Wie wir von der Zukunft berichten
Stefan Selke zeigt in seinem Buch „Technik als Trost. Verheißungen künstlicher Intelligenz“ anhand zahlreicher Narrative, wie Menschen sich auf die Zukunft einstellen
Von Sebastian Meißner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBedrohung oder Verheißung? Die Diskussionen über die Folgen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) im menschlichen Alltag enden meist bei einem der beiden gegensätzlichen Begriffe. Während die einen die Vorzüge des Einsatzes im unbemannten Personentransport, der Medizin oder der lückenlosen Sicherheitsüberwachung betonen, fürchten die anderen den Wegfall ihrer Arbeitsplätze, die Bedrohung der Demokratie durch persuasive Desinformation und letztlich nichts weniger als die Infragestellung der Schöpfungskronenwürde des Menschen. Bei einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ciney aus dem vergangenen Jahr gaben 40 Prozent der Deutschen an, Angst vor negativen Folgen von KI zu haben.
Hoffnungsträger für kollektives Wohlbefinden
Prof. Dr. Stefan Selke, Experte für gesellschaftlichen Wandel an der Hochschule Furtwangen, geht es nicht um die technischen Möglichkeiten von KI. Er interessiert sich mehr dafür, was die Aussicht auf eine Welt mit KI für Menschen bedeutet. Deshalb untersucht, sammelt und sortiert er in Technik als Trost. Verheißungen künstlicher Intelligenz die menschlichen Erwartungen und Visionen hinsichtlich KI, wie sie in Büchern, Kunstwerken oder Gesprächen hinterlegt sind. Der Buchtitel fasst die hier vertretene These prägnant zusammen: Spekulative Vorstellungen über die Potenziale Künstlicher Intelligenz werden als Hoffnungsträger für kollektives Wohlbefinden betrachtet. Der Autor selbst formuliert das Thema dieses Buches im Prolog wie folgt:
Dieses Buch behandelt die gesellschaftlichen Funktionen von Verheißungen über KI im Kontext zeitgenössischer Zukunftserzählungen. Aber was erzählen verheißungsvolle Geschichten wirklich? Was lässt sich daraus über KI lernen und was über uns selbst?
Von Kafka bis Marc-Uwe Kling
In einer umfassenden Analyse vergleicht er verschiedene Zukunftsszenarien und zieht dafür auf der Grundlage sozialwissenschaftlicher und -philosophischer Überlegungen verschiedenste Quellen heran – von Fachliteratur bis Science-Fiction. Er zitiert Adorno neben Arendt, Kafka neben Kant und Marc-Uwe Kling, Frank Schätzing neben Simmel und Süssenguth. Die zentralen Fragen seiner Arbeit sind dabei: Welche Ideen, Darstellungen und Geschichten inspirieren den Wunsch, mithilfe von KI eine bessere Welt zu gestalten? Wie äußert sich der Wunsch, mittels KI von den Unwägbarkeiten des menschlichen Schicksals befreit zu werden, und wie wird er begründet? Selkes beträchtliche Quellenvielfalt ermöglicht es ihm, mehr als nur vage Antworten auf diese Fragen zu geben: Es gelingt ihm, die Vielzahl von Standpunkten zu trichtern und so die Prognosen, Erwartungen und Hoffnungen zu erfassen, die Menschen mit KI assoziieren– etwa die Wiederverzauberung durch Technologie, das Staunen über das vom Menschen geschaffene, die Aussicht auf ein ewiges und gesundes Leben, die Verheißung totaler Wesensgleichheit, die Aussicht auf einsamkeitslose Gesellschaften, die Entwicklung von Superintelligenzen.
Vier Narrative als Ordnungshilfe
Den Weg dorthin bahnt sich Selke in kleinen, auch für Uneingeweihte gut nachvollziehbaren Gedankenschritten. Die Kernannahme lautet, dass es bei KI weniger um die technischen Funktionen als um die sozial-kulturellen Bedeutungszuschreibungen gehe, die man vorwiegend im Kontext von Zukunftsnarrativen verstehen könne. Oder anders ausgedrückt: Die Haltung, die Menschen der Entwicklung von KI gegenüber einnehmen, wird die Gesellschaft nachhaltiger prägen als die eigentliche Entwicklung selbst. Selke hat daher viel Material gesichtet, um die Erzählungen über KI zu analysieren und festgestellt, dass sehr verschieden von KI erzählt wird. Im ersten Teil des Buches dekliniert Selke zunächst vier prototypische Zukunftsnarrative mit KI-Bezug durch. Diese lauten „Anpassungs-Narrative“. Das sind operativ-funktionale KI-Verheißungen, die zum Beispiel die menschliche Effizienzsehnsucht oder den Futurisierungszwang bedienen. Daneben existieren „Quest-Narrative“, womit kognitiv-epistemologische Verheißungen wie z.B. Subjektsimulationen oder Erlösungsfantasien gemeint sind, und „Aufbruchs-Narrative“, das heißt zivilisatorisch-transformative KI-Verheißungen wie Innovationsanspruch oder kybernetisches Regieren. Und schließlich werden „Unheil-Narrative“ genannt, die auf Hiobsbotschaften und Grenzverschiebungen wie etwa Kontrollverlust, Entfremdung oder Totalüberwachung zielen. Diese Perspektivkategorien bzw. Weltzugänge nutzt Selke, um die Bandbreite der Deutungen bevorstehender Veränderungen besser zu sortieren und zu begreifen. Selke leitet aus diesen Kategorien verschiedene Funktionen von KI für die Menschheit ab. Ihm zufolge werde KI in unterschiedlichen Abstufungen als Werkzeug, Assistent oder sozialer Partner eingesetzt. Diese Abstufungen bilden gewissermaßen ab, wie bereit Menschen für das Leben mit KI sind und wie sehr sie Kontrollverlust befürchten.
Grundsätzlich, so der Autor, gelte, dass verheißungsvolle Zukunftserzählungen sich dadurch auszeichnen, dass sie keine funktionalen Bedienungsanleitungen sind, sondern spekulative Bedeutungszuschreibungen. Seine ganzheitliche Betrachtung des komplexen Phänomens KI verdeutlicht: Hoffnungsvolle Vorstellungen spielen eine bedeutende Rolle für die Gestaltung der zukünftigen technologischen Gesellschaft. Diese innovative Perspektive spricht nicht nur Wissenschaftler:innen an, sondern letztlich alle, die sich für KI und transformative Innovationen interessieren und den Diskurs erweitern möchten.
Selke als Mutmacher
Eine der Hauptstärken dieses Buches ist der stets neugierige Blick des Autors für die verschiedenen Narrative und seine enorme Erzähllust. Der Soziologe und Gesellschaftswissenschaftler Selke interessiert sich für die Rollenzuschreibungen, Erwartungen, Hoffnungen und Ängste, oder anders: für den Menschen und seine Lage. Und so lernt man dabei viel über KI, noch mehr aber über den Menschen. Selkes furchtlose Annäherung an diese neue Ära der Menschheit ist ein Mutmacher: Wird schon werden.
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