Sehnsüchtig nach dem Glanz der Poesie
Anja Kampmann sinniert in „Die schmutzige Wäsche des schmelzenden Schnees“ über Adam Zagajewskis Lyrik
Von Thorsten Paprotny
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSo wie wenige Verse Ausblicke in das weite Land der Dichtkunst zu schenken und klangvoll Resonanzräume für Lesende zu öffnen vermögen, so weiß auch eine sensible Rede, gehalten von Anja Kampmann, selbst Erzählerin und Dichterin, im Lyrik Kabinett München am 31. Januar 2024 über den polnischen Poeten Adam Zagajewski und dessen Werk Wege aufzuzeigen, die zu Gedichten und zugleich darüber hinausführen. Zagajewski selbst war ein künstlerischer Gestalter von Bildern, ohne je überladene Metaphern zu kreieren. Kampmann lädt zu einer „Suchbewegung und Reise“ ein, die zu Zagajewskis Gedichten führt, der seinen „Dienst“ am Schreibtisch so versah und empfang, wie es ein „Arbeiter im Weinberg“ tut, „bewaffnet mit der Schere der Phantasie“. Sie selbst sieht sich dabei auch im „Dienst von Adam Zagajewski“.
Der polnische Dichter war ein empathischer Realist, „nicht kapriziös“, der den Glanz suchte und fand: „Seine Gedichte richten dabei den Blick auf das Konkrete, auf den schmutzigen Schnee, der glänzt und den Druck zeigt: Aus solchen Bildern lassen sich Funken schlagen.“ So beschrieb er die Welt verständnisvoll, näherte sich ihrer Vielschichtigkeit an, dichtete mit „Zärtlichkeit, um eine Nähe herzustellen“, und lässt auch Fragen offen, wohlwissend, dass es bei Gedichten weder richtige noch falsche Signale gibt. Man darf sie hören, klingen lassen, ein jedes auf eine ganz eigene Weise verstehen:
Mit Adam Zagajewski dürfen wir hinsehen, dürfen wir etwas bemerken, was wir vielleicht übersehen hatten. Bewundernswert ist, mit welcher Geste er uns seine Welt eröffnet. Dabei ist er kein Türhüter, er erwartet von uns keinen Knicks, weil er uns darauf gestoßen hätte, sondern blickt mit uns auf eine Welt, die noch voller Wunder sein darf.
Die „Geschichte des Lebens“, so schreibt Kampmann in Anlehnung an Sherwood Anderson, eine „Geschichte der Augenblicke“. Zagajewski besitzt das Gespür für diese Augenblicke, für diese sehr besonderen Momente, in denen das Alltägliche aufzuleuchten beginnt, in einem Gedicht, das die „ideale Form für diese Brennpunkte“ sein könnte. Der Dichter sucht „nach Glanz“, und die Poesie sei ein „Fest des Lebens“:
Für einen Tag kann ich nicht zweimal Anlauf nehmen, nicht im Gestern weiter gesprungen sein. Hier ist alles federleicht, und mit einer großen Verantwortung versehen. Verantwortung aus einem Gefühl der Liebe heraus (Zärtlichkeit, würde Zagajewski vielleicht sagen) und aus einem Gefühl für die Zerbrechlichkeit der Welt. Poesie gehört nach draußen, in die Welt. Alles, was in Texten leuchten darf, ist da, damit wir es großzügig teilen. Alle Fragen, die wir hier stellen, gehen uns alle an. Poesie ist ein Fest des Lebens.
Zagajewski bewege sich in der „geteilten Wirklichkeit“, in einer Welt, in der Musik und Kunst gegenwärtig seien, nicht in einer „Fachwelt“. Stets sei eine „Erweiterung der Perspektive“ möglich:
Seine Gedichte sind für mich kleine Bojen. Leuchtfeuer, Markierungen oder Markierungslichter einer Reise. Während Zagajewski diese Leuchtfeuerchen entzündet, redet er zugleich darüber, wie fragil sie sind. Flüchtig. Poesie ist mehr als ein Filter, der noch mehr Einzelteile aus dem Übervielen generiert. Im Gegenteil: Hier – klarer als irgendwo sonst – eröffnet sich eine Perspektive, eine Stimme. Dichtung ist radikal menschlich, radikal zeitlich.
Zagajewskis Gedichte, so Anja Kampmann, zeigen Räume, die Leserinnen und Leser betreten können, aber nicht müssen. Diese „scheinbar so kleinen Gedichte“ führen hinaus in die Weite, laden ein, doch sie zwingen nicht, die Wege in diese Räume zu gehen. Genügt das? Die Autorin geht indessen weiter:
„Ich finde, an den Akademien und Universitäten, in den Opernhäusern und Theatern haben wir lange genug darüber gesprochen, dass sich nicht alle für die Welt interessieren, die wir lieben. Zugleich haben wir Menschen damit vor der Tür stehen lassen. Wir haben die Aufgabe, die Türen weit aufzumachen, die Begeisterung für unsere Welten zu teilen, statt – halb heroisch, halb resigniert – ihren Abgesang anzustimmen.“
Ein Gedicht eröffne eine neue Perspektive, wie eine neue Musik einen neuen Klang schenke, von Erfahrungen spreche, für die kaum jemand mehr aufmerksam sei. Kampmann bemerkt: „Obwohl es mehr Kommunikation zu geben scheint als je zuvor, scheinen wir auf eine Art verstummt zu sein.“ Zagajewski, ein „zärtlicher Bewohner unseres Alls“, habe in seinen Gedichten „mutig und unerschrocken“ gezeigt, wie es möglich ist, gemeinsam unterwegs zu sein, lyrisch-phantasievoll miteinander die Welt zu erkunden und „den Dingen Raum zu geben“.
Anja Kampmann arbeitet mit vielen Gedichten des polnischen Lyrikers, die sie in ihre Überlegungen einbettet und tiefgründig deutet – und zeigt dabei, wie das Leben und Denken mit Poesie heute möglich ist, ja wie die Lektüre von Gedichten beleben, beschwingen und beflügeln kann, ohne Angst vor den „schmutzigen Seiten“, aber bewegt von der Sehnsucht nach „Glanz“. Dieses schmale, anregende Buch sei allen Leserinnen und Lesern, die an Lyrik interessiert sind und mit Poesie leben möchten, zur Lektüre empfohlen.
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