Die 48. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt 2024

Oder: Der Bachmannpreis und der Streit der Lesarten

Von Bozena BaduraRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bozena Badura

Schon in wenigen Tagen richten viele Literaturaffine erneut ihren Blick auf Klagenfurt. Denn dort findet seit fast einem halben Jahrhundert kurz vor den Sommerferien das Literaturspektakel des Jahres statt. Vierzehn ausgewählte Schreibende, die sich bei den jeweiligen Jurymitgliedern mit einem Text um eine Einladung beworben hatten, werden nun vor der gesamten Jury ihre Texte präsentieren. Es ist ein Wettbewerb, in dem es einerseits darum geht, die Aufmerksamkeit des Publikums auf das Schaffen der Eingeladenen zu lenken. Auf der anderen Seite geht es selbstverständlich auch darum, wer den besten Text des Jahres präsentiert.

Aber: Welche Kriterien muss der ‚beste‘ Text erfüllen? Plot? Handlung? Figurenentwicklung? Poetische Sprache? Was macht Texte besonders? Was macht sie herausragend? Wie objektiv lässt sich über einen Text urteilen und welche Rolle spielen subjektive Vorlieben? Basiert nicht jeder Versuch einer objektiven Einschätzung letztendlich auf einer sehr subjektiven Lesart des Textes? Sind manche Argumente nicht doch nur so stark wie die Überzeugungskraft und Autorität derjenigen Person, die sie äußert? Welche Rolle spielt ein performativer Vortrag vor der Jury bei der Rezeption und der Beurteilung des Textes?

Über diese grundlegenden und noch viele weitere Fragen wird während der Jurydiskussion allerdings nicht gesprochen. Es werden keine leitenden Prinzipien der Literatur(-kritik) ausgehandelt, keine gemeinsamen Kriterien für den besten Text gesucht. Schon daran ist abzulesen, dass kein gemeinsamer Nenner, keine Konsenssuche, sondern vielmehr ein Streit um die Lesarten im Fokus des Wettbewerbs steht.

Zwar stehen die Autor*innen mit ihren Texten im Vordergrund. Doch erst die öffentliche Jurydiskussion über diese Texte – die in der Vergangenheit nicht selten in einem persönlichen Abschlagaustausch ausartete – beschert dem Bachmannpreis seinen Erfolg.

Nachdem Insa Wilke die Jury verlassen hat, wurde der Vorsitz Klaus Kastberger übertragen. Neu in der Jury ist die in Hamburg lebende freie Dramatikerin, Literaturkritikerin und Moderatorin Laura de Weck. Es ist abzuwarten, wie diese Veränderungen die Gruppendynamik unter den Jurorinnen und Juroren beeinflussen werden. Die Karten werden neu gemischt. Es entstehen neue Machtverhältnisse.

Der Jury gehören 2024 an:

Klaus Kastberger, Mara Delius, Laura de Weck, Mithu Sanyal, Brigitte Schwens-Harrant, Thomas Strässle und Philipp Tingler.

Auch ein Blick auf die eingeladenen Schreibenden lohnt sich. Es wurden acht Frauen, fünf Männer und eine nicht-binäre Person eingeladen. Aus Österreich wurden drei Schreibende eingeladen, alle wohnhaft in Wien. Die Schweiz wird ebenfalls durch drei literarische Stimmen repräsentiert. Aus Deutschland reisen acht Autor*innen an. Eine Überraschung: Nur drei davon wohnen in Berlin. Viele der diesjährigen Wettbewerbsteilnehmenden kommen aus dem Bereich des Spoken Word oder der performativen Kunst. Eine überwiegende Mehrheit der in Klagenfurt vorlesenden Autor*innen hat einen Migrationshintergrund. Außerdem verspricht die Mischung aus bereits bekannten und weniger bekannten Stimmen eine spannende Themenbreite. Zu erwarten sind: Humor, Absurd, Coming-of-Age, Migration, Feminismus, Identität und vieles mehr.

An dem Ingeborg-Bachmann-Preis 2024 nehmen teil:

Kaśka Bryla, Semi Eschmamp, Ulrike Haidacher, Jurczok, Christine Koschmieder, Miedya Mahmod, Sarah Elena Müller, Denis Pfabe, Johanna Sebauer, Tijan Sila, Tamara Štajner, Sophie Stein, Henrik Szanto und Olivia Wenzel.

Zwar könnte der Wettbewerb weder ohne die eingeladenen Autor*innen noch ohne die Jury funktionieren, doch erst die dritte Komponente des Wettbewerbs – das stumme Publikum (Mit einer Ausnahme im Jahre 2023, wo sich das Publikum aufgrund divergierender Meinungen in die Diskussion der Jury einmischte) – schließt den Kreis, indem es versucht, im Ganzen den Sinn und die Bedeutung zu finden.

Lasst die Spiele beginnen!

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen