Kafka lässt grüßen
Prosa von Simon Chkheidze
Von Klaus Hübner
Unter den beneidenswert geförderten österreichischen Kleinverlagen fällt die von Birgit Holzner geleitete edition laurin schon länger dadurch auf, dass sie ein gutes Gespür für unkonventionelle und anregende junge Prosa zu haben scheint. Sie hat Wolfgang Hermanns Erzählungen In Wirklichkeit sagte ich nichts publiziert (2010), Carolina Schuttis wunderbare Novelle Eulen fliegen lautlos (2015) und ihr bemerkenswertes Buch Patagonien (2020) oder auch den überaus lesenswerten Roman Ein Russe aus Kiew von Waltraud Mittich (2022). Nun hat sie den 1998 in München geborenen, seit einiger Zeit in Innsbruck lebenden Simon Chkheidze entdeckt. Sein schmaler Prosaband hat es in sich.
Mehrere Kurzgeschichten beginnen mit je drei Charakteristika der vorgestellten Figuren. Über Markus Krüger heißt es zum Beispiel: „Langhaarig. Weltfremd. Scheu.“ Markus transportiert schöne Möbelstücke von A nach B, seine Aufgaben gleichen „denen eines Packesels“. Jedes Wochenende zeltet er im Wald und versucht, Forellen mit den Händen zu fangen. Außerdem liest er Dostojewski: „Die ekstatisch-dramatische Sprache lässt sein friedliches Herz höherschlagen“. Ja, und dann kommt ein Gewitter … Stimmungen wie bei Dostojewski gibt es in jeder Kurzgeschichte, und auch die Sonne taucht immer wieder auf. „Der Moment, wenn die Sonne die Wolken verscheucht, ist stets ein Genuss für die Menschen, deren Träume mit den Sonnenstrahlen verschmelzen“, heißt es im Porträt des wasser- und frauenscheuen Alfi, der mit dem Suizid seines Trompetenlehrers konfrontiert wird. Die taubstumme, Regentage liebende Isidora Sidoroff aus Sankt Petersburg lässt sich in Prag zur Balletteuse ausbilden. „Der Wunsch zu tanzen begleitete Isidora schon seit Kindestagen. So bat sie ihre Mutter fast jeden Tag darum, Spaghetti zu kochen. Die langen Nudeln drehte sie dann pirouettenartig um ihre Holzgabel, im stummen Takt ihrer Fantasie.“ Kafkas Prag jedoch ist eine Stadt des Unheils: „Isidora sprang, ohne etwas Konkretes zu fühlen, von der Brücke in die Moldau.“ Kafka, Dostojewski – das ist der Sound, den Simon Chkheidze weiterzuführen versucht, nicht immer ganz glücklich, wie die nur mäßig überzeugende Skizze Judea vorführt. Ein Geheimnis macht er daraus nicht – die bewegende Geschichte vom traurigen Musiklehrer Thomas Johnson beginnt so: „Als Thomas Johnson eines Morgens erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Geht’s noch deutlicher? Dem alkoholkranken Manuel Göde, der nicht weiß, wohin ihn seine namenlose Sehnsucht führen könnte, erscheint das Bild einer durchsichtig treibenden Wolke. „Voller Unschuld schwebte sie der Sonne entgegen, bis sie ihr zu nahe kam und wie eine Seifenblase zerplatzte.“ Ähnlich geht es allen Chkheidze-Figuren, deren Träume und Sehnsüchte an der unerbittlichen Realität scheitern. Oder schon lange gescheitert sind – dead men walking, und dann ist es irgendwann wirklich vorbei.
Eine literarische Sensation wird man Simon Chkheidzes denkwürdige Kurzgeschichten nicht nennen wollen. Wohl aber eine beachtliche Talentprobe. Man sollte diesen jungen Tiroler Münchner mit georgischem Nachnamen im Auge behalten.
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