Über eine Haltung des Rebellierens
Kritische Töne zu Jörg Fausers Marlon-Brando-Biographie
Von Lutz Hagestedt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs war ein Schnellschuss: 1977 vereinbarte Jörg Fauser mit der Verlegerin Monika Nüchtern eine Marlon-Brando-Biographie. Mitte Januar 1978 schrieb er den Prolog und fortan fast jeden Tag einige Seiten.
Anfang April, acht Tage nach Manuskriptabgabe, ging der versilberte Rebell in Druck. Fausers Arbeitsweise und Disziplin ähnelte ein wenig dem Überbietungsritus Hans Falladas – der fing mit wenigen Seiten an und steigerte sich von Tag zu Tag, bis in einem Rausch der Kreativität und Erschöpfung das Ziel erreicht war.
Freilich, die Auftragsarbeit war nicht ganz seine Kragenweite: „Ich kennʼ doch den Typ gar nicht“, wütete er, „wie soll ich denn da über ihn schreiben?!“ Fauser hatte weder eine Neigung, über das Filmidol zu schreiben, noch hatte er ein klares Bild von diesem Ausnahmekünstler der darstellenden Muse. Aber er war Profi genug, und etliche Hilfsmittel standen bereit. Diverse Biographien amerikanischer Provenienz, ein intimes Porträt aus der Feder Truman Capotes (Ein Fürst in seinem Reich), Erinnerungsbücher von Wegbegleitern, Bildbände (Hollywood Babylon) sowie Fanzines.
Fauser war als Cineast bislang nicht aufgefallen, und man fragt sich: Was kam bei dem Experiment, bei dem Wagnis, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben, heraus? Eine Art Patchwork entstand, durchaus eine biographische Erzählung am Leitfaden von Brandos Erfolgen, Krisen und Rückschlägen, versetzt mit einer Melange aus stark autobiographisch motivierten Einsichten und Ausblicken, die als Psychogramm des Verfassers selbst gelesen werden konnten und mussten.
Natürlich verstand er es, obwohl kein Kenner, die Filmwelt, in die Marlon Brando eingetaucht war und in der er zum Megastar wurde, zu charakterisieren, indem er mit Exkursen zu James Dean oder Montgomery Clift die Atmosphäre Hollywoods einfing und damit auf vergleichbare Idole setzte, die auch einem deutschen Publikum vertraut waren. An Clift aber interessierte ihn noch mehr der besondere Umstand, dass „Monty“ an seinem Ruhm, seiner camouflierten Homosexualität und seiner Drogensucht zerbrochen war. Da stand es dem Leser wieder vor Augen, Fausers Lebensthema: Die Übermacht der „künstlichen Paradiese“ (Baudelaire), die auch Hollywood in ein Babylon der Exzesse verwandelte, war ganz nach Fausers Geschmack. Brando hing zwar nicht, wie sein Faktotum Carlo Fiore („Bud. The Brando I knew“), an der Nadel, auch hielt er sich mit Alkohol zurück, aber er hatte eine „versoffene Mutter“ und war selbst „verfressen“. Auch umgab er sich mit Leuten, die ständig auf Droge waren. Noch dazu lebte er in einer Kultur, in der Abweichungen vom allzu cleanen American Way of Life immer populärer wurden.
Solche Digressionen sind Fausers Einfallstor, um von seinen eigenen Leidenschaften und Interessensgebieten zu erzählen, mögen sie auch keinerlei Relevanz für Brandos Lebensweg gehabt haben. Folglich kommt er auf seine Hausgötter zu sprechen, die großen Autoren in Moderne und Gegenwart, die in Bezug auf Drogen und Drogenexzesse eine Expertise vorweisen konnten: Antonin Artaud, Charles Baudelaire, Gottfried Benn, William S. Burroughs – das ganze Alphabet einer Poetologie der Gegenkultur, bis hinunter zu exotischen Figuren wie Walt Whitman, der New York als seine Droge bezeichnet hatte. Und Fauser nutzte diesen Freibrief zur Ausflucht, indem er auf völlig Nebensächliches und Unerhebliches ausführlichst zu sprechen kam, das nun mit Brando wirklich nichts zu tun hatte: Die politische Verfasstheit der ,alten‘ Bundesrepublik lange vor dem Mauerfall, Fausers Bekanntschaft mit einem Opiumhändler in Istanbul, Bernd Clüvers Auftritte in deutschen Stehausschänken, die Verwertungsgesellschaft Wort und was dergleichen mehr war an Gegenstandsbereichen und Nebensächlichkeiten.
Man reibt sich die Augen: Den „künstlichen Paradiesen“ der Opiumesser wurden die „sozialversicherten“ der „Stadtverordneten“ und „Sparkassenleiter“ gegenübergestellt. War das noch originell oder schon abgeschmackt? Und natürlich wurde die Rebellion als Haltung gegenüber Staat und Gesellschaft, Filmmogulen und Elternhäusern aus allerlei Perspektiven beleuchtet. Dabei konnte im Amerika der McCarthy-Ära, der Hatz auf Freigeister und Kommunisten, auch leisester politischer Widerstand existenzgefährdend sein. Auch und gerade Hollywood war nicht ohne „Furcht“, als der „silbern“ strahlende Stern Marlon Brandos aufging und die „Wildbahn der Ausdruckswelt“ neu kartierte. Fausers Buchtitel bringt denn auch zum Ausdruck, dass Brando käuflich war, indem er sich sein Talent „versilbern“ ließ und Verträge akzeptierte, für Rollen, die ihm nicht lagen, sodass er mit Kollegen arbeiten musste, die er nicht ausstehen konnte.
Der Leser denkt sich seinen Teil: da dürfte es mit der Rebellion nicht weit her gewesen sein, und mit der Kunst ebenfalls nicht, wenn man die Auffassung vertrat, dass „der größte künstlerische Stil eben doch der Ausdruck der höchsten Revolte“ (Albert Camus) sei. Fauser sah sich gern auch selbst in der Pose des Wüterichs, wenn er die Marktmechanismen der Filmindustrie aufs Korn nahm und sie mit der Subventionspolitik deutscher „Kulturamtsbonzen“ verglich. Auf die Idee muss man erste einmal kommen! „Sind Sie etwa Anarchist, Herr Fauser“, fragte er sich selbst: „Ja, ich bin Schriftsteller in Europa, einem Kontinent versunkener Königreiche, davon war eines auch die Anarchie.“ Zum Beleg zitiert er Apollinaire.
Von Textökonomie kann hier nicht groß die Rede sein, und die Pauschalkritik am westdeutschen Wesen wirkt wirklichkeitsfremd. Fausers Haltung des Rebellierens wäre am besten durch einen kleinen Beitrag Uwe Johnsons zu kontern – er passt auch in die Zeit (erschienen 1967 in Hans Magnus Enzensbergers Zeitschrift „Kursbuch“). Dort wandte sich Johnson mit Blick auf den Vietnamkrieg gegen „einige gute Leute“ in der westlichen Hemisphäre, die „es mit der Moral“ hätten und eine „gute Welt“ wollten, aber „nichts“ zu ihr beitrügen:
Auch diese guten Leute werden demnächst ihre Proteste gegen diesen Krieg verlegen bezeichnen als ihre jugendliche Periode, wie die guten Leute vor ihnen jetzt sprechen über Hiroshima und Demokratie und Cuba. Die guten Leute sollen das Maul halten. Sollen sie gut sein zu ihren Kindern, auch fremden, zu ihren Katzen, auch fremden; sollen sie aufhören zu reden von einem Gutsein, zu dessen Unmöglichkeit sie beitragen.
Uwe Johnson hat seiner Kritik dieser unsinnigen, untätigen und folgenlosen Moralistik später den Titel Über eine Haltung des Protestierens beigegeben – sie findet in einer Haltung des Rebellierens ihre genaue Entsprechung.
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