Zweifacher Untergang
„Deine Margot“, der in Finnland gefeierte Debütroman von Meri Valkama, wirkt inhaltlich zunächst vielversprechend, erfüllt aber mangels psychologischen Tiefgangs nicht die in ihn gesetzten Erwartungen
Von Monika Grosche
Liebesdrama und Aufarbeitung der Wendezeit in der DDR, das sind die beiden großen Themenfelder, denen sich die Autorin – die selbst in ihrer Kindheit in Ostberlin gelebt hat – in ihrem Roman widmet. Auf zwei Zeitebenen führt sie uns von Finnland weg nach Ostberlin, wo ihre Protagonistin erkundet, welche Ursachen der Zusammenbruch ihrer Familie hatte, der parallel zu dem rasanten Ende der DDR stattfand.
Finnland, im Jahr 2011: Als ihr Vater plötzlich stirbt, findet die Journalistin Vilja Siltanen in dessen Nachlass eine geheimnisvolle Dose mit Briefen. Unterzeichnet sind diese mit „Margot“, der Adressat ist ein gewisser „Erich“. Beim Lesen wird ihr schnell klar, dass es sich um die Korrespondenz aus einer geheimen Liebesbeziehung des Vaters aus seiner Zeit als Auslandskorrespondent in der DDR handelt. Gefesselt liest sie Margots Briefe, die von tiefen Emotionen und großer Sehnsucht geprägt sind. Umso mehr wird sie davon in den Bann gezogen, als darin ein Kind namens „Kastanie“ erwähnt wird, das eigentlich nur Vilja selbst sein kann, auch wenn sie keinerlei Erinnerung an diese Zeit und die Frau hat. Ihre Mutter Rosa, seit einigen Jahren vom Vater getrennt, schweigt zu dem Thema und auch Viljas Bruder Matias ist dafür, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Doch Vilja möchte mehr über die gescheiterte Liebesgeschichte erfahren und herausfinden wer diese Frau war, zu der sie als Kind anscheinend ein engeres Verhältnis als zu ihrer eigenen Mutter hatte. So geht sie auf eine Spurensuche, die in Ostberlin auf der Fischerinsel beginnt, später jedoch über die Ukraine nach Usedom führt.
Eine zweite Zeitebene führt ins Jahr 1983, als die Familie Siltanen von Helsinki nach Ostberlin zieht. Vater Markus arbeitet als Korrespondent für eine finnische sozialistische Zeitung und ist ideologisch ganz auf der Linie der DDR. Mutter Rosa erhofft sich dort Zeit für ihre eigene Karriere als Autorin, denn Vilja, 2, und Matias, 4, bekommen sogleich einen Platz im nahegelegenen Kindertagheim. In der Wohnung im Plattenbau mit Blick auf den Fernsehturm erscheint das neue Leben im besten Licht, zumal sie ja auch noch die Freiheit haben, jederzeit in West-Berlin einkaufen zu können. Dennoch will sich kein Familienglück einstellen, denn Markus lässt Rosa mit der Sorge um die Kinder ziemlich allein. Während Matias zunehmend gesundheitlich mit der Luftverschmutzung zu kämpfen hat und viel Betreuung braucht, geht Markus in der Arbeit auf, bei der er begeisterte Berichte über den DDR-Alltag verfasst. So entfremdet sich das Ehepaar zunehmend voneinander und schließlich verliebt sich Markus in Luise, Viljas Betreuerin aus dem Kindergarten. Auch sie ist verheiratet und hat sich emotional von ihrem Mann entfernt. Aus der Affäre wird viel mehr, als Rosa mit Matias wegen dessen Gesundheit den Sommer in Finnland verbringt. Solange sie weg sind, leben Markus, Luise und Vilja quasi in einer Familie auf Zeit. Danach ist für Rosa zwar spürbar, dass sich das Familiengefüge verändert hat, trotzdem dauert es fast vier Jahre, bis sie das Geheimnis entdeckt. Sie erzwingt die Rückkehr nach Finnland, wo die Familie aber endgültig zerbricht. So holt Rosa, während Luise weiter darauf wartet, dass Markus zu ihr steht, kurz vor der Wende zu einem schwerwiegenden Racheakt aus…
Was in der Zusammenfassung durchaus interessant klingt, ist aber nur phasenweise auf den gut 540 Seiten des Romans spannend umgesetzt. Dieser krankt leider etwas an seiner stilistischen Unausgewogenheit. Einige Passagen, wie etwa Naturschilderungen oder Beschreibungen des Äußeren von Figuren sind sehr langatmig gestaltet, während Emotionen und psychologische Hintergründe bei den Personen ausgesprochen knapp behandelt werden. Hier wurde anscheinend mehr Wert auf die Ausgestaltung des zeitgeschichtlichen und lokalen Kolorits gelegt als darauf, die Charakterzüge der Figuren deutlicher zu entwickeln.
Aus diesem Grund fällt es beim Lesen schwer, mit der Protagonistin Vilja ‚warmzuwerden‘, auf merkwürdige Weise wirkt diese distanziert und unsicher. Ebenso ist die Figur des Vaters recht farblos und es bleibt unklar, warum er stets alles einfach geschehen lässt und unfähig ist, Entscheidungen über sein Leben zu treffen. Und auch die Mutter, bei der wir noch die meisten Emotionen erleben, bleibt seltsam blutleer, sodass man schwer nachvollziehen kann, warum sie nach dem Tod des Exmannes nicht wenigstens versucht, der Tochter ihre Sicht der Dinge zu vermitteln.
Positiv hervorzuheben ist allerdings die wohlkomponierte Struktur des Romans, bei der wir das Geschehen der beiden Zeitebenen aus wechselnden Perspektiven erleben. So berichtet Vilja aus den Jahren 2011/2012, während wir aus Sicht des Vaters und der Mutter die Jahre in Ostberlin miterleben. Förderlich für den Spannungsbogen ist auch, dass die Lesenden, ebenso wie Vilja, nach und nach erst erfahren, was damals geschehen ist und so neugierig bleiben, was der Grund für das Scheitern der Liebe von „Erich“ und „Margot“ war.
Mit seinem Ansatz zugleich als Aufarbeitungsroman der Wendezeit zu fungieren, kann der Titel vermutlich beim deutschsprachigen Publikum wohl eher nicht punkten. Hier ist die Konkurrenz an Titeln deutscher Autor*innen einfach zu übermächtig, da es bereits zahlreiche extrem gelungene Werke zum Thema gibt, so etwa Ich schlage vor, dass wir uns küssen, Helden wie wir, Herr Lehmann oder Kruso. Diese widmeten sich der Wende aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und lieferten tiefgründige und individuelle Einblicke, deren Authentizität ein finnischer Roman aus den 2020er Jahren trotz mehrjähriger Recherchearbeit nicht wirklich erreichen kann. So bleibt Deine Margot bei allem vorhandenen erzählerischen Potenzial doch eher ein angenehmer ‚Schmöker‘ für ein verregnetes Wochenende oder den Urlaub.
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