voller Anspielungen auf Kafkas literarisches Schaffen. Unter anderem trifft Kafka auf „seine“ Figuren, die ihn mit dem fragmentarischen Charakter seiner Werke konfrontieren und nun wissen wollen, wie es mit ihnen hätte weitergehen sollen. Darüber hinaus lebt die Geschichte von der gemeinsamen Reise des ungleichen Paares, das sich in vielerlei Hinsicht voneinander unterscheidet. So liegt beispielsweise ein Altersunterschied von ca. 45 bis 50 Jahren zwischen den beiden, Marek hat einen Führerschein, und ist ein „Draufgänger“.
Besonders gelungen ist die sorgfältige Recherche biografischer Daten, brieflicher Korrespondenzen, aber auch Essgewohnheiten etc. Der sorgfältige Einbau dieser Informationen ermöglicht erst das kontrafaktische Erzählen der fiktiven Lebensgeschichte.
Kafka-Freunde werden sich sicherlich an Setzweins neuem Roman erfreuen. Für andere kann die eher schmale Handlung langatmig wirken, da es vor allem die Dialoge zwischen den Figuren sind, die den Roman ausmachen:
Ist es dir auch immer so vorgekommen, fragte der Doktor, als ob eine Weltkarte auf dem Boden ausgerollt wäre und der Vater läge darüber und decke alle Weltteile ab? Kein einziger Flecken, der frei bleibt und wohin man sich retten kann.
So lautet beispielsweise eine Antwort Kafkas auf das Schicksal des Leidensgenossen Gsellmann, der sich dem Einfluss des Vaters nicht entziehen konnte. Der Erzähler schildert distanziert die Geschichte Kafkas, indem aus der Perspektive eines zweiten Lebens das erste bzw. vorherige reflektiert wird. Innere Konflikte wie sie der historische Kafka mit seinem Vater erlebt haben muss, werden veranschaulicht. Darüber hinaus lädt der Roman, der insgesamt als „gelungen“ bezeichnet werden kann, durchaus zum Schmunzeln ein – wenn etwa der Vegetarier Kafka eine Gaststube betritt, eine Schüssel Nüsse bestellt und dabei bloß auf irritierte Blicke der übrigen Gäste und des Wirtes trifft.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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