Der etwas arrogante Außenseiter auf der Außenseite
Über Jörg Fausers erfolgreiche Selbstinszenierung
Von Philipp Jakob
Jörg Fauser würde sein heutiges Image wohl gefallen. Jahr für Jahr taucht er in den Feuilletons am Geburts- oder Todestag auf und wird als deutscher Underground-Schriftsteller und ewiger Rebell gefeiert. Dann geht sein Gesamtwerk mittlerweile auch noch in die dritte Auflage. Der Nachruhm scheint gesichert. Das Bild des authentischen Außenseiters und Rebells hält sich hartnäckig. Ein Image, das er selbst aufgebaut hat und das so gar nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt.
Ein Kämpfer für eine neue Literatur
Man kann Fauser einiges zugutehalten: Er war tatsächlich ein wichtiger Teil der deutschen Underground-Literatur der 70er Jahre. Unter anderem als Mitherausgeber der Zeitschrift Gasolin 23 (zusammen mit dem Autor Jürgen Ploog und dem Verleger und Übersetzer Carl Weissner) hat er viel für die Verbreitung der amerikanischen Literatur im deutschen Raum getan. Auch in seinen journalistischen Arbeiten hat er auf viele Autorinnen und Autoren hingewiesen, die im breiten Feuilleton damals wenig Beachtung fanden. In seinem literarischen Schreiben hat er neue Techniken und Schreibweisen wie die Montagetechnik des Cut-up ausprobiert und sich vehement gegen den „Mief“ und den erhabenen Gestus der Gruppe 47 um Heinrich Böll, Günter Grass und Martin Walser gewandt. Er sprach sich klar gegen eine Trennung von der sogenannten Höhenkamm- und einer Unterhaltungsliteratur aus. In einem Interview mit der Zeitschrift Marabo stellt er 1985 die Forderung:
Ich finde, Literatur gehört in den Supermarkt, zwischen das Getränkeregal und die Kasse. Erst soll man Möhren kaufen, die Tiefkühlkost, die Butter, das Brot, und dann einen langen Blick auf das Getränkeregal werfen, an diesem Abend wohl eher einen Longdrink oder ein Fläschchen Weißbier, und wenn das geregelt ist und auch noch die Zigaretten und der Pfeifentabak eingepackt sind, dann müsste der Blick auf einen Stand fallen, auf dem einige gute Titel stehen.
Seine Literatur handelt von Menschen am Rand der Gesellschaft – sie ist direkt, hart und kompromisslos. Fauser hat damit eine Nische bespielt, die seinerzeit unbespielt war und damit der deutschen Literatur neue Räume eröffnet. Seine Vorbilder hat er nie geheim gehalten, sondern offen präsentiert und so Autoren wie William Burroughs, Charles Bukowski und Raymond Chandler einem deutschen Publikum nahegebracht. Ihr Schreiben hat er imitiert und in die BRD-Lebenswelt transponiert.
Rohstoff – ein Künstlerroman
Heute steht besonders der Roman Rohstoff (1984) im Zentrum der wissenschaftlichen und journalistischen Betrachtungen und angesichts der Qualität von Fausers Gesamtwerk zu Recht. In dem Roman werden das Leben und die Entwicklung der Erzähler-Figur Harry Gelb (eine Art Alter-Ego Figur von Fauser) zum Schriftsteller geschildert – eine Art Bildungsroman, der in verschiedene Subkulturen eintaucht. Angefangen bei der Heroin-Szene in Istanbuls Stadtteil Tophane über die Kommunen- und Hausbesetzer-Szene in Frankfurt und Berlin hin zu den Kneipen und Stehaussschänken in Frankfurt-Bornheim, ist Harry Gelb stets mittendrin, schafft es aber nie wirklich Anschluss zu finden. Er gibt sich als nüchtern-lakonischer Beobachter des Zeitgeschehens. Der Roman zeichnet ein spannendes Bild der BRD der 1970er Jahre und ist als zeitgeschichtliche Beschreibung absolut lesenswert. Dazu kommen immer wieder Sätze, wie der folgende, mit denen Fauser die Lesenden auf seine für ihn typisch-trockene Weise in die Zwischenwelten mitnimmt – in diesem Fall in die Kneipe „Das Schmale Handtuch“ in Bornheim:
Das schmale Handtuch war das Asyl, das manche Leute mitten in der Heimat brauchen, der Freihafen, wo sie mit ihren Träumen handeln konnten, ein Zuhause, für das sie keinen Bausparvertrag brauchten […], sondern nur ihren Durst und das Gefühl, dass ihr Nachbar, wer immer er sein und wie er auch aussehen mochte, wenn er genug Durst mitbrachte, einen Abend lang auch ihr Freund sein konnte.
Gerade die Hauptfigur ist ein spannender und ambivalenter Charakter. Harry Gelb bewegt sich in eher freigeistigen Milieus und gibt sich seiner Drogen- und Alkoholsucht hin. Gleichzeitig ist er aber stets getrieben von dem Leitgedanken, dass er „etwas aus seinem Leben machen muss“. Gelb beschreibt die eigene Ambivalenz so: „Ich hatte einen Hang zum Gewöhnlichen […]: LSD und Burroughs und Stamboul Blues, und dann aber zwei kleine Helle und die Ergebnisse der Landtagswahl in Baden-Württemberg.“
Es ist der Hang zur Spießigkeit und zu einem geregelten Leben, der unvereinbar scheint mit dem Drang nach Rausch und Schreiben, der die Figur so interessant macht. Ein modernes „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ (Goethe, Faust 1) also. Diese scheinbare Unvereinbarkeit führt auch dazu, dass die Figur ständig und überall scheitert. Gelb findet weder Anerkennung für seine Literatur noch kann er sich in einem bürgerlichen Beruf halten. Sein extremer Drang Schriftsteller zu werden, zeichnet ihn aus. Dabei lässt er sich von seinen zahlreichen Niederlagen jedoch nicht beirren, sondern für ihn heißt es stets nach dem Hinfallen, aufzustehen und weiterzumachen.
Was Harry Gelb erlebt, hat Fauser auch erlebt. Der Roman ist semi-autobiographisch. Man kann Rohstoff wie einen Schlüsselroman lesen. Wegbegleiter Fausers wie Carl Weissner und Jürgen Ploog werden im Roman durch die Figuren Lou Schneider und Anatol Stern verkörpert. Die Stationen von Gelb hat auch Fauser durchlaufen. Auch er kämpfte mit der Heroin-Sucht, verkehrte in den Sphären und Milieus, übte die zahlreichen Nebenjobs (unter anderem. als Nachtwächter) aus und war Teil der Underground-Literaturszene. Das gibt dem Roman wie auch Fauser das Sigel der Authentizität.
Fauser wird zum Vorbild
Die Ambivalenz, der ungebremste Drang Schriftsteller zu werden, die Ablehnung einer deutschen Hochkultur und die Tatsache, dass Fauser vieles, was er schreibt, eben auch am eigenen Leib erfahren hat, sind Gründe weswegen Fauser besonders durch Rohstoff zum Vorbild vieler (männlicher) Schriftsteller der deutschen Popliteratur wurde. Dazu kommt noch, dass er immer wieder Songtext- und Werbezitate in seine Texte einbaute. Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Clemens Meyer oder Helmut Krausser rechnen Fauser zu ihren Idolen und drücken ihre teils schon peinliche Huldigung in Vor- und Nachworten seiner Werkausgaben aus. In einem Nachwort zu Rohstoff schreibt Stuckrad-Barre:
Fausers einsame Helden faszinieren mich, ja, so stellte ich es mir vor, erwachsen zu sein: immer unterwegs, hier was schreiben, dort abstürzen, auf alles mögliche reinfallen, eine faszinierende Halbwelt, die er da skizzierte; all die Gescheiterten und zwischendrin die volle Wahrheit. Als junger Mensch, Mann im speziellen, ist man höchst anfällig für dieses Modell[.]
Fauser wird geschätzt für die Darstellung spannender Lebensgeschichten, die sich mit seiner Biographie decken und daher für die Pop-Schriftsteller die „volle Wahrheit“ transportieren. Leben und Erfahrungen werden zu Literatur – einfach und direkt.
Fauser ist auch hier der auf seine Art coole Underground-Schriftsteller, der sich mit seinem wilden Leben seinen Nachruhm gesichert hat. Es ist eben besonders der Autor, der hier im Mittelpunkt steht und selten sein tatsächliches Werk. Figur und Autor werden stets in eins gesetzt.
Bei Helmut Krausser geht der Personenkult so weit, dass er seinem Vorwort zu Fausers neu aufgelegten Erzählband Alles wird gut gleich den Titel „Das Buch Jörg“ gibt und darin berichtet, wie er auf einer Lesung sich nicht traut Fauser anzusprechen und wie er sich dessen Hauptfigur Johnny Tristano (auch ein Alter-Ego Fausers), aus der titelgebenden Erzählung zum Vorbild nahm: „Johnny Tristano war mein Held, ich wurde zu Johnny Tristano junior oder versuchte es wenigstens.“
Die Erzählung schildert einen 24-stündigen Sauf-Marathon durch München, in der sich die Hauptfigur als harten Typen inszeniert, gepaart mit einer Prise Verletzlichkeit – ein eher zweifelhaftes Vorbild.
Fauser selbst, der 1987 unter tragischen Umständen verstarb, würde sich heute wahrscheinlich von den deutschen Popliteraten distanzieren und das aus zwei Gründen. Erstens würden ihm die Erfahrungen, die diese Schriftsteller gesammelt haben, nicht zur Literatur reichen. Fauser selbst hat sich immer Vorbilder genommen, bei denen er sich auch zunächst mehr an deren Leben und nicht an ihrem Schreiben orientiert hat. Seine Vorbilder sind Autoren wie William Burroughs, Charles Bukowski, Hans Fallada und Jürgen Roth, die (besonders durch ihre Alkohol- und Drogensucht) das Leben von unten gesehen haben und die sich an gesellschaftlichen Rändern bewegten. In einem Fernseh-Interview in der Sendung Autor-Scooter kritisiert er 1984 die damalige Gegenwartsliteratur:
Wenn sie wenigstens was erlebt hätten, dann fände ich es ja toll. Meistens haben sie aber gar nichts erlebt, sondern nur die kleine Liebesgeschichte und den Kakadu in der Wohnküche, und der Mann ist mal weggelaufen, oder man kriegt keinen Job als Lehrer mehr. Das ist ein bisschen wenig, wenn ich das mit anderen Leuten vergleiche, die härtere Sachen geschrieben haben. Eine Pose, die sie literarisch aufmotzen wollen, wo aber wenig da ist.
Denkt man nun an prototypische Romane der Popliteratur findet sich dieses „Aufmotzen“ genau dort. In Christian Krachts Faserland (1995) etwa besteht die Handlung daraus, dass die Hauptfigur als moderner Dandy etwas umherreist und desinteressiert Drogen auf High-Society-Partys nimmt. In Stuckrad-Barres Roman Soloalbum (1998) besteht die Handlung darin, dass sich der Ich-Erzähler lächerlich macht, weil er die Trennung von der Freundin nicht überwinden kann. All das würde Fauser als Geschichte nicht ausreichen.
Der zweite Grund für Fausers Distanzierung wäre, dass ein Teil von Fausers Selbst-Inszenierung darin besteht sich als Außenseiter zu stilisieren und er sich daher nicht als Teil einer Gemeinschaft von Autoren sehen kann.
Außenseitertum und Wirklichkeit
[D]enn das Harsche, Unangepasste, Abseite enthält doch mehr Wahrheit und Wirklichkeit, als die Lesefrüchte, die uns süß und schmackig über die Zunge gehen, und Wahrheit und Wirklichkeit bleiben das reine Salz der Dichtung und aller Kunst.
Das schreibt Fauser 1980 in einer Kolumne im Berliner Stadtmagazin Tip. Darin wirft er der deutschen Literatur nach 1945 eine Verdrängungskunst vor. Als Gegenbeispiel stellt er den heute vergessenen sozialkritischen Dichter Helmut Maria Soik vor. Die Forderung nach Wahrheit und Wirklichkeit durchzieht besonders seine essayistischen Arbeiten. Schaut man auf Fausers Werk, muss man kritisch fragen, ob er diesen eigenen Anspruch erfüllen konnte.
Fauser wird für seine Authentizität von den Popliteraten bewundert, dabei betrieb Fauser, wie Autoren wie Stuckrad-Barre mit größeren medialen Möglichkeiten heute, eine gekonnte Inszenierung. Mit der Wirklichkeit lässt sich diese Inszenierung aber nicht vollständig in Einklang bringen.
Das zeigt sich etwa in Fausers Darstellung des Außenseitertums. In Rohstoff gibt sich Harry Gelb die Rolle des stillen Beobachters: „Ich hielt mich aus Tagungen und Grüppchenbildungen heraus, ich war der Außenseiter, der auch bei den Außenseitern auf der Außenseite saß […]“
Fausers Hauptfiguren sind stets Außenseiter, die diese Rolle zu ihrem Charakteristikum machen. In seinem Roman Das Schlangenmaul beschreibt die Figur Michael Malzan ihr Außenseitertum so: „Ich war in jedem Milieu Außenseiter, sobald du die Leute durchschaust, bist du ein Außenseiter, selbst als Koksdealer war ich Außenseiter […].“
Es ist diese Haltung des Distanzierens, weil man etwas schon durchschaut hat, die eine gewisse Arroganz ausstrahlt. Diese Haltung ist Teil von Fausers Selbstdarstellung, die sich auch in Interviews und seinen Kolumnen zeigt. Er gibt rückblickend vor, es schon immer gewusst zu haben – dass die Revolutionen scheitern und er (zumindest zu Beginn) einfach nicht Teil des Literaturbetriebs sein konnte. In Rohstoff wird diese Handlung oft durch Ironie übertüncht, doch sie scheint auch dort durch.
Jürgen Ploog schreibt zu Fausers Alter-Ego Harry Gelb, die neben Rohstoff auch in anderen Fauser-Texten auftritt:
Gelb hatte etwas von einer Schattengestalt, die durch Fausers frühe Texte geistert. Verständlich ausgedrückt, war Gelb der Mann, der Fauser gern gewesen wäre. Harry Gelb lebte ein grenzenloses Leben, das Fauser, dem Autor, vor Augen schwebte, die Projektionsgestalt seiner Sehnsüchte.
Auch Fauser hatte einen Hang zur Pose und zum literarischen Aufmotzen – das Leben als sein Rohstoff wurde von ihm für die Literatur geformt. Fausers Figuren sind wie auch seine eigene Außendarstellung harte, resiliente Typen, die gegen das System rebellieren, weil sie es besser wissen. Dass diese Rebellion aber auch aus einem Schmerz begründet ist, da man im Kulturbetrieb zwar Fuß fassen wollte, aber abgelehnt wurde, zeigt sich in seinen oft verbitterten Kolumnen. Fauser selbst gibt in einem Interview über Rohstoff zwar zu: „Hätte Gelb jemand als Funkredakteur genommen, wäre er happy gewesen. Man hat es nur nicht gemacht und darunter leidet er schon in einer gewissen Weise. Er sagt sich: Gut – Abpfiff – brauch ich nicht.“
Aus dieser trotzigen Haltung heraus, formte er aber eben auch selbst an seiner Darstellung und wirkte somit an der Mythenbildung des Rebellen mit, die bis heute in journalistischen Texten über Fauser besteht.
Kritik an Fauser
Im deutschen Feuilleton behält Fauser immer noch die Rolle des rebellischen „Underground-Helden“. Dabei hat er die Underground-Szene bereits zu Lebzeiten hinter sich gelassen. Auf den Spuren von Dashiell Hammet und Raymond Chandler transponierte er die amerikanische hard-boiled Kriminalliteratur in deutsche Kulissen und hatte damit Erfolg. Romane wie Der Schneemann (1981) und Das Schlangenmaul (1984) verkauften sich gut. Fauser hatte es Mitte der 80er Jahre zum anerkannten Schriftsteller geschafft. Im Autor-Scooter-Interview erklärte er nicht ohne Stolz: „Ich bin Geschäftsmann. Ich vertreibe Produkte, die ich herstelle, und das ist ein Geschäft. Writing is my business.“
Kritische Stimmen finden sich in journalistischen Arbeiten über Fauser nur selten. Nur in Nebensätzen liest man vereinzelt (und berechtigt) Tadel an der Romantisierung der Drogen und an Fausers Macho-Figuren.
Eine wichtige und deutliche Kritik an Fauser und seine eindimensionale Rezeption hat Simon Sahner in einem Blog-Artikel für 54Books verfasst. Er kritisiert völlig zu Recht den eindimensionalen Umgang des Feuilletons mit Fauser. Fauser werde dargestellt als Rebell und deutscher Charles Bukowski, William Burroughs oder oder Jack Kerouac. Sahner wirft den Blick in Fausers Werk und kommt zu der Feststellung: Fauser schreibt eben nicht für alle, sondern hauptsächlich für Männer. Fausers Literatur zeichne sich aus durch die performative Darstellung einer harten Männlichkeitsprosa. Zu Fausers Figuren schreibt Sahner:
Keiner dieser Männer ist auch nur annähernd cool, lässig oder auf eine möglicherweise nachahmenswerte Art authentisch männlich. Sie alle verkrampfen sich in der zwanghaften Performanz einer toxischen Männlichkeit im Angesicht der sich wandelnden Gesellschaft der siebziger Jahre.
Der Vorwurf, Fausers Werk richte sich nur an männliche Leser, lässt sich nicht ausräumen, da diese Darstellung Fausers gesamtes Werk durchzieht. Diese Tatsache ist auch schon zu Fausers Lebzeiten aufgefallen. Im Autor-Scooter-Interview fragt ihn eine Zuschauerin: „Sie reden von harten Sachen, härteren Männern, wo bleibt bei Ihnen die Frau, außer der Funktion, als hübsche Beigabe, Alkoholikerin und Prostituierte [?]“ Fausers Antwort spricht für sich: „Das hat man Hemingway auch vorgeworfen.“
Ein Blick ins Werk
Blickt man in Fausers Werk, überrascht es nicht, dass die heutige Fauser-Rezeption ihren Fokus auf Rohstoff legt. Viele seiner Texte sind heute nur noch schwer zu lesen. In den späten Kriminalromanen wird harte Lebenswelt und Machotum bis ins Extreme inszeniert. Das wirkt aus heutiger Sicht doch sehr aufgesetzt und darunter leidet auch die Spannung. Wer auf die BRD als Handlungsort verzichten kann, ist da besser bei Chandler aufgehoben. Diesen hat Fauser in seinen Kriminalromanen imitiert. Er hatte damit eine Nische gefunden, mit der er kommerziell erfolgreich sein konnte („writing is my business“), denn für die deutsche Kriminalliteratur stellt diese neue Härte damals ein Novum dar. Aus heutiger Perspektive ging Fausers Wendung zur Kriminalliteratur aber zu Lasten seiner Qualitäten.
Wendet man sich den frühen Texten wie den Erzählungen Tophane (1971) und Aqualunge (1972) zu, waren diese damals schon schwer zu rezipieren und sicher nichts für den „Supermarkt, zwischen Getränkeregal und Kasse“. Hier wanderte Fauser auf den Spuren seines Idols William Burroughs – ein Kampf für jeden, der das liest oder versucht zu verstehen, was vor sich geht. Die Texte haben keine Handlungsstruktur. Einzelne Segmente sind wild zusammengesetzt. Fauser orientierte sich damals noch stark an der Cut-Up-Technik, die von Burroughs propagiert wurde. Dabei werden geschriebene Texte mit einer Schere zerschnitten und neu zusammengesetzt, um dadurch neue Zugänge zu gewinnen. Für Fauser war das Fragmentarische ein Mittel, um die Erlebnisse des Drogenrauschs abzubilden. Ihre Zugänglichkeit erleichtert das nicht. Die Texte sind wirr, eklig, ungeschönt – sie zu lesen ist auch ohne Drogen eine Qual.
Von der Drogenszene wechselte Fauser Ende der 70er Jahre ins Trinkermilieu. Zudem schreibt er Kolumnen für verschiedene Zeitungen. Der Wechsel vom Heroin zum Alkohol geht auch einher mit dem Wechsel seines Vorbilds von Burroughs zu Charles Bukowski. Wie Bukowski schreibt Fauser Gedichte und Kurzgeschichten, die meist von einem Leben in der Gosse und dem Alkohol handeln. Das liest sich alles wie bei Bukowski mit einer Prise mehr Romantisierung des Milieus. Gepaart wird das leider (wie auch bei Bukowski) mit sehr viel Misogynie. Frauen sind bei Fauser Objekte und Bedürfnisse. Eine Persönlichkeit haben sie selten. Das Credo in Alles wird gut (1979) lautet etwa: „Aber du brauchst nicht Morphium oder Kokain, sagt sich Tristano und geht langsam weiter, sondern die Essenz der Vergangenheit, die Kunst im Wort zu überleben, und manchmal die Frau.“
Die Texte schwanken stark in ihrer Qualität. Man findet darin zwar immer wieder die typischen Fauser-Sätze, die lakonisch die Gegenwart kommentieren. Perfektioniert hat er das allerdings erst in Rohstoff, dem Werk, mit dem man heute den typischen Fauser-Sound verbindet.
Was von Fauser bleibt
Von Fauser bleibt das Bild eines Schriftstellers zurück, der in der deutschen Literaturlandschaft vieles aufbrechen wollte. Er war ein Schriftsteller, der literarisch-gekonnt die späten 60er und 70er Jahre in Deutschland dokumentiert hat und damit auch zur Inspiration von anderen wurde. Besonders als zeitgeschichtlicher Autor wird er interessant bleiben.
Fauser war ein Schriftsteller, der seinen Vorbildern viel hinterhergerannt ist und letztlich mit Rohstoff einen Roman geschrieben hat, der eine eigene Note bilden konnte und daher bis heute rezipiert wird. Der öffentliche Blick auf Fauser sollte aber zukünftig ambivalent bleiben und die Betrachtung der Werke auch jenseits von Rohstoff wagen. Denn Fauser war ein Autor, der von der Literatur Wahrheit und Authentizität forderte, dies zusammen mit dem Credo nach einer „Literatur für alle“ selbst aber oft nicht einlösen konnte. Er bleibt ein Autor mit spannendem Leben, interessanter Selbstinszenierung und insgesamt mäßigem Gesamtwerk – dafür aber (und das reicht manchmal aus) dem einen guten Roman.
Literatur
Fauser, Jörg (1971): Aqualunge. In: Fauser, Jörg: Werkausgabe in neun Bänden. Hg. von Alexander Wewerka. Bd. 4: Alles wird gut. Gesammelte Erzählungen und Prosa I. Zürich 2009. S. 302-306.
Fauser, Jörg (1972): Tophane. In: Fauser, Jörg: Werkausgabe in neun Bänden. Hg. von Alexander Wewerka. Bd. 4: Alles wird gut. Gesammelte Erzählungen und Prosa I. Zürich 2009. S. 307-312.
Fauser, Jörg (1980): Kranichzüge überm Schlachtviehhof (Über Helmut Maria Soik, Exkurs über die mögliche Existenz der Hölle). In: Fauser, Jörg: Der Strand der Städte. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959-1987. Hg. von Alexander Wewerka. Berlin 2009. S. 452-457.
Fauser, Jörg (1981): Werkausgabe in neun Bänden. Hg. von Alexander Wewerka. Bd. 1: Der Schneemann. Zürich 2009.
Fauser, Jörg (1985): Werkausgabe in neun Bänden. Hg. von Alexander Wewerka. Bd. 3: Das Schlangenmaul. Zürich 2009.
Fauser, Jörg/Karasek, Hellmut/Tomm, Jürgen (1984): Schreiben ist keine Sozialarbeit. Auszüge aus einem Gespräch zwischen Jörg Fauser, Hellmuth Karasek und Jürgen Tomm in der Sendung Autor-Scooter vom 25.9.1984. In: Fauser, Jörg.: Werkausgabe in neun Bänden. Hg. von Alexander Wewerka. Bd. 2: Rohstoff. Zürich 2009. S. 296-319.
Fauser Jörg/Firle, Ralf (1985): Wir Schriftsteller existieren eigentlich nur in unseren Texten. Ein Interview mit Jörg Fauser von Ralf Fierle. In: Fauser, Jörg: Der Strand der Städte. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959-1987. Hg. von Alexander Wewerka. Berlin 2009. S. 1505-1534.
Fauser, Jörg/Marabo (1985): Literatur in den Supermarkt. Ein Interview mit Jörg Fauser in der Zeitschrift Marabo. In Fauser, Jörg: Der Strand der Städte. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959 – 1987. Hg. von Alexander Wewerka. Berlin 2009. S. 1500-1504.
Krausser, Helmut: Das Buch Jörg. In: Fauser, Jörg: Werkausgabe in neun Bänden. Hg. von Alexander Wewerka. Bd. 4: Alles wird gut. Gesammelte Erzählungen und Prosa I. Zürich 2009. S. 7-15.
Ploog, Jürgen: Enthüllungen über Harry Gelb oder Unser Mann in Istanbul. The untold Story. In: Fauser, Jörg: Werkausgabe in neun Bänden. Hg. von Alexander Wewerka. Bd. 4: Alles wird gut. Gesammelte Erzählungen und Prosa I. Zürich 2009. S. 427-433.
Papst, Manfred: Der deutsche Bukowski. In: NZZ. 28.11.2020. https://www.nzz.ch/feuilleton/joerg-fauser-der-deutsche-bukowski-ld.1790165 [17.06.2024].
Sahner, Simon: Der harte Kerl des Literaturbetriebs? – Über die eindimensionale Sicht auf Jörg Fauser. In: 54Books, 29.05.2019. https://54books.de/der-harte-kerl-des-literaturbetriebs-ueber-die-eindimensionale-sicht-auf-joerg-fauser/ [17.06.2024].
Schäfer, Frank: „Briefe an die Eltern“ von Jörg Fauser. Rebellentum und Über-Ich. In: taz. 16.04.2023. https://taz.de/Briefe-an-die-Eltern-von-Joerg-Fauser/!5925417/ [17.06.2024].
Stuckrad-Barre, Benjamin von: Durst war ja auch ein Synonym für Leben. In: Fauser, Jörg: Werkausgabe in neun Bänden. Hg. von Alexander Wewerka. Bd. 2: Rohstoff. Zürich 2009. S. 291-295.