Der berühmteste deutsche Dichter des 18. Jahrhunderts vor Goethe
Einige Neuerscheinungen würdigen den 300. Geburtstag von Friedrich Gottlieb Klopstock
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? Nein. Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein.“ Das berühmte Zitat (1753) von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) über seinen Kollegen Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) hat leider heute noch seine Gültigkeit. Das verrät ein Blick auf die Klopstock-Publikationen der letzten Jahrzehnte, wo mehr oder weniger nur eine Reclam-Studienausgabe von Klopstocks Messias erwähnenswert ist. Obwohl jede historische Darstellung der neueren deutschen Literatur in Klopstock und seinen Dichtungen den Beginn einer neuen Epoche in der Literaturgeschichte sieht, ist der einst wirkungsmächtigste Dichter seiner Zeit heute nur noch wenigen bekannt.
Zum diesjährigen 300. Geburtstag des Dichters (Wer wird nicht einen Klopstock loben) sind jedoch einige neue Titel erschienen. So brachte der J.B. Metzler Verlag bereits im Vorjahr mit dem Klopstock-Handbuch (Hg. Michael Auer) das erste umfassende Kompendium zu Klopstock heraus. Pünktlich zum Jubiläum beleuchten nun drei Neuerscheinungen sein Leben und Werk.
Zunächst ein kurzer biografischer Abriss. Friedrich Gottlieb Klopstock wurde am 2. Juli 1724 als ältestes von 17 Kindern des Advokaten Gottlieb Heinrich Klopstock (1698-1756) und seiner Frau Anna Maria (1703-1773) in Quedlinburg geboren. Zunächst besuchte der Junge das Quedlinburger Gymnasium, bis er 1739 eine Freistelle in Schulpforta erhielt, wo er an der damaligen Fürstenschule eine gründliche humanistische Bildung genoss. Ansonsten ist über die ersten beiden Lebensjahrzehnte wenig bekannt. So kündigte er bereits in seiner lateinischen Abschlussrede (Valediktion) von Schulpforta 1745 an, dass er gewillt sei, ein repräsentatives deutsches Nationalepos zu schaffen.
Ab 1745 nahm Klopstock ein Theologiestudium auf, zunächst in Jena und seit dem Sommer 1746 in Leipzig. Bereits während des Studiums in Jena begann er mit der Niederschrift seines Messias, dessen erste drei Gesänge in Prosa (später in Hexameter umgearbeitet) 1748 anonym in der Zeitschrift Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes (Bremer Beiträge) mit dem Untertitel Ein Heldengedicht abgedruckt wurden. An dem religiösen Epos arbeitete Klopstock bis 1773 und veröffentlichte fortlaufend weitere Gesänge. In 20 Gesängen und rund 20.000 Hexametern schilderte er darin die Leidensgeschichte Christi vom Einzug in Jerusalem über die Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung bis zur Himmelfahrt. Als Vorbild diente ihm neben Homer und Vergil das epische Gedicht Paradise Lost (1667, dt. Das verlorene Paradies) des englischen Dichters John Milton (1608-1674).
Nach dem Studium ging Klopstock 1748 ins thüringische Langensalza, den Geburtsort seiner Mutter, und unterrichtete hier bis 1750 als Hauslehrer. Die unerwiderte Liebe zu seiner Cousine Maria Sophia Schmidt fand ihren Niederschlag in den Fanny Oden (1748), die heute zu seinen bekanntesten Oden zählen. Durch seinen Messias war Klopstock in literarischen Kreisen bekannt geworden; so entstanden Kontakte zu Ludwig Gleim (1719-1803) und Friedrich von Hagedorn (1708-1754). 1750 war er Gast bei dem Schweizer Gelehrten Johann Jakob Bodmer (1698-1783) in Zürich. Doch der Gegensatz zwischen dem lebensfrohen Klopstock und dem eher asketischen Bodmer führte dazu, dass Klopstock bereits nach acht Monaten eine Einladung nach Kopenhagen annahm. Am Hof des dänischen Königs Friedrich V. von Dänemark (1723-1766) konnte er, materiell abgesichert mit einer jährlichen Pension von 400 Talern, an seinem Messias weiterarbeiten.
1754 heiratete Klopstock die Kaufmannstochter Margareta (Meta) Moller (1728-1758), die er im April 1751 auf seiner Reise nach Dänemark bei einem Zwischenaufenthalt in Hamburg kennengelernt hatte. Die „Cidli“ seiner Oden starb aber bereits vier Jahre später bei der Geburt ihres ersten Kindes. Nach dem Tode seiner Frau suchte Klopstock zunächst Trost bei Verwandten und Freunden. Bis zum Sommer 1764 verweilte er bald in Quedlinburg, bald in Halberstadt und danach in Braunschweig, ehe er wieder nach Kopenhagen übersiedelte, wo er bis 1770 blieb.
Als jedoch sein Freund und Gönner, der Minister Graf Johann Hartwig Ernst von Bernstorff (1712-1772), der vom dänischen König seiner Ämter enthoben wurde, nach Hamburg ging, folgte ihm Klopstock. Abgesehen von einem Intermezzo 1774/75 am badischen Hof in Karlsruhe blieb die Hansestadt sein Wohnsitz bis zu seinem Tode. Hier vollendete er schließlich seinen Messias und verfasste (wie schon in Kopenhagen) in den folgenden Jahren einige Dramen, die in drei Ausgaben veröffentlicht wurden. Außerdem wurde Klopstock schnell zum geistigen Mittelpunkt eines großen Freundeskreises, dem vor allem das gehobene Hamburger Bürgertum angehörte. 1791 heiratete er ein zweites Mal: die verwitwete Kaufmanns- und Verlegertochter Johanna Elisabeth von Winthem (1747-1821), eine Nichte seiner ersten Ehefrau. In seinen letzten Lebensjahren wurde sein Haus zum Ziel vieler Besucher aus ganz Europa. Friedrich Gottlieb Klopstock starb am 14. März 1803 in Hamburg. Die Beisetzung auf dem Christians-Friedhof in Ottensen neben seiner ersten Ehefrau Meta fand am 22. März statt und gestaltete sich zu einer Feier, wie sie einem deutschen Dichter nie wieder bereitet worden ist. Dem Sarg folgten Tausende Trauergäste und die im Hafen liegenden Schiffe flaggten halbmast.
Die Klopstock-Biografie des Literaturwissenschaftlers Klaus Hurlebusch erschien bereits 2003; aber im Hinblick auf den 300. Geburtstag Klopstocks folgte nun eine Nachauflage, textlich nur durch kleinere Ergänzungen erweitert. Die Biografie ist eine erste umfassende Darstellung, die auf der langjährigen Forschung in der Arbeitsstelle der „Hamburger Klopstock-Ausgabe“ (HKA) basiert, deren Mitherausgeber Hurlebusch ist. Momentan umfasst die „Hamburger Klopstock-Ausgabe“ dreiundvierzig Bände; bis zu ihrem Abschluss sollen noch zwei weitere Bände folgen.
Zunächst stellt Hurlebusch die Frage „Wer kennt ihn heute“ und beleuchtet die Gründe des Vergessenwerdens, das bereits nach Klopstocks Tod einsetzte. Mit seiner Biografie will er die „Lücke in der literaturhistorischen Erinnerung an das 18. Jahrhundert“ nicht noch größer werden lassen. Es folgen sechzehn Kapitel, die Klopstocks Lebensstationen nachzeichnen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Hamburger Jahren, wo Klopstock „einen neuen Auftrieb seines Dichter-Ansehens“ erlebte. Hier war er nicht nur Mittelpunkt mehrerer literarischer Zirkel, sondern wurde nach dem Wegfall der dänischen Pension zum Selbstverlagsunternehmer. Zudem werden einige Hamburger Bildungsbürger und prominente Klopstock-Besucher wie Horatio Lord Nelson (1758-1805), Emma Lady Hamilton (1765?-1815) oder die beiden englischen Dichter Samuel Taylor Coleridge (1772-1834) und William Wordsworth (1770-1850) näher vorgestellt. Abschließend widmet sich Hurlebusch noch Klopstocks Haltung zur Französischen Revolution, die er zunächst in einigen Oden begeistert würdigte (1792 zum Ehrenbürger der Französischen Republik ernannt), doch von den späteren Auswüchsen der Jakobinerdiktatur war er schwer enttäuscht.
Hurlebusch ist der Spagat zwischen akademischem Anspruch und kompakter Übersicht zu Leben und Werk von Klopstock gelungen, sodass die gut lesbare Biografie sich auch an Nicht-Germanisten wendet. Außerdem punktet sie mit zahlreichen Klopstock-Zitaten und einer üppigen Illustration mit historischen Abbildungen.
Die Klopstock-Biografie des Literaturwissenschaftlers Kai Kauffmann ist die erste umfassende Gesamtdarstellung seit 1888 (Franz Muncker). Sie beschreibt die „Stationen seines Lebens als Orte der deutsch-europäischen Sozial-, Literatur- und Kulturgeschichte“. Neben den biografischen Fakten beleuchtet Kauffmann immer wieder Klopstocks Verhältnis zu seinen Zeitgenossen, zu Dichtern und Künstlern, aber auch zu Politikern und Fürsten. Sein besonderes Augenmerk richtet er dabei auf die oft unterschätzten Protagonistinnen, auf Klopstocks Mutter Anna Maria Klopstock (1703-1773), die eine exzellente Briefschreiberin war, auf seine erste Ehefrau Meta Moller, die Klopstock immer stärker in seine Arbeit am Messias einbezog, und die zweite Ehefrau Johanna Elisabeth von Winthem, eine Sängerin der Klopstock-Oden, die die Hamburger Komponistin Luise Reichardt (1779-1826) in Musik umgesetzt hatte. Johanna und ihre Tochter aus erster Ehe wurden in Klopstocks letzten Lebensjahren auch seine treuesten Pflegerinnen.
Die anschaulich geschriebene Biografie ist in drei Hauptkapitel unterteilt, die die drei Lebensabschnitte Klopstocks repräsentieren: „Von Ort zu Ort“ (1724-1750), Kopenhagen (1751-1770) und Hamburg (1771-1803). Kauffmann führt auch in Klopstocks facettenreiches Werk ein , indem er mit zahlreichen Originalzitaten arbeitet, vor allem aus der Korrespondenz, aber auch aus Gedichten, Elegien und Oden, die noch heute ihre Leserschaft finden. Klopstocks Messias nähert er sich in verschiedenen Kapiteln an, um so die jahrzehntelange Entstehung des Werkes, die Arbeitsweise des Dichters sowie die Publikationsgeschichte eingehender darstellen zu können. Im Schlusskapitel Let’s get the rhythm! verfolgt Kaufmann dann Klopstocks Nachleben und richtet sein Augenmerk besonders auf Klopstocks Wirkungen auf die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts. Dabei werden Autoren wie Bertolt Brecht, Friedrich Georg Jünger, Johannes Bobrowski oder Peter Rühmkorf hervorgehoben.
In seinem Vorwort betont Kauffmann, dass seine Biografie „keine gelehrte Abhandlung der Literaturwissenschaft“ ist, sie richtet sich vielmehr „an ein größeres, gleichwohl gebildetes Lesepublikum“. Eine Zeittafel mit den wichtigsten Lebens- und Werkdaten und ein Personenregister erhöhen die Zugänglichkeit der Biografie, die auch mit einigen historischen Abbildungen ausgestattet ist.
Der Lüchower Schriftsteller Axel Kahrs teilt Klopstocks Wirken in seinem neuen Buch Klopstock? – Natürlich! in zwei Abschnitte ein: „ein Leben vor der Klassik“ und sein späteres Wirken in Norddeutschland, seine enge Verbindung zu Gartow, der Elbe und der Insel Stintenburg. Im „Klassik“-Kapitel beschäftigt er sich mit dem Verhältnis Klopstock-Goethe. Bereits in seinen Leiden des jungen Werther (1774) erwähnte Goethe den bereits fünfzigjährigen Oden-Dichter, dem er in seinen Erinnerungen stets einen Ehrenplatz einräumte. Auch als Klopstocks Name später hämisch zitiert und verspottet wurde („Klopfstock“), stellte er sich trotz eines Zerwürfnisses schützend vor Klopstock.
Im zweiten Teil seiner Publikation versucht Kahrs, den Reiz und die Schönheit der Texte von Klopstock zu erschließen. In seinen Oden lassen sich Ansätze eines frühen „nature writing“ finden. Für Kahrs steht Klopstock am Beginn einer „rasanten Umwälzung der Weltsicht“. Rousseaus „Zurück zur Natur“ faszinierte die Menschen des 18. Jahrhunderts. Einige dieser Oden mit neuen Empfindungen in der Natur entstanden im Schloss Gartow, wo ihn die Familie von Bernstorff des Öfteren beherbergte. Der Park des Schlosses und später die Stintenburginsel boten Klopstock vielfache Anreize zum Verfassen von Naturlyrik. Anhand von zwei Gedichten (Die frühen Gräber (1764) und Stintenburg (1767)) zeigt Kahrs, wie sie damals in aller Munde zitiert oder gesungen wurden. Die Wertschätzung dieser Gedichte setzte sich bis ins 20. Jahrhundert fort: bei Wolfgang Hildesheimer, Volker Braun, Jan Wagner, Lutz Seiler oder Kerstin Hensel.
Kahrs erschließt den Reiz und die neuen Sprachbilder einzelner Klopstock-Texte. Neben historischen Abbildungen wird dieses Vorhaben durch einige aktuelle Landschaftsaufnahmen unterstützt, die gewissermaßen eine fotografische Brücke zu der Naturlyrik schlagen.
Der 300. Geburtstag von Friedrich Gottlieb Klopstock wird mit zahlreichen Veranstaltungen, Ausstellungen, Lesungen und Vorträgen gewürdigt. Höhepunkt ist sicher der Festakt am 2. Juli 2024 in der Quedlinburger Kulturkirche St. Blasii. In der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg wird die multimediale Ausstellung „Vom Klang der Dichtung. Klopstock und die Musik“ eröffnet und einen Tag später die neue Klopstock-Biografie von Kai Kauffmann präsentiert.
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